Die Ukraine verliert langsam weiter an Boden
US-Institut bestätigt russische Geländegewinne – Massive Schäden an Energieanlagen nach Luftschlägen
KIEW (dpa) - Die Ukraine hat nach landesweitem Luftalarm und massiven russischen Angriffen erneut schwere Schäden an der Energieinfrastruktur des Landes gemeldet. Es seien Wasser- und Wärmekraftwerke im Westen und im zentralen Teil der Ukraine beschädigt worden, teilte der Energieversorger Ukrenerho am Freitag mit. Die ukrainische Luftverteidigung meldete am Morgen, es seien von insgesamt 99 russischen Zielen 84 abgeschossen worden. Demnach setzte Russland massiv Drohnen, Raketen und Marschf lugkörper ein. Im Westen der Ukraine meldeten die Gebiete Iwano-Frankiwsk und Chmelnyzkyj Explosionen nach den kombinierten Luftschlägen.
Nach Angaben des Energieministeriums in Kiew waren besonders Anlagen für die Stromerzeugung Ziele der Raketen und Drohnen. Einsatzkräfte arbeiteten daran, die Folgen der Luftschläge zu beseitigen, teilte das Ministerium mit. Betroffen war unter anderem auch die Region Dnipropetrowsk.
Russland hatte in seinem seit mehr als zwei Jahren andauernden Angriffskrieg gegen die Ukraine zuletzt wieder verschärft die Energieinfrastruktur des Landes angegriffen. Dadurch sollen die Menschen in dem Land weiter auch psychisch zermürbt werden. Dem Stromnetzbetreiber Ukrenerho zufolge sind im Gebiet Charkiw derzeit planmäßige Stromabschaltungen notwendig. Gefährdet ist die Stromversorgung auch in den Gebieten Odessa und Chmelnyzkyj. Die Ukraine importiert derzeit Strom aus fünf westlichen Nachbarländern.
Derweil haben Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine Geländegewinne bescheinigt. Die russischen Streitkräfte hätten eine Fläche von 505 Quadratkilometern seit Beginn der Offensivoperationen im Oktober eingenommen, berichtete das ISW in seiner Analyse vergangenen Donnerstag. Das entspricht mehr als dem Zweifachen der Fläche der Stadt Frankfurt am Main. Zwar verhindere die Ukraine noch, dass Russland größere taktische Gewinne entlang der gesamten Frontlinie mache. „Aber eine weitere Verzögerung der US-Sicherheitshilfe wird die Gefahr eines russischen operativen Erfolgs vergrößern“, hieß es.
Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor einer möglichen neuen russischen Großoffensive im Frühsommer gewarnt. Nach ISW-Einschätzung wird Russland sein bisheriges Offensivtempo ungeachtet der derzeit schwierigen Wetterverhältnisse beibehalten und die Probleme der ukrainischen Streitkräfte bei der Materialbeschaffung und beim Personal ausnutzen. Die Ukraine hingegen sei gezwungen, ihre begrenzten Ressourcen an kritischen Stellen der Front zu konzentrieren. Dadurch wachse das Risiko, dass die russische Armee an weniger gut gesicherten Abschnitten die Verteidigungslinie durchbrechen könnte. Das könne zu bedeutenden Erfolgen der russischen Seite in Zukunft führen.