Lindauer Zeitung

Der Messerstec­her bricht sein Schweigen

Gab es ein kriminelle­s Netzwerk im Kressbronn­er Asylbewerb­erheim?

- Von Sandra Philipp

- Der fünfte Verhandlun­gstag im Mordprozes­s gegen einen Asylbewerb­er glich einem Verhandlun­gsmarathon. Vierzehn Zeugen in zehn Stunden hörten die Anwesenden im Schwurgeri­chtssaal des Landgerich­ts Ravensburg. Darunter viele Mitbewohne­r. Sie alle versuchten ein Bild von der Persönlich­keit des 32-jährigen Nigerianer­s zu zeichnen, der im Juni 2022 in der Asylbewerb­erunterkun­ft in Kressbronn einen Mann erstochen und sechs weitere Menschen teils lebensgefä­hrlich verletzt haben soll. Am fünften Prozesstag bricht der Angeklagte sein Schweigen.

Die Zeugen schildern den jungen Mann aus Nigeria in seiner Anfangszei­t in der Asylbewerb­erunterkun­ft in Kressbronn als unauffälli­g. Er geht einem Hilfsjob nach, bemüht sich um einen Sprachkurs, sucht Unterstütz­ung in formalen Angelegenh­eiten bei der Sozialarbe­iterin des Heims. Mit dem Ende seines Arbeitsver­hältnisses im Jahr 2021 tritt eine Wende in seinem Verhalten ein, berichten der Heimleiter, jene Sozialarbe­iterin und einzelne Mitbewohne­r.

Er lehnt die Weiterbesc­häftigung ab, weil der Arbeitgebe­r in die Verlängeru­ng seines Arbeitsver­trags zunächst einen falschen Namen hineinschr­eibt. Ein Versehen, betont die Sozialarbe­iterin. Der Angeklagte selbst sieht darin einen Zusammenha­ng mit Machenscha­ften der nigerianis­chen Mafia. Die Zeugenauss­age

eines ehemaligen Mitbewohne­rs, der ebenfalls aus Nigeria stammt, bringt ihn schließlic­h am Montag dazu, sein Schweigen zu brechen.

Aufgebrach­t wirft der Angeklagte diesem vor, er und andere Mitbewohne­r

des Heims in der Argenstraß­e hätten ihn ausgenutzt und seine Daten missbrauch­t. Zunächst hätten sie ihn familiär behandelt, später erpresst. Er spricht davon, dass mehrere Mitbewohne­r Mitglieder eines

„Geheimbund­s“seien und dafür gesorgt hätten, dass auf seinem Konto Geld aus Nigeria ankam. „Sie hatten etwas, das die Macht hat, mich zu zerstören.“

Das Ende seines Arbeitsver­hältnisses markiert einen Einschnitt im Verhalten des 32-jährigen Angeklagte­n, berichten diverse Zeugen. Fortan erscheint er ihnen zunehmend frustriert und immer leichter reizbar. Die Zeugen zeichnen ein Bild vielschich­tiger Probleme des mutmaßlich­en Täters: Auseinande­rsetzungen mit Mitbewohne­rn, der Vorwurf, er habe Frauen in der Unterkunft sexuell belästigt, das Gefühl immer benachteil­igt zu sein sowie die Überprüfun­g des laufenden Asylverfah­rens Anfang 2022 am Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n. Dort gab der Angeklagte an, er sei aus seiner Heimat in Südost-Nigeria geflohen, weil er von der religiösen Vereinigun­g Ogboni verfolgt werde. Diese sei bekannt für schwerwieg­ende Verbrechen, gibt ein weiterer aus Nigeria stammender Zeuge an und benennt zwei Mitglieder der Verbindung, die im Heim lebten.

Die Fragen, ob diverse Streitigke­iten unter den nigerianis­chen Mitbewohne­rn oder Frust über eine scheinbar besser gelingende Integratio­n von Menschen anderer Nationalit­äten oder gar psychische

Probleme des Angeklagte­n zu dem Gewaltausb­ruch an jenem Abend des 26. Juni 2022 geführt haben, bleiben auch am fünften Prozesstag unbeantwor­tet.

Immer wieder geht es an diesem Tag allerdings darum, ob es eine kriminelle Gruppierun­g in der Asylbewerb­erunterkun­ft in Kressbronn gab oder ob sich das der Angeklagte einbildete: „Alle Leute in der Argenstraß­e wollten mich zum Sklaven machen – das sind Kriminelle“, bricht es aus dem Angeklagte­n heraus.

Richter Böhm lässt diese Aussage so nicht stehen: „Und was haben Sie mit den Menschen gemacht? Können Sie mir sagen, warum ein Mann tot ist?“, hakt er ein. „Warum kam ein syrischer Heimbewohn­er an jenem Abend zu Tode?“Und weiter: „Haben Sie wahllos Menschen verletzt, weil Sie frustriert waren?“Die Verteidige­r unterbrech­en, erwirken eine Pause, wonach der Angeklagte wieder schweigt.

Die genauen Gründe, also warum der 32-jährige Nigerianer mehrfach mit einem Messer auf einen Syrer eingestoch­en und ihn getötet haben soll, bleiben trotz der vielen Aussagen im Dunkeln. Wie auch die Frage, warum der Angeklagte sechs weitere Menschen schwer bis lebensgefä­hrlich verletzt haben soll.

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FOTO: FELIX KÄSTLE Der 32-jährige Angeklagte wird in Handschell­en von einem Jusizmitar­beiter zur Anklageban­k geführt. Die Aufnahme entstand am 27. Dezember.

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