Im Straßenverkehr soll für Kiffer ein neuer Grenzwert gelten
Am Steuer greift die Teillegalisierung von Cannabis noch nicht – Ein Expertengremium hat nun Vorschläge gemacht
BERLIN - Seit Jahren wird darüber gestritten: Welcher Grenzwert soll für Cannabis-Konsumenten gelten, die sich ans Steuer setzen? Laut Straßenverkehrsgesetz begeht jeder Autofahrer eine Ordnungswidrigkeit, bei dem berauschende Substanzen im Blut nachgewiesen werden können. Durch Gerichte wurde eine Schwelle von einem Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter Blutserum festgelegt. Aus Sicht der Befürworter der Cannabis-Legalisierung kommt dieser Grenzwert allerdings einem faktischen Fahrverbot für Konsumenten – unabhängig von ihrer tatsächlichen Fahreignung – gleich. Jetzt hat eine Expertengruppe, kurz vor Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes am Montag, einen neuen Grenzwert empfohlen. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.
Warum hat das Bundesverkehrsministerium einen neuen Grenzwert für Cannabis am Steuer ermitteln lassen?
Die Expertenkommission, die bis zum 31. März eine Empfehlung für einen THC-Grenzwert abgeben sollte, ist im Cannabis-Gesetz (Paragraf 44) vorgesehen, das erst vor Kurzem den Bundesrat passiert hat. Aber schon sehr viel länger war klar, dass die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag verankerte Teillegalisierung von Cannabis zu anderen Grenzwerten im Straßenverkehr führen wird – wenn Kiffer nicht vom Straßenverkehr ausgeschlossen sein sollen. Denn gerade bei regelmäßigen Konsumenten kann der im Blut nachweisbare THC-Wert über der Grenze von einem Nanogramm (ng) pro Milliliter (ml) Blutserum liegen, auch wenn sie schon längere Zeit keinen Joint geraucht haben. Werden sie kontrolliert, müssen sie mit einem Bußgeld, Fahrverbot und Punkten in Flensburg rechnen, unabhängig von ihrer Fahrtüchtigkeit.
Welchen Grenzwert hat das Gremium nun empfohlen?
Die Arbeitsgruppe, in der Experten aus Medizin, Recht, Verkehr und dem Bereich der Polizei vertreten waren, schlägt einen Grenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum vor. Dies sei vergleichbar mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille. Wenn der Gesetzgeber den Paragrafen 24a im Strafverkehrsgesetz entsprechend anpasst, kommt er damit also den regelmäßigen Kiffern mit einem höheren THC-Wert im Blut entgegen. Wie das Verkehrsministerium mitteilte, sollen nur noch diejenigen „sanktioniert werden, bei denen der Cannabis-Konsum in einem gewissen zeitlichen Bezug zum Führen eines Kraftfahrzeugs erfolgte und eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeugs möglich ist“. Bei der Festlegung des neuen Grenzwertes beruft sich das Gremium auf den „aktuellen Stand der Wissenschaft“, gegebenenfalls müsse nachjustiert werden. Der gleichzeitige Konsum von Cannabis und Alkohol soll für Autofahrer auch künftig Konsequenzen haben: Für Kiffer wird ein „absolutes Alkoholverbot“empfohlen. Diese Vorschläge wurden nun an das Bundesgesundheitsministerium und die Fraktionen im Bundestag weitergeleitet. Es liegt nun am Parlament, das Straßenverkehrsgesetz entsprechend zu ändern.
War der neue Grenzwert in der Arbeitsgruppe umstritten?
