Baustellen in der Bildung
OECD-Studie über Schulabbrecher, Lehrermangel und Wahl des Studienfachs in Deutschland
- Zu geringes Interesse von Frauen an technischen Berufen, viele Geringqualifizierte, Lehrermangel – das sind laut einer aktuellen Studie derzeit die drei größten Baustellen im deutschen Bildungswesen. Unter den Industrienationen belegt Deutschland bei der Bildung nur einen Mittelfeldplatz – von einer Ausnahme abgesehen. Die Probleme im Einzelnen.
Kaum Frauen in technischen Studiengängen: Bei Studiengängen im Ingenieurs- und Bauwesen liegt der Anteil von Frauen in Deutschland bei gerade einmal elf Prozent. Das geht aus der am Dienstag in Berlin vorgestellten Studie „Bildung auf einen Blick“der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. Damit liegt Deutschland deutlich unter dem OECD-Schnitt. Auch in Informatik und Kommunikationstechnologien (Abschluss Master) liegt Deutschland mit einem Frauenanteil von 26 Prozent zum Beispiel deutlich hinter Griechenland (38 Prozent).
Zu viele junge Menschen ohne Abschluss: Bund und Länder geben jährlich mehr als 150 Milliarden Euro für Bildung aus, ein überdurchschnittlicher Wert. Dennoch ist der Anteil an jungen Menschen ohne Schulabschluss hierzulande zuletzt sogar gestiegen – von 13 Prozent (2011) auf jetzt 14 Prozent. Der Trend in den anderen Industrienationen ist gegenläufig: Im Durchschnitt sank OECD-weit die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss in demselben Zeitraum von 19 Prozent auf 15 Prozent. Frankreich hat laut Schleicher in dieser Zeit besonders große Anstrengungen unternommen und liegt jetzt bei zwölf (zuvor 17) Prozent.
Der Bundesregierung sei bewusst, dass „damit in Deutschland 1,5 Millionen junge Menschen nicht als qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen“, betonte Bildungsstaatssekretärin Kornelia Haugg. Unter anderem mit dem neuen „Startchancen“-Programm für sozial benachteiligte Jugendliche werde jetzt gegengesteuert. Man müsse den jungen Menschen aber auch noch mehr klarmachen, welche guten Verdienstmöglichkeiten ein Schul- und Berufsabschluss biete.
Lehrermangel: Internationale Spitze ist Deutschland bei der Bezahlung der Lehrkräfte (zweiter Platz hinter Luxemburg). Auch müssen Lehrkräfte weniger Unterrichtsstunden halten als in anderen Ländern; im Sekundarbereich I sind es laut OECD in Deutschland 641 Unterrichtsstunden pro Jahr, OECD-weit sind es im Schnitt 711 Unterrichtsstunden. Trotz dieser positiven Begleitumstände gelingt es aber nicht, in ausreichender Zahl Lehrkräfte zu gewinnen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts verringerte sich in den vergangenen zehn Jahren die Zahl der Frauen und Männer, die ein Lehramtsstudium abschlossen, um 13,8 Prozent.
Als wichtigsten Grund nennt Bildungsexperte Schleicher, dass Lehrkräfte nicht nur Einzelkämpfer sein wollen, sondern gern „im Team an der Entwicklung von Unterricht arbeiten“möchten. Beispielsweise in Finnland funktioniere das Zusammenspiel von Lehrkräften mit Erziehern und Sozialarbeitern wesentlich besser als in Deutschland.
BRÜSSEL - Glaubt man Bundesfinanzminister Christian Lindner, dann hängt der Haussegen in der EU wieder gerade. Er habe seinen Kollegen aus der Eurozone schon am Montag erklärt, dass die Bundesregierung zwar tatsächlich 200 Milliarden Euro dafür ausgeben wolle, den Gaspreis für Unternehmen und Verbraucher abzufedern – die Summe verteile sich aber auf drei Jahre. Neuen Gemeinschaftsschulden erteilte Lindner eine Absage. Er sprach sich aber dafür aus, den Strompreis nicht länger an den teureren Gaspreis zu koppeln und verstärkt gemeinschaftlich auf Einkaufstour zu gehen, um günstigere Importpreise herauszuhandeln.
