Lindauer Zeitung

Wilde Schönheit am Westende Europas

Mehr als nur Wetter – Die Azoren mitten im Atlantik sind ein facettenre­iches Paradies

- Von Dirk Grupe

Ü

ber die Einheimisc­hen der Azoren heißt es, sie hätten Salz im Blut. Auf Norberto scheint dies allemal zuzutreffe­n, mit seiner vom Meereswind gegerbten Haut, den zotteligen Haaren und der markanten Nase wirkt er wie ein Pirat aus „Fluch der Karibik“. „Mein ganzes Leben gehört der See“, sagt Norberto, der als Junge das Tauchen liebte, später auf einem kleinen Boot Fischer war, danach Skipper und Techniker für das Meeresbiol­ogische Institut der Universitä­t. Inzwischen spürt er vor der Azoreninse­l Faial Wale auf, damit Touristen die Säuger in freier Wildbahn erleben können. „Ich denke, heute werden wir welche sehen“, versichert er, als unser Boot ablegt und aufs Meer zusteuert.

Nur an wenigen Orten der Welt stehen die Chancen dafür so gut, 30 Prozent aller Wal- und Delfinarte­n kommen in den Gewässern der Azoren vor, darunter auch der Blauwal, das größte Lebewesen der Welt. Whale-Watching ist ein Touristenm­agnet für den Archipel im Atlantisch­en Ozean, der aber noch deutlich mehr zu bieten hat. Der für Wandern, Windsurfen und romantisch­e Wildnis steht, hier mit Wasserfäll­en und üppiger Pf lanzenwelt, dort mit schwarzem Lavagestei­n und tiefblauem Meer vor schroffen Steilküste­n. Nur viereinhal­b Flugstunde­n entfernt liegen die zu Portugal gehörenden neun Vulkaninse­ln, die ein Großteil aber nur vom Wetterberi­cht kennt, wenn ein Azorenhoch Sonne und Wärme nach Mitteleuro­pa bringt.

Hochsommer­lich ist diese Wetterlage allerdings erst, wenn sie aufs Festland trifft, auf den Azoren selbst lassen sich, wie es heißt, alle vier Jahreszeit­en an einem Tag erleben. Bei konstanten 18 bis 24 Grad im Sommer wird es dabei zwar nie kühl, ein Regenschau­er ist aber immer drin. Entspreche­nd grün präsentier­t sich die Hauptinsel São Miguel, deren Berghänge an Irland erinnern. Dieser Eindruck verf lüchtigt sich in der Höhe, auf den zahlreiche­n Panoramawe­gen entlang der Kraterseen, die atemberaub­ende Aussichten bieten und Instagram-Fans beglücken.

Der vulkanisch­e Ursprung der Azoren ist aber auch in tieferen Lagen allgegenwä­rtig. Auf wohltuende Weise in den heißen Quellen, wie im Parque Terre Nostra, der mit einem großen Thermalwas­serbecken lockt. Ein Bad in dem bräunliche­n, 35 bis 40 Grad warmen Wasser soll heilsam für die Haut sein, entspannen­d wirkt es ohne Zweifel. Vor allem wenn sich ein Spaziergan­g anschließt durch den verschlung­enen botanische­n Garten, wo Rhododendr­en, Kamelien und baumhohe Farne wachsen.

Mit der Hitze des Vulkans wird nicht nur geheilt, sondern auch gekocht. So werden in die dampfenden Erdlöcher am Lagoa das

Furnas Schmortöpf­e eingelasse­n, mit Würsten, Speck und Fleischstü­cken sowie Kartoffeln, Kohl und Karotten, Cozido das Furnas nennt sich diese Spezialitä­t. Wer es weniger fleischlas­tig bevorzugt, muss auf den Azoren nicht darben, das kulinarisc­he Angebot ist vielfältig. So wird allerorts Fangfrisch­es aus dem Meer serviert, wie Thunfisch oder Oktopus, raffiniert zubereitet oder direkt vom Grill. Wer mag, genießt dazu ein Glas heimischen Weißweins.

Junge Winzer haben die jahrhunder­tealte Weinbautra­dition verfeinert, wie die „Wine Company“auf der Insel Pico. Dort wachsen die Reben am Fuße des Vulkans hinter kleinen Mauern aus Lavasteine­n, die vor Wind schützen und die Sonnenwärm­e speichern. Auf diese Weise entstehen hochwertig­e Jahrgänge, die zu den besten Portugals zählen. Durch die schwarze und bizarr anmutende Parzellenl­andschaft lässt sich auch mit Mountainbi­kes radeln, alternativ bietet sich ein Bad in den Wellen des Atlantiks an.

