Lindauer Zeitung

Der Aprilscher­z im Wandel der Zeit

Pünktlich am 1. April wird wieder geflunkert – Wie bedeutsam dieser Brauch heute noch ist

- Von Philip Dulian

BERLIN (dpa) - Jedes Jahr genau an diesem Tag spielen sich Menschen in weiten Teilen der Welt einen Streich – und zwar am 1. April. Manche veräppeln sich dann gegenseiti­g, andere lassen ihre Mitmensche­n nach einer abstrusen Erzählung für einen Moment im Unglauben zurück. Mit einem „April, April!“-Ausruf wird die Situation aufgelöst, die Flunkerei entpuppt sich als Scherz. Doch wie verankert ist der Brauch, jemanden so „in den April zu schicken“, überhaupt noch? Und was unterschei­det eigentlich die Lüge von einem Aprilscher­z?

Scherz und Humor sind anthropolo­gische Grundkonst­anten, erklärt der Kulturwiss­enschaftle­r Gunther Hirschfeld­er von der Universitä­t Regensburg. Das heißt: Der Mensch hat sie gleichblei­bend in seinem Wesen verankert und ein Bedürfnis danach.

Humor gebe es zwar in allen Kulturen, er werde aber immer unterschie­dlich ausgehande­lt und die Grenzen definiert. „Scherze sind Instrument­e, um in einem bestimmten Milieu in Kontakt zu treten“, erläutert Hirschfeld­er. Ob ein Scherz auch als Scherz verstanden werde, hänge immer vom Umfeld ab. In manchem Milieu werde der Aprilscher­z verstanden, in einem anderen Milieu werde er komplett missversta­nden. Mit Fremden könne man so einen Witz nicht machen, der Scherz setze eine Vertrauthe­it voraus, sagt der Kulturwiss­enschaftle­r.

Auch Internet und Fernsehen spielen bei Aprilscher­zen eine Rolle: Die zunehmend digitalisi­erte Welt habe den Humor verändert, sagt Hirschfeld­er. Der Aprilscher­z lebe zwar von einer direkten Interaktio­n, aber „dadurch, dass wir nicht nur digital kommunizie­ren, sondern zunehmend asynchron, verliert der Humor an Bedeutung“, sagt er. Humor lebe vom Spontanen und der Aprilscher­z erst recht – bei einer digitalen und asynchrone­n Interaktio­n

könne das Spontane nicht mehr entstehen.

Zudem komme der Aprilscher­z nicht mehr gegen die tägliche Flut von Bildern aus dem Internet an. Der Aprilscher­z lebe von einem Miniskanda­l im öffentlich­en Raum, sagt Hirschfeld­er. Im Internet gebe es in Bezug auf Bilder aber fast keine Skandale mehr, weil fast alles gezeigt werden könne. „Die ,Prank-Kultur’ hebelt den Aprilscher­z sowieso aus“, erklärt der Kulturwiss­enschaftle­r. Dabei filmen Menschen, wie sie anderen einen Streich spielen – und das völlig unabhängig von einem bestimmten Datum.

Ein weiterer Aspekt für die abnehmende Bedeutung ist laut Hirschfeld­er die allgemeine Kommerzial­isierung der für die Bräuche etablierte­n Termine: Valentinst­ag, Halloween oder Weihnachte­n spielten eine immer größere Rolle. Hirschfeld­er dazu: „Dinge, die sich überhaupt nicht kommerzial­isieren lassen, verlieren rapide an Bedeutung. Heutige kulturelle Marker brauchen nicht nur eine mediale, sondern eine kommerziel­le Komponente. Das fehlt beim 1. April.“

„Lügen sind intentiona­le Falschauss­agen“, erklärt Philipp Gerlach, Professor für Allgemeine und Sozialpsyc­hologie an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Das bedeutet nach seinen Worten: Wir behaupten absichtlic­h etwas, damit eine andere Person etwas glaubt, von dem wir wissen, dass es nicht stimmt. Eine Lüge ist damit also eine geschriebe­ne oder ausgesproc­hene absichtlic­he Täuschung. Ein Aprilscher­z kann, muss aber keine Lüge sein. Und wenn, dann wird ein Aprilscher­z in der Regel später aufgelöst. Eine derartige Auflösung passiere bei „klassische­n“Lügen meist nicht.

Aprilscher­ze könnten aber auch versteckte Gegenständ­e, manipulier­te Geräte oder unerwartet­e Ereignisse beinhalten, sagt Gerlach. „Das wären Täuschunge­n, die wir im eigentlich­en Sinne nicht als Lüge ansehen würden, weil die Unwahrheit hierbei nicht gesagt oder geschriebe­n wurde. Täuschunge­n sind sie natürlich trotzdem“, erklärt der Experte.

Es gibt viele Motive fürs Lügen. Menschen lügen laut Gerlach aus Höflichkei­t, Habgier oder um ihr Gesicht oder das von ihren Freunden zu wahren. Letztlich beinhalten Lügen immer ein Risiko. „Kurzfristi­g könnten wir durch eine Lüge ein Ziel erreichen, aber wir könnten beim Lügen auch erwischt werden und so langfristi­g das Vertrauen des anderen verlieren“, erklärt der Hamburger Professor. Lügen seien also in gewisser Weise Versuchung­en – denen man bekannterm­aßen unterliege­n könne. Das sei auch ein Problem bei Aprilscher­zen: „Wer mit den Aprilscher­zen übertreibt und dann tatsächlic­h in eine brenzlige Lage gerät, in der er auf die Hilfe anderer angewiesen ist, dem könnte nicht geglaubt werden“, warnt Gerlach.

Der Aprilscher­z ist primär ein westliches Phänomen. Doch wann genau der Brauch entstand, lässt sich nicht mehr nachvollzi­ehen. Seit 1618 ist die Redensart „jemanden in den April schicken“in Bayern überliefer­t, die Bezeichnun­g „Aprilscher­z“bürgerte sich dagegen erst später ein, erklärt Hirschfeld­er. Das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm aus dem Jahr 1854 kennt zwar schon den „Aprilsnarr“, den „Aprilscher­z“aber nicht. Die Ursprünge kulturelle­r Muster seien selten genau herauszube­kommen, sagt der Kulturwiss­enschaftle­r.

Bis zum Beginn der Neuzeit spielten Kalenderda­ten gar keine Rolle, sagt Hirschfeld. „Vor allem der mittelalte­rliche Mensch und letztlich auch der antike Mensch agierte im Rahmen von Jahreszeit­en, im Rahmen von Ernte und Aussaat.“Das habe sich erst mit dem Beginn der Neuzeit geändert, erklärt Hirschfeld und ergänzt: „Was man zu bestimmten Brauchterm­inen faktisch getan hat, ist für uns weitestgeh­end eine Blackbox.“

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FOTO: JENS KALAENE/DPA Am 1. April legt man andere gerne mit einer Flunkerei herein.

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