Fürstin in Bedrängnis
REGENSBURG - Führung durchs Schloss St. Emmeram, dem Regensburger Sitz von Gloria von Thurn und Taxis, volkstümlich auch als Fürstin Gloria bekannt. Die prächtige, goldschimmernde Hauskapelle ist erreicht. „Die Fürstin sieht die Religion sehr streng“, erklärt der junge Führer seinem meist gesetztem Publikum. „Erzkatholisch“, ertönt ein Zwischenruf aus der Besucherrunde. Der Führer nickt freudig, verweist auf die eigene tiefe Gläubigkeit und versucht den Leuten die Haltung seiner Chefin näherzubringen: „Konservativ versteht sie als bewahrend.“
Wie sich zumindest ältere Semester erinnern, ist die inzwischen 63-jährige Hochadelige einst völlig konträr ins Licht der Öffentlichkeit getreten: durch schräge Frisuren und schrille Partys während der 1980er-Jahre. „Ihre wilde Zeit“, heißt es dazu ganz offen während des Schlossbesuchs. Boulevardblätter liebten es, sich über die „Punk-Fürstin“zu schockieren, angestaubte Frauenzeitschriften sahen den feinen Adelsmythos in Gefahr. Heutzutage kommen Befürchtungen ganz woanders her: vor allem von der politisch linken Seite.
Dies geht so weit, dass Gloria von Thurn und Taxis dort als faschistische Versuchung begriffen wird: rassistisch, rechtspopulistisch, Feindin von Homosexuellen, Skeptikerin eines menschengemachten Klimawandels – Vorwürfe, die sich im herrschenden Meinungsklima nur schwer steigern lassen. Untermauert werden sie mit diversen öffentlichen Äußerungen der attackierten Fürstin. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2015 die Grenze für unzählige Flüchtlinge öffnen ließ, fiel der Satz: „Man könnte fast sagen, diese Völkerwanderung, die hier auf uns zuströmt, ist schon eine Art Krieg.“2018 meinte sie zur Heirat gleichgeschlechtlicher Paare: „Es gibt Perioden, da scheint der Teufel fröhliche Urstände zu feiern.“
Die Liste der Sprüche ließe sich locker verlängern. Gegner von ihr sammeln das Gesagte lustvoll. Sie machen zudem zusehends mobil. Jüngst gab es in Regensburg gleich zwei Boykottaufrufe gegen Gloria von Thurn und Taxis. Ziel sind die Schlossfestspiele, ein zentrales Kulturereignis der Stadt. Start ist am 14. Juli. Dabei sein werden unter anderem der Sänger
Eros Ramazotti und die Popband Simply Red.
Rund 30.000 Menschen kommen üblicherweise zu dem zehntägigen Event auf dem Gelände von St. Emmeram am Altstadtrand. Es soll dieses Jahr ein Fiasko werden, wollen die Boykottaufrufer. Das zum linken Spektrum gehörende Bündnis Solidarische Stadt Regensburg fordert die Festivalteilnehmer wie schon mehrere Jahre zuvor zum Fernbleiben auf. In der Frau vereinige sich alles, „was für demokratiegesinnte Menschen ein Graus ist“, lautet die Begründung. Der örtliche Fotokünstler Jonas Höschl hat die Unterschriften von 100 Menschen gesammelt, die sich als Kulturschaffende verstehen. Sie fordern: „Treten wir ihrem Hass Hand in Hand entgegen.“
Derweil hat der rührige Schlossführer das weltanschauliche Thema beim Gang durch die Hauskapelle schon wieder beiseite geschoben. Er widmet sich der Erklärung des Altarbildes. Eigentlich schade, denkt man sich und hüpft zu einem weiteren Gedanken: Toll wäre es, wenn Gloria von
Thurn und Taxis der Gruppe selber ihren Standpunkt erläutern könnte. Aber dem ist bei einem profanen Touristenbesuch eben nicht so. Schließlich hat die Dame unter anderem noch das Familiensilber inklusive diverser Unternehmen und unglaublich viel Forst zu verwalten – ein Vermögen im Schätzwert von rund einer Milliarde Euro, mal etwas mehr, mal etwas weniger.
Die Malaise der fehlenden Schlossherrin lässt sich aber mit weiteren ihrer überlieferten Zitate kaschieren – so mit einen Bonmot zur politischen Einstellung. „Rechtskonservativ ist man doch heute schon, wenn man sich regelmäßig die Zähne putzt“, hat sie vor wenigen Jahren in einem Interview mit der „Mittelbayerischen Zeitung“gesagt.