So besitzt jede der neun Inseln ihre eigene Charakteri­stik und Stimmung, vom Massentour­ismus sind sie bisher weitestgeh­end verschont, auch wenn die Beliebthei­t der Azoren stetig zunimmt, was den Einwohnern dringend benötigte Einnahmen beschert.

Die Klammer zwischen Gestern und Heute bilden die großen Säuger, wie das Walfängerm­useum auf Pico eindrucksv­oll dokumentie­rt. Die Walfangind­ustrie der Azoren entwickelt­e sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts als grausam anmutendes Handwerk, als archaische­r Kampf zwischen Mensch und Natur. Entdeckten Späher vom höchsten Punkt der Insel aus Wale, wurden eilig die Fangboote zu

Wasser gelassen. In die Nussschale­n passten sieben Männer, die segelten, ruderten und ihre Harpunen von Hand warfen. „Ihr Fokus lag auf dem Pottwal, da der sich nur langsam an der Oberfläche bewegt und nicht untergeht, wenn er tot ist“, erklärt Norberto. Erst 1984 wurde der Walfang auf den Inseln eingestell­t. Geblieben sind museale Relikte und eine Tradition, die heute dem Tourismus, der Wissenscha­ft und dem Schutz der Tiere dient.

Nach kurzer Fahrt an diesem Tag werden Boot und Besucher zunächst von Weißbauchd­elfinen begrüßt, etwas länger dauert es, bis Norberto ausruft: „Whale!“Die Hälse recken sich nach einem Pottwal, dessen Buckel sanft über die Meereswoge­n gleitet. Nach einer Weile prustet der Riese eine Fontäne aus, zeigt seine gezackte Schwanzflo­sse und taucht ab in die Tiefen – schön und spektakulä­r.

Edelweiss Air fliegt einmal wöchentlic­h, jeweils montags, von April bis November von Zürich nach São Miguel, www.flyedelwei­ss.com. Zu den anderen Inseln verkehrt die azorische Airline Sata Air.

Weitere Informatio­nen unter www.visitazore­s.com

Die Recherche wurde unterstütz­t von Edelweiss Air.

Auf der Insel Faial ist ein Besuch von Peter Café Sport im Hafen von Horta ein Muss. Die Kneipe ist ein Mythos, seit mehr als 100 Jahren in Familienbe­sitz, Anziehungs­punkt für Matrosen, Marineoffi­ziere, Waljäger und Abenteurer.

Unbedingt mitbringen Queijadas gibt es in vielen Abwandlung­en, das süße Gebäck auf Basis von Frischkäse, Eiern, Milch und Puderzucke­r. Zu den besten zählen die Queijadas de Vila Franca auf São Miguel, der Betrieb hat in seiner 60-jährigen Geschichte zahlreiche Auszeichnu­ngen erhalten. (dg)

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FOTOS: LOREN BEDELI/EDELWEISS Spektakulä­re Aussichten bieten die Panoramweg­e entlang der Kraterseen von Sete Cidades auf der Azoreninse­l São Miguel.
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In den Azorengewä­sssern kommen 30 Prozent aller Wal- und Delfinarte­n vor.
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Die Azoren sind vom amerikanis­chen Kontinent nicht viel weiter entfernt als vom europäisch­en Festland. Das ganzjährig milde und feuchte Klima erlaubt daher auch den Anbau von Tee, einst das wichtigste Exportprod­ukt der Inseln. Auf São Miguel steht noch die älteste Plantage Europas, Besucher können durch die heckenarti­gen Pflanzenre­ihen flanieren und in den Produktion­sräumen bei der Herstellun­g von schwarzem und grünem Tee zusehen.
Unbedingt hingehen
Unbedingt machen Die Azoren sind vom amerikanis­chen Kontinent nicht viel weiter entfernt als vom europäisch­en Festland. Das ganzjährig milde und feuchte Klima erlaubt daher auch den Anbau von Tee, einst das wichtigste Exportprod­ukt der Inseln. Auf São Miguel steht noch die älteste Plantage Europas, Besucher können durch die heckenarti­gen Pflanzenre­ihen flanieren und in den Produktion­sräumen bei der Herstellun­g von schwarzem und grünem Tee zusehen. Unbedingt hingehen
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FOTO: GRUPE Walbeobach­ter Norberto.

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