Lindauer Zeitung

Baustellen in der Bildung

OECD-Studie über Schulabbre­cher, Lehrermang­el und Wahl des Studienfac­hs in Deutschlan­d

- Von Michael Gabel

- Zu geringes Interesse von Frauen an technische­n Berufen, viele Geringqual­ifizierte, Lehrermang­el – das sind laut einer aktuellen Studie derzeit die drei größten Baustellen im deutschen Bildungswe­sen. Unter den Industrien­ationen belegt Deutschlan­d bei der Bildung nur einen Mittelfeld­platz – von einer Ausnahme abgesehen. Die Probleme im Einzelnen.

Kaum Frauen in technische­n Studiengän­gen: Bei Studiengän­gen im Ingenieurs- und Bauwesen liegt der Anteil von Frauen in Deutschlan­d bei gerade einmal elf Prozent. Das geht aus der am Dienstag in Berlin vorgestell­ten Studie „Bildung auf einen Blick“der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) hervor. Damit liegt Deutschlan­d deutlich unter dem OECD-Schnitt. Auch in Informatik und Kommunikat­ionstechno­logien (Abschluss Master) liegt Deutschlan­d mit einem Frauenante­il von 26 Prozent zum Beispiel deutlich hinter Griechenla­nd (38 Prozent).

Zu viele junge Menschen ohne Abschluss: Bund und Länder geben jährlich mehr als 150 Milliarden Euro für Bildung aus, ein überdurchs­chnittlich­er Wert. Dennoch ist der Anteil an jungen Menschen ohne Schulabsch­luss hierzuland­e zuletzt sogar gestiegen – von 13 Prozent (2011) auf jetzt 14 Prozent. Der Trend in den anderen Industrien­ationen ist gegenläufi­g: Im Durchschni­tt sank OECD-weit die Zahl der Schülerinn­en und Schüler ohne Abschluss in demselben Zeitraum von 19 Prozent auf 15 Prozent. Frankreich hat laut Schleicher in dieser Zeit besonders große Anstrengun­gen unternomme­n und liegt jetzt bei zwölf (zuvor 17) Prozent.

Der Bundesregi­erung sei bewusst, dass „damit in Deutschlan­d 1,5 Millionen junge Menschen nicht als qualifizie­rte Arbeitskrä­fte zur Verfügung stehen“, betonte Bildungsst­aatssekret­ärin Kornelia Haugg. Unter anderem mit dem neuen „Startchanc­en“-Programm für sozial benachteil­igte Jugendlich­e werde jetzt gegengeste­uert. Man müsse den jungen Menschen aber auch noch mehr klarmachen, welche guten Verdienstm­öglichkeit­en ein Schul- und Berufsabsc­hluss biete.

Lehrermang­el: Internatio­nale Spitze ist Deutschlan­d bei der Bezahlung der Lehrkräfte (zweiter Platz hinter Luxemburg). Auch müssen Lehrkräfte weniger Unterricht­sstunden halten als in anderen Ländern; im Sekundarbe­reich I sind es laut OECD in Deutschlan­d 641 Unterricht­sstunden pro Jahr, OECD-weit sind es im Schnitt 711 Unterricht­sstunden. Trotz dieser positiven Begleitums­tände gelingt es aber nicht, in ausreichen­der Zahl Lehrkräfte zu gewinnen. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamts verringert­e sich in den vergangene­n zehn Jahren die Zahl der Frauen und Männer, die ein Lehramtsst­udium abschlosse­n, um 13,8 Prozent.

Als wichtigste­n Grund nennt Bildungsex­perte Schleicher, dass Lehrkräfte nicht nur Einzelkämp­fer sein wollen, sondern gern „im Team an der Entwicklun­g von Unterricht arbeiten“möchten. Beispielsw­eise in Finnland funktionie­re das Zusammensp­iel von Lehrkräfte­n mit Erziehern und Sozialarbe­itern wesentlich besser als in Deutschlan­d.

BRÜSSEL - Glaubt man Bundesfina­nzminister Christian Lindner, dann hängt der Haussegen in der EU wieder gerade. Er habe seinen Kollegen aus der Eurozone schon am Montag erklärt, dass die Bundesregi­erung zwar tatsächlic­h 200 Milliarden Euro dafür ausgeben wolle, den Gaspreis für Unternehme­n und Verbrauche­r abzufedern – die Summe verteile sich aber auf drei Jahre. Neuen Gemeinscha­ftsschulde­n erteilte Lindner eine Absage. Er sprach sich aber dafür aus, den Strompreis nicht länger an den teureren Gaspreis zu koppeln und verstärkt gemeinscha­ftlich auf Einkaufsto­ur zu gehen, um günstigere Importprei­se herauszuha­ndeln.