Das Zitat lässt zwei Muster erkennen, die sich oft bei Gloria von Thurn und Taxis finden: flapsige Worte, dazu das deutliche Ablehnen eines Zeitgeistes, den sie als links versteht. Wobei der Eindruck der Fürstin, dass allzu hemdsärmlig in politische Schubladen eingeteilt wird, durchaus nicht von der Hand zu weisen ist. Erst jüngst hat dies ein irritierendes Medienereignis gezeigt, verursacht vom ARD/ZDF-Funk-Format „Die da oben“. Es stellte die Unionspolitiker Friedrich Merz und Markus Söder in eine Reihe mit den AfD-Größen Alice Weidel sowie Björn Höcke, dem inzwischen sogar offiziell das Etikett Nazi angeheftet werden darf. Offensichtliches Motto des FunkFormats: alle rechts – wenigstens irgendwie.
Aber der Umgang mit Gloria von Thurn und Taxis wäre zu simpel, ließe man das besagte Zitat einfach so stehen. Es hat nämlich einen speziellen Hintergrund. Zuvor war es im Interview um ihr offen zur Schau getragenes Verständnis für Leute wie den damaligen US-Präsidenten Donald Trump, dessen Vordenker Steve Bannon und Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán gegangen. Letztlich milderte sie deren weit rechts verortete Geisteshaltung ab.
Besonders die Bekanntschaft mit Orbán hängt ihr nach. Sie hatte ihn 2012 als Stargast zu den Schlossfestspielen eingeladen. Es wurde ein Großauftritt mit ungarischer Nationalhymne. Bereits damals sah die Regensburger SPD-Landtagsabgeordnete Margit Wild darin „einen Skandal“. Andererseits hatte aber die CSU sechs Jahre später keine Bedenken, Orbán zu ihrer Klausur nach Seeon einzuladen. Erst danach folgende autoritäre Wirrungen des Ungarn zerrütteten das Verhältnis der Christsozialen zu ihm.
Erstmals war Gloria von Thurn und Taxis 2001 abseits von ihrem Alt-Image als Punk-Fürstin aufgefallen. Sie leistete sich ihre bisher bekannteste Bemerkung: „Der Schwarze schnackselt gern.“Der Satz fiel in der ARD-Talkshow „Friedman“. Es sollte eine Erklärung sein, weshalb sich Aids in Afrika schlecht unter Kontrolle bringen ließ. Je nach Geisteshaltung der Leute stieß die Frau damit auf harsche Ablehnung bis hin zu schenkelklatschendem Gelächter an manchem Stammtisch.
Nun könnte man sich fragen, wieso eine im zwar sehr schönen, aber doch eher provinziellen Regensburg beheimatete Blaublütlerin etwas zu Aids in Afrika sagen soll? Auch an diesem Punkt kommt ein Facettenreichtum zutage. Ihr Vater Joachim Graf von Schönburg-Glauchau war fünf Jahre als Journalist in Afrika tätig gewesen – inklusive Tochter Gloria.
Noch heute, so heißt es, verbringe sie jährlich einige Monate dort.
Später leistete Gloria von Thurn und Taxis übrigens Abbitte wegen des Schnacksel-Satzes – dies aber nach Art des Hauses: Anderswo werde auch gerne geschnackselt. Was sich locker anhört, während sich gleichzeitig ihre Sexualmoral an jener von konservativen katholischen Würdenträgern orientiert. Genannt sei Gerhard Kardinal Müller, bis 2012 Bischof von Regensburg und ein Vertrauter für die Gescholtene. Wie sie einmal mehr der Öffentlichkeit Kund tat, hat Sex der Fortpf lanzung zu dienen, Abtreibung ist Mord, Verhütung unmoralisch und Homosexualität Sünde. Ironischerweise war ihr 1990 verstorbener, wesentlich älterer Mann, die einstige Jetset-Größe Johannes von Thurn und Taxis, in seinen jungen Jahren für gleichgeschlechtliche Neigungen bekannt – zumindest vor der Heirat 1980. Was Witwe Gloria nicht negiert. In einem Interview mit der „Bild am Sonntag“danach gefragt, lautete die Antwort: „Das waren die wilden 70er-Jahre. Mein Mann war ein Kind seiner Zeit, der hat nix ausgelassen.“Wobei sie nachlegte und erklärte, reine Homosexualität gebe es gar nicht. Sie sei vielmehr eine Modeerscheinung.
