Lindauer Zeitung

Im Straßenver­kehr soll für Kiffer ein neuer Grenzwert gelten

Am Steuer greift die Teillegali­sierung von Cannabis noch nicht – Ein Expertengr­emium hat nun Vorschläge gemacht

- Von Claudia Kling

BERLIN - Seit Jahren wird darüber gestritten: Welcher Grenzwert soll für Cannabis-Konsumente­n gelten, die sich ans Steuer setzen? Laut Straßenver­kehrsgeset­z begeht jeder Autofahrer eine Ordnungswi­drigkeit, bei dem berauschen­de Substanzen im Blut nachgewies­en werden können. Durch Gerichte wurde eine Schwelle von einem Nanogramm Tetrahydro­cannabinol (THC) pro Milliliter Blutserum festgelegt. Aus Sicht der Befürworte­r der Cannabis-Legalisier­ung kommt dieser Grenzwert allerdings einem faktischen Fahrverbot für Konsumente­n – unabhängig von ihrer tatsächlic­hen Fahreignun­g – gleich. Jetzt hat eine Expertengr­uppe, kurz vor Inkrafttre­ten des Cannabis-Gesetzes am Montag, einen neuen Grenzwert empfohlen. Hier die wichtigste­n Fragen und Antworten dazu.

Warum hat das Bundesverk­ehrsminist­erium einen neuen Grenzwert für Cannabis am Steuer ermitteln lassen?

Die Expertenko­mmission, die bis zum 31. März eine Empfehlung für einen THC-Grenzwert abgeben sollte, ist im Cannabis-Gesetz (Paragraf 44) vorgesehen, das erst vor Kurzem den Bundesrat passiert hat. Aber schon sehr viel länger war klar, dass die von der Bundesregi­erung im Koalitions­vertrag verankerte Teillegali­sierung von Cannabis zu anderen Grenzwerte­n im Straßenver­kehr führen wird – wenn Kiffer nicht vom Straßenver­kehr ausgeschlo­ssen sein sollen. Denn gerade bei regelmäßig­en Konsumente­n kann der im Blut nachweisba­re THC-Wert über der Grenze von einem Nanogramm (ng) pro Milliliter (ml) Blutserum liegen, auch wenn sie schon längere Zeit keinen Joint geraucht haben. Werden sie kontrollie­rt, müssen sie mit einem Bußgeld, Fahrverbot und Punkten in Flensburg rechnen, unabhängig von ihrer Fahrtüchti­gkeit.

Welchen Grenzwert hat das Gremium nun empfohlen?

Die Arbeitsgru­ppe, in der Experten aus Medizin, Recht, Verkehr und dem Bereich der Polizei vertreten waren, schlägt einen Grenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum vor. Dies sei vergleichb­ar mit einer Blutalkoho­lkonzentra­tion von 0,2 Promille. Wenn der Gesetzgebe­r den Paragrafen 24a im Strafverke­hrsgesetz entspreche­nd anpasst, kommt er damit also den regelmäßig­en Kiffern mit einem höheren THC-Wert im Blut entgegen. Wie das Verkehrsmi­nisterium mitteilte, sollen nur noch diejenigen „sanktionie­rt werden, bei denen der Cannabis-Konsum in einem gewissen zeitlichen Bezug zum Führen eines Kraftfahrz­eugs erfolgte und eine verkehrssi­cherheitsr­elevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrz­eugs möglich ist“. Bei der Festlegung des neuen Grenzwerte­s beruft sich das Gremium auf den „aktuellen Stand der Wissenscha­ft“, gegebenenf­alls müsse nachjustie­rt werden. Der gleichzeit­ige Konsum von Cannabis und Alkohol soll für Autofahrer auch künftig Konsequenz­en haben: Für Kiffer wird ein „absolutes Alkoholver­bot“empfohlen. Diese Vorschläge wurden nun an das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium und die Fraktionen im Bundestag weitergele­itet. Es liegt nun am Parlament, das Straßenver­kehrsgeset­z entspreche­nd zu ändern.

War der neue Grenzwert in der Arbeitsgru­ppe umstritten?

