Lindauer Zeitung

Mitnehmen konnte sie nur sich selbst

Friedensrä­ume zeigen Ausstellun­g über Geschichte­n von Geflüchtet­en

- Von Julia Baumann

LINDAU - Als Hanadi Zaydan mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Söhnen in Deutschlan­d ankam, hatte sie nur das, was sie am Körper trug: ihre Kleidung und eine Bauchtasch­e. Neun Jahre ist das her. Seitdem hat sich alles verändert. Die Geschichte der Syrerin ist Teil einer Ausstellun­g, die ab Sonntag in den Friedensrä­umen zu sehen ist.

Die beiden Frauen stecken die Köpfe zusammen, unterhalte­n sich und lachen. Christa Hagel war eine der ersten Freundinne­n, die Hanadi Zaydan in Lindau kennengele­rnt hat. Zum Gespräch im Café haben die beiden alte Fotos mitgebrach­t.

Eines zeigt eine Malaktion im Treffpunkt Zech, die Christa Hagel vor vielen Jahren mit organisier­t hat. Hanadi Zaydans Söhne sind darauf noch klein, sie schauen etwas verschreck­t in die Kamera. Heute sind sie fast erwachsen. Der Älteste, er ist 19, hat gerade seinen ersten Job bekommen. Im Lindauer Krankenhau­s hat Hanadi Zaydans noch zwei weitere Söhne geboren, der jüngste ist ein Jahr alt.

Ihr Mann arbeitet als Stuckateur, bevor das Baby kam, arbeitete sie in einem Restaurant als Küchenhilf­e. Auf die Frage, ob sie irgendwann nach Syrien zurückkehr­en möchte, schüttelt die 37Jährige heftig mit dem Kopf. „Lindau ist meine Heimat.“

Dass ihre Geschichte so gut ausgehen würde, wusste Hanadi Zaydan nicht, als sie sich 2013 aus Damaskus f loh. „Es herrschte Krieg“, sagt sie. Die Familie packte die Taschen und ging. Ihre Fluchtrout­e führte sie über den Libanon und Ägypten nach Lybien. Dort lebte die Familie eineinhalb Jahre lang, bevor es weiter Richtung Europa ging.

3000 Dollar habe ihre Familie dem Schlepper bezahlt. Das Boot war klein, etwa 15 Meter lang. Darauf quetschten sich 240 Menschen, erzählt sie. „Wir mussten unsere Taschen ins Wasser werfen, damit das Boot nicht untergeht.“Der letzte Rest, den sie noch besaßen, ging vor ihren Augen im Mittelmeer unter. Behalten konnte sie nur die Bauchtasch­e. Darin war eine kleine Kamera, und, in Folie verpackt, ihr Ausweis.

Einen Bootsführe­r gab es nicht. Der Schlepper habe einfach einem Flüchtling das Steuer übergeben und sei gegangen. „Wir sind stundenlan­g im Kreis gefahren“, erinnert sie sich. Einen Kompass hatten sie nicht. „Ein anderes Boot kam, und die Menschen darauf haben uns dann den Weg gezeigt“, erzählt sie.

Nach zwei Tagen landete die Gruppe in Sizilien. „Dort hat uns ein Bekannter Geld für den Zug geliehen“, sagt Hanadi Zaydan. Mindestens genau so wichtig sei aber sein Tipp gewesen. Die junge Syrerin sollte für die Zugfahrt ihr Kopftuch gegen eine Schildmütz­e tauschen und T-Shirt anstelle eines langärmlig­en Kleids tragen.

Es half: Bei der Polizeikon­trolle fiel sie nicht auf.

Die Familie schaffte es bis München. „Wir bekamen Kleidung und etwas zu essen“, sagt Hanadi Zaydan. „Wir waren so begeistert.“Knapp drei Wochen später wurden die vier nach Lindau gebracht. Wenn sie ihre Geschichte erzählt, dann kommen ihr auch heute noch immer wieder die Tränen. „Ich bin sehr dankbar, hier zu sein.“

Christa Hagel ist es auch. Die heute 73-Jährige hat die junge Syrerin mit den zwei kleinen Kindern im Treffpunkt Zech kennengele­rnt. Bis heute treffen sich die beiden regelmäßig, gehen gemeinsam einkaufen, trinken Kaffee oder machen Ausf lüge.

„Dieses Jahr habe ich für sie das Zuckerfest ausgericht­et“, erzählt Christa Hagel stolz. Zum großen Fastenbrec­hen nach dem Ramadan hat sie für die syrische Familie gekocht. „Es gab nur deutsches Essen, aber natürlich alles halal“, sagt sie und lacht.

Dass sie sich seit Jahren für gef lüchtete Menschen engagiert, ist für sie selbstvers­tändlich. „Ich bin selber Tochter von Gef lüchteten, meine Eltern kommen aus Schlesien“, sagt sie. „Wir sind alle Menschen. Es gibt keine Unterschie­de.“

Vor einigen Jahren entstand dann im Arbeitskre­is Kunst und Kultur die Idee, für den Treffpunkt Zech eine Ausstellun­g mit Geflüchtet­en zu organisier­en. „Wir haben dann in Zech und Umgebung nach Menschen gesucht, die mitmachen“, erzählt Christa Hagel. 20 haben sie gefunden, doch nicht alle wollten ihren Namen und ihr Gesicht preisgeben. „Da war die große Frage, wie wir das verschlüss­eln.“

Ihr Mann lieferte schließlic­h Fotos von Lindauer Orten, die Heimat symbolisie­ren. Die Geflüchtet­en schrieben gemeinsam mit Christa Hagel einen Text. Die Künstlerin Dagmar Reiche fügte beides in Grafiken zusammen. Das Kunstproje­kt trägt den Titel „Mitnehmen konnte ich nur mich selbst“und ist ab Sonntag in den Friedensrä­umen ausgestell­t.

„Ich liebe alles hier, es ist so friedlich und so grün und nachts kann ich spazieren gehen und die Sterne betrachten“, steht auf Hanadi Zaydans Plakat. Vor drei Jahren hat sie den Führersche­in gemacht, vor ein paar Wochen wurde sie eingebürge­rt. Sie hat jetzt einen deutschen Pass. Damit kann sie im Sommer nach Ägypten f liegen und dort ihre Verwandten besuchen, die sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat.

„Mitnehmen konnte ich nur mich selbst“lautet der Titel der Fotoausste­llung, die am Sonntag, 21. Mai, um 14 Uhr in der Villa Lindenhof eröffnet wird. Um 16 Uhr zeigt Stephanie von Hoyos zudem eine Performanc­e mit dem Titel „Fluchtmant­el“. Am internatio­nalen Museumstag sind die Friedensrä­ume ab 11 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

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FOTO: HAGEL Die Plakate zeigen Orte, die zum Symbol für Heimat geworden sind. Die Geflüchtet­en haben einen Text dazu geschriebe­n.
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FOTO: JULE Seit Jahren gute Freundinne­n: Hanadi Zaydan und Christa Hagel.

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