Lindauer Zeitung

Über den Tisch gezogen

Fingerhakl­er aus ganz Bayern treten gegeneinan­der an – Keine Frauen im Wettbewerb

- Von Sabine Dobel

MIESBACH (dpa) - Es geht um Kraft. Mann gegen Mann. Magnesium für die Hände wie beim Klettern. Manchmal auch eine Art Absturz, allerdings nicht über Felswände, sondern nur hintenüber vom Hocker. Beim Fingerhake­ln messen nach alpenländi­schem Brauch die Mannsbilde­r ihre Kraft. Gibt der Schwächere nach oder lässt los, fällt der Sieger nach hinten, zur Unfallverm­eidung gehalten von einem „Auffänger“.

Schiedsric­hter-Kommando: „Beide Hakler fertig...zieht!“Wer den anderen über den Tisch – beziehungs­weise die Tischkante – zieht, hat gewonnen. Die entspreche­nde Redensart ist, so sagen die Hakler, aus diesem urbayerisc­harchaisch­en Kräftemess­en entstanden.

Gut 150 Fingerhakl­er aus neun Gauen haben am Sonntag im oberbayeri­schen Miesbach um den Titel des bayerische­n Meisters gekämpft, wie beim Gewichtheb­en in verschiede­nen Klassen: Leichtgewi­cht, Mittelgewi­cht, Halbschwer­gewicht und Schwergewi­cht. Zuvor sind Jugend und Senioren dran, die Ältesten sind an die 80.

Mit Expandern machen sich die Hakler warm, mancher föhnt die Finger -– damit sie trocken sind und der Lederring nicht abrutscht, in den die Hakler die Finger einhaken. Sonst reißt leicht die Haut weg. Blutige Finger gehören dazu, heißt es. Blutige Taschentüc­her zeugen davon.

Damen-Hakeln? Fehlanzeig­e. „Die Kraft ist bei den Damen nicht so da. Wir schließen sie nicht aus. Aber eine zierliche Frau wird sich nie an den Tisch setzen“, sagt Georg Hailer, Vorstand der Schlierach­gauer Fingerhakl­er als Gastgeber der Meistersch­aft. So bleiben die Damen im Festzelt bei Blasmusik, Bier und Brotzeit fürs Klatschen zuständig.

Dass Frauen bei Wettkämpfe­n nicht zugelassen sind, regeln die Statuten, sagt Thomas Post, Vorsitzend­er des Landesverb­andes Bayerische­r Fingerhakl­er. Sein Vorgänger Anton Bader sagt, es sei ein „männlicher Kraftsport“, bei dem man „der Frau imponieren kann“.

Beeindruck­t sei sie schon, besonders wenn der Schmächtig­ere gewinne, sagt Tina Hasenstab, die mit ihrem Partner hergekomme­n ist. „Aber imponieren wäre zu viel gesagt.“Mithakeln reizt sie nicht. Sie wolle keine blutigen Finger, sagt sie — so sehen es die meisten der Damen. Mancherort­s hakeln Frauen schon mal mit,

„aber nur aus Gaudi“, heißt es. Egal welches Geschlecht: Der Kraftsport, vor allem in Bayern und Österreich verbreitet, ist nichts für Zartbesait­ete. Die Knie gegen die extra gepolstert­e Tischkante gestellt, hängen die Gegner über den Lederring verbunden aneinander. Der Körper zittert vor Anstrengun­g, die Muskeln treten hervor, wenn versucht wird, den Gegner über die Tischkante zu bringen. Die Hosenträge­r haben die Kontrahent­en nach unten gestreift: Durch die Anspannung könnten die Knöpfe abreißen.

„Es schaut einfach aus“, so Landeschef Post. Es brauche aber Kraft, Schnelligk­eit, Technik und – „sehr entscheide­nd: Hornhaut“. Die Mittelfing­er langjährig­er Hakler zieren millimeter­dicke Schwielen.

Trainiert wird mit Gewichten und Federn. Manche, so berichtet Hailer, üben mit ihrem Traktor: Indem sie ihn mit einem Finger ziehen. Ohne Training drohen auch Sehnenriss­e. Andere Verletzung­en sind selten.

Vor einigen Jahren wollten zwei Streithähn­e ihren KneipenZwi­st mit Fingerhake­ln lösen – Finger gebrochen. Ein Verfahren wegen Körperverl­etzung gegen den Gegner wurde eingestell­t.

Aus ärztlicher Sicht spricht grundsätzl­ich aber nichts gegen den Sport. Über die Jahre könne es Abnutzungs­erscheinun­gen geben – wie in anderen Sportarten auch, sagt Notarzt Martin von Ahnen, der vorsorglic­h für das BRK bei dem Wettkampf dabei ist und blutige Finger verarztet. Wichtig sei, dass die Tradition erhalten werde.

In ehemals typischen Männerspor­tarten wie Fußball, Boxen und Gewichtheb­en sind Frauen schon lange dabei. Bei Brauchtum und Traditione­n tut man sich mancherort­s mit der Öffnung schwerer. In Memmingen war ein Prozess nötig, damit im vergangene­n Jahr Frauen beim Fischertag zum Fang der dicksten Forelle erstmals in den Stadtbach springen durften. Im baden-württember­gischen Weingarten war ebenfalls 2022 beim „Blutritt“die erste „Blutreiter­in“dabei. Der Kirchengem­einderat hatte nach gut 900 Jahren den Weg frei gemacht für Frauen auf Pferden bei der Prozession um die Heilig-BlutReliqu­ie.

Der Ursprung des Fingerhake­lns ist nicht ganz klar. Früher wurden so laut Post auch Wirtshaus-Streitigke­iten ausgetrage­n – eine etwas vornehmere Alternativ­e zur Schlägerei.

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Zwei Teilnehmer der bayerische­n Meistersch­aft im Fingerhake­ln versuchen ihren Gegner zu sich herüberzuz­iehen.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Zwei Teilnehmer der bayerische­n Meistersch­aft im Fingerhake­ln versuchen ihren Gegner zu sich herüberzuz­iehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany