Auf ein Geusenwort
Auf ein Wort zu stoßen, das man zuvor noch nie gehört hat, ist immer wieder spannend. Beim Recherchieren für die Glosse „Türken Türken?“in der letzten Woche rückte auch der Begriff Kanake ins Blickfeld. Und da stand bei Wikipedia, dass Kanake
sowohl ein Schimpfwort sein könne als auch ein Geusenwort. Ein Geusenwort? Das reizt zum Nachhaken.
Hier in Kürze die verzwickte Geschichte des Wortes Kanake. Kanaka ist hawaiianisch und heißt Mensch. So wurden aber auch die Einwohner anderer polynesischer Inseln genannt, und dieser Name kanaka/kanake bürgerte sich – mit despektierlichem Anklang – im 19. Jahrhundert für billige Arbeitskräfte ein, die von dort nach Australien oder in die USA gelockt wurden. Bald kam er als Sammelbegriff für Südseebewohner auch nach Europa, verlor jedoch allmählich den Bezug zu seiner Herkunft und wurde nach 1900 zu einer abfälligen Bezeichnung für Angehörige verschiedener Länder – anfänglich auch aus Osteuropa, später eher für Menschen mit südländischem Aussehen. Dann setzte nach 1960 noch einmal eine Verschiebung ein, und Kanake mutierte vor allem zum Schimpfwort für Migranten aus Nahost, insbesondere für Türken.
Nach 1990 drehten türkische Einwanderer den Spieß allerdings um. Kanake wurde von ihnen bewusst als Selbstbezeichnung eingesetzt und die Herabwürdigung somit zur Identifikationsstiftung umgewidmet. Kanak Sprak, das speziell eingefärbte Deutsch der Türken, gilt seither vor allem bei der jungen Generation der Migranten als Kult. Stilbildend wirkte hier unter anderem Feridun Zaimoglu mit seinem 1995 erschienenen Buch „Kanak Sprak“
zur Integrationsproblematik. Etliche Comedians wie Kaya Yanar oder Erkan und Stefan segelten in seinem Fahrwasser, und aus dem heutigen Rap lässt sich Kanake
nicht mehr wegdenken. Von Nicht-Türken früher als Beleidigung gemeint, verfehlt es heute sein Ziel.
Nun zum Geusenwort: Als namensgebend gilt die historische Umwidmung eines Schimpfworts zum stolzen Eigennamen. Geusen
war der verächtliche Begriff, mit dem die spanischen Machthaber zwischen 1568 und 1648 die niederländischen Freiheitskämpfer belegten – Geusen, vom französischen gueux für Bettler, Lumpenpack. Diese griffen den Begriff allerdings als Ehrentitel auf, kleideten sich wie Landstreicher – und zwangen letztlich die Spanier ja auch in die Knie.
Geusenwörter gibt es viele. Esel und Elefant für die beiden großen USParteien waren anfänglich Spottnamen. Punk – von englisch punk = Dreckskerl, Rabauke – wurde zur
Selbstbezeichnung einer Jugendkultur. Fauvismus als Name für diese expressive Kunstrichtung nach 1900 war anfänglich eine reine Schmähung – fauve heißt auf Französisch wildes Tier. Schwul verlor ebenfalls seine zunächst nur negativ gemeinte Bedeutung. Und manche Afroamerikaner in den USA nennen sich entwaffnend selbst nigger.
Auch der Begriff Christen soll von Nicht-Christen ursprünglich nicht unbedingt positiv gemeint gewesen sein, als Eigenbezeichnung der neuen Glaubensbewegung dann aber sehr wohl. Als spöttische Verbalinjurie hat es allerdings nie ausgedient. Nehmen wir nur mal Bert Brechts MutterCourage-Song: „Das Frühjahr kommt. Wach auf, du Christ! Der Schnee schmilzt weg, die Toten ruhn, und was noch nicht gestorben ist, das macht sich auf die Socken nun.“Aber apropos Brecht: Was war erklärtermaßen sein Lieblingsbuch? Die Bibel.
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