Zuletzt sind es dann erneut ihre Ansichten zu diesem Thema gewesen, die Emotionen anheizten. Podium war vergangenen Dezember der YouTube-Kanal von Ex-Bild-Chef Julian Reichelt. Im Kern wollte sie sagen, dass es vorzuziehen sei, wenn Sexualität – und damit auch Homosexualität – diskret behandelt würde. „Aber warum muss das Schlafzimmer jetzt in die Politik getragen werden?“, fragte sie. „Das ist doch nicht chic. Das macht man nicht.“Tatsächlich war bei den Altvorderen Sex etwas für die Nacht daheim. Oft soll dabei sogar das Licht gelöscht worden sein. Ihre Gegner sehen aber im Thurn-und-Taxischen Standpunkt die unverhohlene Aufforderung, dass sich Homosexuelle zu verstecken hätten. Die örtliche Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes forderte daraufhin lautstark die Enteignung der Adeligen. Was der Auftakt zu den aktuellen Querelen war. Selbst die Stadt kam nicht umhin, sich zu positionieren. Die Schlossfestspiele seien zwar eine kulturelle Bereicherung für Regensburg, heißt es. Oberbürgermeisterin
Gertrud Maltz-Schwarzfischer von der SPD ergänzt aber: „Von den umstrittenen Äußerungen der Fürstin distanzieren wir uns deutlich.“
Auch der Hauptsponsor der Festspiele regt sich: die BMWWerke Regensburg. Diese sehen sich durch Äußerungen von Gloria von Thurn und Taxis moralisch bedrängt. Sie entsprächen nicht den Grundwerten von BMW, lässt das Werk mitteilen. Es droht mit dem Ausstieg. Tatsächlich ist die Herrin von St. Emmeram aber noch nicht einmal Veranstalter des Events. Sie stellt nur den Grund zur Verfügung und fungiert als Schirmherrin. Als Verantwortlicher agiert die Odeon-Concerte-Agentur von Reinhard Söll. Er sieht in der Affäre „eine Hetze von Linksradikalen“. Sie würden Gloria von Thurn und Taxis mit Hass verfolgen. Eine Anmerkung, die Öl ins Feuer goss. Die Boykottaufrufer verwehren sich heftig gegen die Vorwürfe.
Gelassen hat die Schlossherrin reagiert. „Diese Proteste sind Ausdruck der demokratischen Freiheiten unzufriedener Mitbürger“, teilt sie mit. Unklar bleibt dabei, wie viele Regensburger sich an ihr stören. Spricht man auf den Gassen mit Alteingesessenen, ist von einer überschaubaren Minderheit die Rede. Immer wieder heißt es dagegen: „Auf die Fürstin lasse ich nichts kommen.“Es folgt dann oft die Anmerkung, wie volkstümlich sie doch sei. „Ich sehe sie immer wieder auf dem Elektoroller vorbeifahren“, berichtet der Betreiber eines Trödelladens. Ein anderer Shop-Betreiber meint: „Man muss ihre Meinung ja nicht teilen. Die Fürstin ist halt etwas schrullig.“
Oder seltsam? Oder extrem? Oder nur außerhalb des Mainstream? Einem Frauen-Duo vor dem Schloss ist es völlig egal. Es fachsimpelt lieber darüber, „wie viele Kinder die Gloria hat?“Wohl Adelsfans. Zur Aufklärung: Zwei Töchter und ein Sohn sind es.
Hinter den Schlossmauern preist der Touristenführer derweil die Geschichte des Geschlechts, zeigt Prachtgemächer. Mit der Zeit wird die Besichtigung ermüdend. Doch dann weist der Führer auf eine Vitrine. Darin ist eine weiße Scheitelkappe samt Bild des streng konservativen Papstes Benedikt XVI. Er trug die Kopfbedeckung einst. Ihr Ehrenplatz könnte als Statement verstanden werden. Mit diesem Gedanken lässt einen der Schlossführer aber alleine.
Gloria von Thurn und Taxis mischt sich seit Langem mit polarisierenden Aussagen in aktuelle Debatten ein. Nun wollen politische Gegner die Festspiele in ihrem Schloss zu Fall bringen.