Landleben, Mafia und Crystal Meth
Viel Beifall für die jungen Autoren beim 62. Literarischen Forum Oberschwaben
WANGEN - Idylle pur in der wie ausgeblasen wirkenden Kleinstadt im Allgäu, blitzblanke Häuser, Vorgärten wie aus dem Magazin: Im spätmittelalterlichen Weberzunfthaus in Wangen tagt wieder der alljährliche Lesemarathon des Literarischen Forums Oberschwaben, das inzwischen seinen Wirkungskreis weit darüber hinaus ausgedehnt hat. Unter der Netzwerker-Doppelspitze aus Franz Hoben und Silke Knäpper, hat sich das diesmal 14 Köpfe zählende „Podium“zwar noch nicht grundsätzlich stark verjüngt, kann aber derzeit auf „stabile finanzielle Rahmenbedingungen“blicken. Aber es sei eine „sehr ausgedünnte Verlagslandschaft“zu beklagen, erklärte Hoben, und deshalb seien Publikationen von Forumsmitgliedern wie Ruth Erath und Karin Seglitz umso erfreulicher.
Nach halbstündigem Rapport treffen Peter Renz und Oswald Burger ein: herzlicher Applaus für die Väter des Forums. 32 Bewerbungen waren eingegangen, nun sind hier sieben Autorinnen und drei Autoren zur Lesung eines noch nicht publizierten Textes gekommen, die Jüngste Jahrgang 2002, die Älteste 1962.
Ljiljana Pospisek, 1976 in der Schweiz geboren und bei den Großeltern in bäuerlicher Umgebung in Serbien aufgewachsen, macht den Anfang. Ein berührender Erinnerungstext vom Leben des Kindes auf dem Land mit emotional gewichtigen und präzisen Bildern verursacht ihr selbst die Mühe nötiger Distanzierung beim Lesen. Hier erinnert sich eine Autorin an ihr Kindsein. Im nächsten Text „Kehrwende“schildert Laura Kind, 1979 in
Wuppertal geboren, ein von Banalität und restgiftiger Gefühlsapathie bestimmtes Streitgespräch zwischen einem Paar im Auto ohne Ziel. Viel Applaus gibt es für die geübte Lesung und den „starken Text“(Peter Blickle), der „wie unsere Gegenwart“anmute (Philipp Brotz) und die „immer klagende Frau“(Peter Renz) thematisiere.
Der 1967 in Saarbrücken geborene Marcus Hammerschmitt, seit 1994 als freier Schriftsteller tätig und jetzt im holsteinischen Eutin lebend, liest Gedichte und möchte „lieber gehört als gelesen“werden. Trotzdem bekommt das Publikum Kopien, in denen die Interpunktion erstaunlich viel mehr Gewicht hat als in der mit viel Beifall bedachten Lesung Hammerschmitts.
Sabine Bockmühl, Jahrgang 1962, betreibt ein Grafikbüro im nahen Liechtenstein und liest zwei Abschnitte aus ihrem „Clusterroman“. „Die Häscher“klingt wie eine Mafiageschichte und ist wohl als Dystopie zu verstehen, beim zweiten Text „Arbeit macht frei“setzt das Verstehen offenbar allgemein etwas aus, vermutlich ist der Titel zu einspurig assoziativ. Eine längere Kurzgeschichte über ein Liebespaar, das sich Fragen stellt und keine Antworten darauf gibt, bringt dem 1972 geborenen Daniel Gräfe durchaus freundlichen Applaus.
Auch am Nachmittag – bei gleichbleibender Teilnehmerzahl – ist das Interesse groß und steigert sich zu großer Zustimmung für den Text „Schadstoff “von Maren Wurster, Jahrgang 1976 aus Gartow, der zu vielen Wortbeiträgen anregt. Auch die sehr junge Autorin Tamara Schneider aus Tübingen mit ihrer beklemmenden Vater-Tochter-Geschichte „Ortswechsel“und die jüngste Autorin, Charlotte Florack aus Leipzig, bekommen das ungeteilte Interesse des Publikums für ihre auf Videofilm oder Slam Poetry anspielenden Texte – auch wenn mitunter genau diese zeitgenössische monotone Hektik verstören und nerven kann.
Dagegen wirkt der Text der Ludwigsburgerin Dagmar Petrick, geboren 1970, wie aus der Zeit gefallen. „Wildwuchs“ist die Geschichte einer erschöpften Ehefrau und Mutter, deren Leben von anderen bestimmt wird und die sich offenbar nicht zur Wehr setzt. Für die meisten im Publikum und das Forum war das wohl heute nicht mehr vorstellbar. Aber stimmt das denn so? Oder ist es nur eine wohlfeile Selbstvergewisserung?
Einen Höhepunkt setzte zum Abschluss Joachim Off, Jahrgang 1976, aus Gerlingen mit dem Text „Ich, Tim, Paradies“über Drogis auf „Ice“, sprich Crystal Meth. Doppelbödig, weil man erst mal nur „Eis“versteht und zwei Personen „hört“, aber am Ende nicht aufgelöst bekommt, ob es doch nur eine Person in der Schizophrenie zwischen Sucht und Freiheit gibt, und atemlos, und angenehm virtuos gelesen. Und der krasse Kommentar vom Autor zum Beifall: „Ich mag es, wenn ein Plan funktioniert!“Da erübrigte sich fast das Schlusswort ...