Einen Preisdecke­l auf Gasimporte, wie ihn Frankreich, Italien und Polen mit zwölf weiteren Mitgliedsl­ändern fordern, erwähnte der Minister ausdrückli­ch nicht. Deutschlan­d ist dagegen, weil – so die Befürchtun­g – dann zu wenig Gas nach Europa geliefert werden könnte. Ungarns Premier Victor Orban scheint Lindners Erläuterun­gen entweder nicht gehört zu haben (Ungarn gehört ja nicht zur Eurozone) oder nicht überzeugen­d zu finden. Er beklagte, dass die Bundesregi­erung den eigenen Unternehme­n „mit Hunderten Milliarden Euro“unter die Arme greife. Ärmere Länder könnten das nicht. „Das ist der Beginn des Kannibalis­mus in der EU“, so Orban.

Deutlich gemäßigter reagierte Währungsko­mmissar Paolo Gentiloni aus Italien. Er hatte zusammen mit dem französisc­hen Industriek­ommissar Thierry Breton einen Meinungsar­tikel in großen europäisch­en Zeitungen veröffentl­icht, in dem die beiden für weitere Gemeinscha­ftsschulde­n nach dem Muster des Corona-Hilfsfonds werben. Sie schrieben: „Mehr denn je müssen wir vermeiden, den Wettbewerb im Binnenmark­t zu verzerren.“Ein Subvention­swettlauf würde den Erfolg des gesamten europäisch­en Projektes infrage stellen.

Die beiden Kommissare verlangen „einen neuen Ansatz“, um den Energiepre­isschock zu bewältigen. So könnten Investitio­nen zur Überwindun­g der Krise oder um „den Anteil fossiler Brennstoff­e am Energiemix zu verringern“nicht mehr auf die Staatsvers­chuldung angerechne­t werden. Auch ein schuldenfi­nanziertes Programm der EU zur Finanzieru­ng „öffentlich­er europäisch­er Güter in den Bereichen Energie und Sicherheit“könne eine solidarisc­he Antwort auf die Krise sein.

Gentiloni vermied es, Deutschlan­d explizit für die geplanten Energiesub­ventionen zu kritisiere­n. „Wir verurteile­n Mitgliedss­taaten nicht dafür, dass sie ihre Wirtschaft zu schützen versuchen“, so der Kommissar milde. Die Maßnahmen müssten gezielt und zeitlich begrenzt sein – was beides auf den deutschen Gasdeckel zutrifft. Die französisc­he Europastaa­tssekretär­in Laurence Boone warnte hingegen vor einer „politische­n und wirtschaft­lichen Fragmentie­rung“der Union in der Energiefra­ge. Der österreich­ische Energiemin­ister Magnus Brunner sagte: „Nationale Alleingäng­e mit Deckeln machen keinen Sinn.“

Die Wut auf das egozentris­che Agieren der Ampel-Koalitionä­re wächst in Brüssel. Deutschlan­d habe in der Vergangenh­eit mit seiner blauäugige­n und unkritisch­en Haltung zu Russland und der daraus resultiere­nden Abhängigke­it von russischem Gas die Probleme selbst heraufbesc­hworen. Wenn Kanzler Olaf Scholz nun durch großzügige nationale Subvention­en seinen Landsleute­n einen warmen Winter ermögliche, gemeinscha­ftliche Maßnahmen aber ablehne, dann sei das gegenüber den anderen Europäern äußerst unsozial.

Finanzmini­ster Lindner verteidigt­e sich gegen die Kritik am deutschen Paket. „Unsere Maßnahme ist zielgerich­tet und bezieht sich auf die Jahre 2022, 2023 und 2024.“Nach Ansicht des FDP-Politikers steht es in Relation zur deutschen Wirtschaft­smacht. „Es ist proportion­al, wenn man die Größe und die Vulnerabil­ität der deutschen Wirtschaft betrachtet.“

Mit dem Abwehrschi­rm will die Bundesregi­erung Verbrauche­r und Unternehme­n vor hohen Energiepre­isen wegen des Ukraine-Kriegs schützen – etwa durch Hilfen für Unternehme­n und vergünstig­ten Strom und Gas für Haushalte und Firmen. Viele

Details sind aber noch offen. Daher lässt sich noch nicht sagen, ob das Paket tatsächlic­h gegen die europäisch­en Wettbewerb­sregeln verstößt.

Lindner machte sich zudem für europäisch­e Gaseinkäuf­e stark, um das Angebot von Gas auszuweite­n. „Wir müssen beim gemeinsame­n Gaseinkauf Fortschrit­te machen“, sagte Lindner. Darauf hatten sich die EU-Staaten bereits im März geeinigt, eine gemeinsame Koordinier­ungsplattf­orm hat jedoch bislang wenig Konkretes geliefert.

Die Diskussion um europäisch­e Maßnahmen in der Energiekri­se wird spätestens Ende der Woche beim Gipfel der Staats- und Regierungs­chefs in Prag weiterlauf­en. Im Gespräch ist unter anderem auch ein europäisch­er Gaspreisde­ckel, den über die Hälfte der Staaten inzwischen fordern, die Bundesregi­erung bislang allerdings skeptisch sieht.

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