Pandemie bremst Nachbarschaftskoordination aus
Pflegeprojekt des Kreises könnte verlängert werden – Alltag zeigt: Ältere suchen oft vor allem Raum zum Reden
- Die häusliche Pflege stärken und überhaupt den Beginn von Pflege mit verschiedenen Aktivitäten möglichst weit hinauszuzögern – das steckt hinter der Idee der Nachbarschaftskoordination. Sie ist Teil eines Pflegepakets, das der Landkreis Lindau vor drei Jahren beschlossen hat. Eigentlich sollte die Förderung jetzt auslaufen. Nun wollen die Kreisräte besprechen, wie es weitergehen soll.
Die Versorgung und Pflege älterer Menschen in der Region nachhaltig sicherstellen: Das erschien den Kreisräten wichtig angesichts der Probleme mit Kurzzeitpflege und der Tendenz, dass die Zahl stationärer Pflegeplätze für die immer älter werdende Landkreisbevölkerung nicht ausreicht.
Ein Großteil der Pflegebedürftigen im Kreis Lindau wird ohnehin ambulant oder von Familie und Freunden betreut. Für Verwaltung und Kreisräte war insoweit klar: Pflegende Angehörige müssen gestärkt, Netzwerke geknüpft und das Ehrenamt in diesem Bereich unterstützt werden.
Das geschieht zum einen, indem der Kreis die beiden Fachstellen für pflegende Angehörige in Lindau und Lindenberg unterstützt. Die erhalten zwar über das Programm „Bayerisches Netzwerk Pflege“Fördergelder. Doch der Kreis gewährt zusätzlich einen jährlichen freiwilligen Zuschuss für deren wichtige Beratungsarbeit.
Auch die seit 2018 bestehende Förderung der Kurzzeitpflege gehört zu diesem Paket: Häuser, die fest buchbare Plätze anbieten, bekommen einen Grundbetrag sowie Zuschüsse für jeden wirklich belegten Tag. Dennoch bleibt Kurzzeitpflege rar zwischen Westallgäu und bayerischem Bodensee. „Erschwerend kommt hinzu, dass wegen Personalmangels vereinzelt ein Aufnahmestopp in Pflegeheimen verhängt werden muss“, bedauert die Kreisverwaltung in der Sitzungsvorlage für das nächste Treffen des Sozialausschusses.
Besonders viel versprochen haben sich Fachleute und Kreisräte von der Idee der Nachbarschaftskoordination: „Aufsuchende und aktivierende Angebote“sollen das Lebensumfeld der älteren Menschen verbessern – eben mit dem Ziel, Pflegebedürftigkeit und damit letztlich den Umzug ins Heim so lange wie möglich hinauszuzögern.
In Wasserburg und Lindau fanden sich mit dem Seniorenheim Hege und der „Pflegeinsel“schnell Akteure, die jene Idee mit Feuereifer aufgriffen. Doch gerade, als sie ihre umfangreiche Ideenliste starten wollten – brandete die Corona-Pandemie auf.
„Die Pandemie hat viele unserer Vorhaben erst einmal deutlich ausgebremst“, stellt Patricia Schmitz fest. Sie war von Hege explizit für die Organisation der neuen Nachbarschaftskoordination eingestellt worden.
Der im Frühjahr 2020 verhängte erste Lockdown machte etwa Treffen mit Vereinsaktiven und anderen Ehrenamtlichen unmöglich. Schließlich änderten
Patricia Schmitz
Schmitz und Pflegedienstchefin Sabine Schönherr das anvisierte Konzept. Die Seegemeinden starteten so eine Umfrage zu den Bedürfnissen der Senioren.
Deutlich wurde dabei unter anderem: Viele Ältere wünschen sich mehr Kontakte mit Gleichgesinnten. So entstand in der Pflegeinsel die Idee des „RatschCafés“: Neben Angeboten wie Spielen gibt es gemeinsame Aktivitäten wie eine Bootsfahrt, gemeinsam Eisessen und ähnliches mehr. Die Nachmittage des Pflegedienstes sind gut besucht, wie Schönherr der LZ schilderte: „Es ist viel Gesprächsbedarf da, die Leute wollen einfach mal mit jemandem reden.“
Auch in Wasserburg wäre Platz für solche Aktivitäten: Die Cafeteria
Pflegedienstchefin Sabine Schönherr des Seniorenheims ist früher Anlaufpunkt für zahlreiche ältere Bürger und Bürgerinnen gewesen, ob Kaffeeklatsch, Kartenspielen oder kleine Geburtstagsrunden. Doch seit Pandemiebeginn ist vieles anders. Um die Heimbewohner zu schützen, darf nur ins Haus, wer nachweislich Corona-negativ ist. „Das Testen ist für viele Ältere jedoch zu anstrengend“, hört Schmitz immer wieder.
Sie hat in diesem Sommer eine Vortragsreihe gestartet, zu Themen wie Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Fitness im Alter und Mietrecht für Senioren. Rund ein Dutzend Interessenten melde sich jedes Mal an. „Mehr können wir pro Treffen aus Platzgründen leider nicht zulassen“, bedauert Schmitz.„Die Pandemie hat die Nachbarschaftskoordination schon sehr eingeschränkt“, blickt die Wasserburgerin zurück. Denn die Sorge „wie viel Kontakt darf ich haben“und die Angst vor einer
Patricia Schmitz Ansteckung schwinge bei fast allen Älteren mit. Die Vernetzung ist nach Schmitz’ Worten auch noch nicht wirklich vorangekommen. So hofft sie, dass der Beschlussvorschlag für den Sozialausschuss möglichst viele Befürworter findet: Danach soll der Landkreis die Nachbarschaftskoordination bis Ende nächsten Jahres verlängern. Damit es zum Kontakte knüpfen noch mehr Zeit gibt und Ideen wie die Seniorennetze in Lindenberg und im Argental sich nach alternativen Finanzierungen umschauen können. Ein solcher Beschluss „wäre für unsere Arbeit sehr wichtig“, ist Patricia Schmitz überzeugt.
Die öffentliche Sitzung des Bildungsund Sozialausschusses des Landkreises Lindau am Montag, 10.Oktober, beginnt um 14.30 Uhr im Gymnasium Lindenberg. Neben dem Punkt Verlängerung der Nachbarschaftskoordination geht es auch um freiwillige Zuschüsse für Soziales und Sport sowie Schulthemen.