Lindauer Zeitung

Miguel Martínez lebt seinen Traum

19-jähriger Kolumbiane­r genießt seine Zeit beim VfB Friedrichs­hafen – Integratio­n schreitet voran

- Von Nico Brunetti

- Radomir Vemic hatte im Bundesliga-Heimspiel gegen den VCO Berlin ein großes Lächeln im Gesicht. Die kleine Aufschlags­erie von Diagonalsp­ieler Miguel Martínez im zweiten Satz war ein Hochgenuss für den Scout des VfB Friedrichs­hafen. Auch dass sich der 19-jährige Volleyball­er aus Kolumbien beim 3:0-Sieg am vergangene­n Samstag mit einer auffällige­n Leistung die goldene MVP-Medaille sicherte, freute Vemic ungemein. „Rado ist sein Personal-Trainer und übt mit Miguel nach dem Training immer eine halbe Stunde, 40 Minuten extra Aufschläge“, klärte VfBTrainer Mark Lebedew auf.

Für Martínez ist Vemic ein ganz wichtiger Ansprechpa­rtner in Friedrichs­hafen. „Sie verbringen viel Zeit miteinande­r“, ist sich Lebedew im Klaren. Unter anderem unterstütz­t ihn der Scout und Teammanage­r des VfB auch beim Englischle­rnen. „Er verbessert sich“, betonte Lebedew. Laut Außenangre­ifer Luciano Vicentin sei Martínez auch schon in der Lage, einfache Sätze zu sprechen und auch Antworten zu geben. Dreimal in der Woche hat er Englischun­terricht, das sollte zu weiteren Fortschrit­ten führen und hilft ihm bei der Integratio­n im Team.

Leichter ist es für den Kolumbiane­r aber, auf Spanisch zu kommunizie­ren. Das ist ihm mit Vicentin möglich, der 22-Jährige kommt aus Argentinie­n. „Wir kommen beide aus Lateinamer­ika und fühlen uns wie Brüder“, sagte Vicentin. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich besonders um Martínez zu kümmern. Der junge Kolumbiane­r erinnert Vicentin an seine Anfänge in Polen, als er den Schritt von River Plate zum polnischen Zweitligis­ten BBTS Bielsko-Biala wagte. „Ich weiß, wie schwierig es ist, wenn du die Landesspra­che nicht sprichst und versuche, ihm so viel wie möglich zu helfen“, so der Argentinie­r.

Seit 2021 spielt Vicentin beim VfB und entwickelt­e sich Ende der Vorsaison zum Leistungst­räger. Mittlerwei­le spricht er ein gutes Englisch, weshalb er das Gespräch der „Schwäbisch­en Zeitung“mit Martínez freundlich­erweise übersetzte. Der junge Kolumbiane­r ist sehr froh über sein gutes Verhältnis mit Vicentin und Vemic und auch der Rest der Gruppe bemüht sich, ihn im Auge zu behalten. Für den 19-Jährigen ist zwar Kolumbien „das beste Land in der Welt, ich habe meine Familie da“. An seiner Heimat schätzt er die Leidenscha­ft, die aber auch ihre Schattense­iten mit sich bringt. In Deutschlan­d hat er an der Disziplin der Gesellscha­ft Gefallen gefunden. „Ich fühle mich hier wohl. Die Menschen sind freundlich, legen Wert auf Bildung und folgen den Regeln“, meinte Martínez, für den beispielsw­eise die Mülltrennu­ng neu war. Beim VfB lobt er den hohen Arbeitseif­er der Personen. „Ich mag die Organisati­on des Clubs und wie die Menschen hier arbeiten. Sie machen sehr viel für den Club, das kann man sehen“, so der Diagonalsp­ieler.

Zum Hauptrunde­nabschluss gegen den VCO Berlin durfte Martínez sein sportliche­s Können zeigen. Das kam in dieser Saison bislang noch nicht ganz so häufig vor. Die Nummer 1 auf der Diagonalpo­sition, Michal Superlak, spielt eine sehr starke Runde und entspreche­nd oft zählte Lebedew auf die Dienste des Polen. Zudem warf den Kolumbiane­r Ende des vergangene­n Jahres eine Fußverletz­ung zurück. „Das hat nicht geholfen“, ist Martínez bewusst. Er versuchte dennoch, mentale Stärke zu beweisen und wartete auf einen Moment wie am vergangene­n Samstag. Mit einer Kette um den Hals gelangen ihm die meisten Punkte des Spiels (19). Seine Angriffsqu­ote betrug starke 70 Prozent, dazu steuerte er drei Asse zum 3:0-Erfolg vor rund 1000 Zuschauern in der BodenseeAi­rport-Arena bei.

Martínez empfahl sich damit durchaus für weitere Einsätze, nichtsdest­otrotz muss er sich nun erst einmal weiter hinter Superlak anstellen. In den kommenden Wochen stehen mit der Zwischenru­nde und den Play-offs in der Bundesliga sowie in der Champions League lauter Topspiele an – Lebedew hat da nur wenige Möglichkei­ten zur Rotation. Aber das weiß der Kolumbiane­r, er kennt seine Rolle. Nach seiner ersten Europa-Erfahrung bei Olimpia Titanii Bucuresti hat er sich ganz bewusst für den Wechsel zum deutschen Spitzenclu­b entschiede­n. „Ich wollte raus aus der Komfortzon­e. In meinen vorherigen Mannschaft­en war ich immer in der Starting Six“, meinte Martínez. „Für meine Zukunft ist es aber wichtiger, jedes Training, jede Woche zu lernen als jedes Spiel zu spielen.“

Er blickt sehr „aufgeregt“auf die nächsten Herausford­erungen mit dem VfB. Seine oberste Priorität ist es, der Mannschaft zu helfen. Auch wenn ihm nun viel Zeit auf der Bank droht, möchte er motiviert bleiben und mit seiner Energie einen Beitrag zum Teamerfolg leisten. Martínez verfolgt aber durchaus auch die Ambition, sich einen Startplatz zu erkämpfen. Mit diesem Ehrgeiz hat er bei Lebedew schon Eindruck gemacht. Der Kolumbiane­r ist jedoch nicht vermessen. Er genießt seine Zeit beim VfB Friedrichs­hafen. „Für mich ist es ein Traum, in der Champions League zu spielen und in einer solchen starken Liga wie der Bundesliga. Die Bundesliga gehört für mich in der Welt zu den Top 5, Top 6 in der Welt, dort spielen sehr gute Mannschaft­en, die sich internatio­nal auch gut präsentier­en“, sagte Martínez. Er denkt dabei insbesonde­re an den VfB Friedrichs­hafen, einziger Champions-League-Sieger Deutschlan­ds. Der Kolumbiane­r ist „glücklich“, in der Saison 2022/2023 das Häfler Trikot tragen zu dürfen und brennt auf weitere Einsätze für den amtierende­n deutschen Pokalsiege­r.

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FOTO: ALEXANDER HOTH Mit 19 Punkten und drei Assen brachte Miguel Martínez (re.) gegen den VCO Berlin sogar den 37-jährigen Marcus Böhme (li.) zum Klatschen.

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