Einen Preisdeckel auf Gasimporte, wie ihn Frankreich, Italien und Polen mit zwölf weiteren Mitgliedsländern fordern, erwähnte der Minister ausdrücklich nicht. Deutschland ist dagegen, weil – so die Befürchtung – dann zu wenig Gas nach Europa geliefert werden könnte. Ungarns Premier Victor Orban scheint Lindners Erläuterungen entweder nicht gehört zu haben (Ungarn gehört ja nicht zur Eurozone) oder nicht überzeugend zu finden. Er beklagte, dass die Bundesregierung den eigenen Unternehmen „mit Hunderten Milliarden Euro“unter die Arme greife. Ärmere Länder könnten das nicht. „Das ist der Beginn des Kannibalismus in der EU“, so Orban.
Deutlich gemäßigter reagierte Währungskommissar Paolo Gentiloni aus Italien. Er hatte zusammen mit dem französischen Industriekommissar Thierry Breton einen Meinungsartikel in großen europäischen Zeitungen veröffentlicht, in dem die beiden für weitere Gemeinschaftsschulden nach dem Muster des Corona-Hilfsfonds werben. Sie schrieben: „Mehr denn je müssen wir vermeiden, den Wettbewerb im Binnenmarkt zu verzerren.“Ein Subventionswettlauf würde den Erfolg des gesamten europäischen Projektes infrage stellen.
Die beiden Kommissare verlangen „einen neuen Ansatz“, um den Energiepreisschock zu bewältigen. So könnten Investitionen zur Überwindung der Krise oder um „den Anteil fossiler Brennstoffe am Energiemix zu verringern“nicht mehr auf die Staatsverschuldung angerechnet werden. Auch ein schuldenfinanziertes Programm der EU zur Finanzierung „öffentlicher europäischer Güter in den Bereichen Energie und Sicherheit“könne eine solidarische Antwort auf die Krise sein.
Gentiloni vermied es, Deutschland explizit für die geplanten Energiesubventionen zu kritisieren. „Wir verurteilen Mitgliedsstaaten nicht dafür, dass sie ihre Wirtschaft zu schützen versuchen“, so der Kommissar milde. Die Maßnahmen müssten gezielt und zeitlich begrenzt sein – was beides auf den deutschen Gasdeckel zutrifft. Die französische Europastaatssekretärin Laurence Boone warnte hingegen vor einer „politischen und wirtschaftlichen Fragmentierung“der Union in der Energiefrage. Der österreichische Energieminister Magnus Brunner sagte: „Nationale Alleingänge mit Deckeln machen keinen Sinn.“
Die Wut auf das egozentrische Agieren der Ampel-Koalitionäre wächst in Brüssel. Deutschland habe in der Vergangenheit mit seiner blauäugigen und unkritischen Haltung zu Russland und der daraus resultierenden Abhängigkeit von russischem Gas die Probleme selbst heraufbeschworen. Wenn Kanzler Olaf Scholz nun durch großzügige nationale Subventionen seinen Landsleuten einen warmen Winter ermögliche, gemeinschaftliche Maßnahmen aber ablehne, dann sei das gegenüber den anderen Europäern äußerst unsozial.
Finanzminister Lindner verteidigte sich gegen die Kritik am deutschen Paket. „Unsere Maßnahme ist zielgerichtet und bezieht sich auf die Jahre 2022, 2023 und 2024.“Nach Ansicht des FDP-Politikers steht es in Relation zur deutschen Wirtschaftsmacht. „Es ist proportional, wenn man die Größe und die Vulnerabilität der deutschen Wirtschaft betrachtet.“
Mit dem Abwehrschirm will die Bundesregierung Verbraucher und Unternehmen vor hohen Energiepreisen wegen des Ukraine-Kriegs schützen – etwa durch Hilfen für Unternehmen und vergünstigten Strom und Gas für Haushalte und Firmen. Viele
Details sind aber noch offen. Daher lässt sich noch nicht sagen, ob das Paket tatsächlich gegen die europäischen Wettbewerbsregeln verstößt.
Lindner machte sich zudem für europäische Gaseinkäufe stark, um das Angebot von Gas auszuweiten. „Wir müssen beim gemeinsamen Gaseinkauf Fortschritte machen“, sagte Lindner. Darauf hatten sich die EU-Staaten bereits im März geeinigt, eine gemeinsame Koordinierungsplattform hat jedoch bislang wenig Konkretes geliefert.
Die Diskussion um europäische Maßnahmen in der Energiekrise wird spätestens Ende der Woche beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Prag weiterlaufen. Im Gespräch ist unter anderem auch ein europäischer Gaspreisdeckel, den über die Hälfte der Staaten inzwischen fordern, die Bundesregierung bislang allerdings skeptisch sieht.