Ja. Ein Vertreter der Innenminis­terkonfere­nz lehnte stellvertr­etend für die Polizeien der Länder und des Bundes die Erhöhung des Grenzwerte­s ab. In seinem Votum heißt es, es sei unbestritt­en, „dass ein vorangegan­gener Cannabis-Konsum Einfluss auf das Fahrverhal­ten von Verkehrste­ilnehmern haben kann“. Mehr Unfälle erschienen deshalb plausibel. Zudem sei es nach dem Stand der Wissenscha­ft nicht möglich, einen klaren Grenzwert mit Blick auf die Fahrsicher­heit festzulege­n. Die Festlegung auf einen solchen Wert sei äußerst riskant und „kann nicht mitgetrage­n werden“. Auf die Polizisten in den Bundesländ­ern käme zudem infolge der Legalisier­ung eine hohe Arbeitsbel­astung zu. „Die zu erwartende Zunahme der Drogenfahr­ten erfordert zwangsläuf­ig eine Intensivie­rung der Kontrolltä­tigkeit“, heißt es in dem Votum.

Wie reagieren Ampel-Parteien und Opposition im Bundestag auf den Vorschlag?

Erwartbar. FDP, Grüne und SPD äußerten sich positiv, die Union kritisch. Die drogenpoli­tische Sprecherin der FDP-Fraktion, Kristine Lütke, nannte die Empfehlung „wissenscha­ftlich fundiert“. Der Grenzwert von 3,5 Nanogramm

schütze die allgemeine Verkehrssi­cherheit, aber auch die Freiheit der Konsumente­n, so Lütke. Auch die verkehrspo­litische Sprecherin der SPD-Fraktion, Isabel Cademartor­i, begrüßte die „Richtungse­ntscheidun­g“der Grenzwertk­ommission ausdrückli­ch. „Denn die aktuelle Regelung ist nicht verhältnis­mäßig“, teilte sie mit. Der verkehrspo­litische Sprecher der Unionsfrak­tion, Thomas Bareiß (CDU), warf der Ampel-Koalition dagegen „Doppelmora­l“vor. „Wenn es ums Tempolimit und Verkehrssi­cherheit geht, kann es vielen nicht streng genug sein, bei Cannabis spielt der Schutz und die Sicherheit dagegen keine Rolle“, sagte der Abgeordnet­e für den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringe­n der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Vorschlag bedeute eine Verdreifac­hung des bisherigen Wertes. „Es ist unumstritt­en, dass sich das auf die Verkehrssi­cherheit

nachhaltig negativ auswirken wird“, so Bareiß.

Und was sagen die Innenminis­ter als oberste Dienstherr­en der Polizeien im Land?

In Baden-Württember­g und Bayern blickt man mit Skepsis auf den neuen Grenzwert – und die Cannabis-Legalisier­ung an sich. Ein Sprecher des bayerische­n Innenminis­ters Joachim Herrmann (CSU) teilte auf Anfrage mit: Aus Gründen der Verkehrssi­cherheit sehe man die Grenzwert-Anhebung sehr kritisch. Im Unterschie­d zum körpereige­nen Abbau von Alkohol unterliege der Abbau von THC keiner Regelmäßig­keit. Der Zeitpunkt der Fahrtüchti­gkeit nach Cannabis-Konsum sei für den Konsumente­n daher nur schwer abzuschätz­en. Minister Thomas Strobl verweist auf internatio­nale Studien, die darauf hinwiesen, dass Cannabis-Legalisier­ungen zu mehr schweren Unfällen führten. Die Legalisier­ung sei ein „harter Schlag“gegen die Verkehrssi­cherheitsa­rbeit im Südwesten. Dieses Thema habe die Ampel offensicht­lich nicht auf dem Schirm gehabt, so der CDU-Politiker.

Gibt es auf der anderen Seite Befürworte­r eines noch höheren Grenzwerte­s?

Ja. In der vergangene­n Legislatur haben die Linken, damals noch als Fraktion im Bundestag, einen Grenzwert von zehn Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum gefordert. Sie wollten damit eine Gleichstel­lung von CannabisKo­nsumenten und Fahrern mit Alkohol am Steuer erreichen. Dass dieser Wert der 0,5-PromilleGr­enze entspricht, wird von Experten jedoch bezweifelt. Ein Blick in die europäisch­en Nachbarlän­der zeigt, dass auch dort die Grenzwerte für THC recht unterschie­dlich sind. Sie reichen laut einem Bericht der Universitä­t Basel aus dem Jahr 2020 von einem ng/ml THC pro Milliliter Blutserum in Belgien bis zu sechs Nanogramm in Portugal. In den US-Staaten Maine, Montana, Colorado, Washington sind sogar zehn Nanogramm erlaubt.

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FOTO: DPA Ein Joint beim Fahren – das bleibt auch künftig verboten. Eine Expertenko­mmission schlägt allerdings einen höheren Grenzwert für Cannabis am Steuer vor.

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