Ja. Ein Vertreter der Innenministerkonferenz lehnte stellvertretend für die Polizeien der Länder und des Bundes die Erhöhung des Grenzwertes ab. In seinem Votum heißt es, es sei unbestritten, „dass ein vorangegangener Cannabis-Konsum Einfluss auf das Fahrverhalten von Verkehrsteilnehmern haben kann“. Mehr Unfälle erschienen deshalb plausibel. Zudem sei es nach dem Stand der Wissenschaft nicht möglich, einen klaren Grenzwert mit Blick auf die Fahrsicherheit festzulegen. Die Festlegung auf einen solchen Wert sei äußerst riskant und „kann nicht mitgetragen werden“. Auf die Polizisten in den Bundesländern käme zudem infolge der Legalisierung eine hohe Arbeitsbelastung zu. „Die zu erwartende Zunahme der Drogenfahrten erfordert zwangsläufig eine Intensivierung der Kontrolltätigkeit“, heißt es in dem Votum.
Wie reagieren Ampel-Parteien und Opposition im Bundestag auf den Vorschlag?
Erwartbar. FDP, Grüne und SPD äußerten sich positiv, die Union kritisch. Die drogenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Kristine Lütke, nannte die Empfehlung „wissenschaftlich fundiert“. Der Grenzwert von 3,5 Nanogramm
schütze die allgemeine Verkehrssicherheit, aber auch die Freiheit der Konsumenten, so Lütke. Auch die verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Isabel Cademartori, begrüßte die „Richtungsentscheidung“der Grenzwertkommission ausdrücklich. „Denn die aktuelle Regelung ist nicht verhältnismäßig“, teilte sie mit. Der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Bareiß (CDU), warf der Ampel-Koalition dagegen „Doppelmoral“vor. „Wenn es ums Tempolimit und Verkehrssicherheit geht, kann es vielen nicht streng genug sein, bei Cannabis spielt der Schutz und die Sicherheit dagegen keine Rolle“, sagte der Abgeordnete für den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen der „Schwäbischen Zeitung“. Der Vorschlag bedeute eine Verdreifachung des bisherigen Wertes. „Es ist unumstritten, dass sich das auf die Verkehrssicherheit
nachhaltig negativ auswirken wird“, so Bareiß.
Und was sagen die Innenminister als oberste Dienstherren der Polizeien im Land?
In Baden-Württemberg und Bayern blickt man mit Skepsis auf den neuen Grenzwert – und die Cannabis-Legalisierung an sich. Ein Sprecher des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) teilte auf Anfrage mit: Aus Gründen der Verkehrssicherheit sehe man die Grenzwert-Anhebung sehr kritisch. Im Unterschied zum körpereigenen Abbau von Alkohol unterliege der Abbau von THC keiner Regelmäßigkeit. Der Zeitpunkt der Fahrtüchtigkeit nach Cannabis-Konsum sei für den Konsumenten daher nur schwer abzuschätzen. Minister Thomas Strobl verweist auf internationale Studien, die darauf hinwiesen, dass Cannabis-Legalisierungen zu mehr schweren Unfällen führten. Die Legalisierung sei ein „harter Schlag“gegen die Verkehrssicherheitsarbeit im Südwesten. Dieses Thema habe die Ampel offensichtlich nicht auf dem Schirm gehabt, so der CDU-Politiker.
Gibt es auf der anderen Seite Befürworter eines noch höheren Grenzwertes?
Ja. In der vergangenen Legislatur haben die Linken, damals noch als Fraktion im Bundestag, einen Grenzwert von zehn Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum gefordert. Sie wollten damit eine Gleichstellung von CannabisKonsumenten und Fahrern mit Alkohol am Steuer erreichen. Dass dieser Wert der 0,5-PromilleGrenze entspricht, wird von Experten jedoch bezweifelt. Ein Blick in die europäischen Nachbarländer zeigt, dass auch dort die Grenzwerte für THC recht unterschiedlich sind. Sie reichen laut einem Bericht der Universität Basel aus dem Jahr 2020 von einem ng/ml THC pro Milliliter Blutserum in Belgien bis zu sechs Nanogramm in Portugal. In den US-Staaten Maine, Montana, Colorado, Washington sind sogar zehn Nanogramm erlaubt.