Über der Insel geht ein Stern auf
Julian Karr ist nach Reiner Fischer erst der Zweite, der einen Michelin-Stern auf die Insel holt
LINDAU - Bei Köchen weiß man manchmal nicht so genau, ob sie das, was sie sagen, ernst meinen – oder ob sie gerade kokettieren. Julian Karr zum Beispiel, der seit 2017 im Hotel Adara am Alten Schulplatz sein Restaurant „Karrisma“betreibt, wiederholt mehrmals im Gespräch, dass er einen Michelin-Stern, den er am Dienstag bei der feierlichen Gala in Hamburg erstmals erhalten hat, gar nicht haben wollte.
„Ich koche ja für meine Gäste. Und wenn die zufrieden sind, ist alles bestens.“Dementsprechend wenig bedeutsam sei ihm der Stern, der im Moment noch nicht am Eingang prangt. Noch zu frisch die Verleihung, zu der er erst gar nicht habe hinfahren wollen. Das Schild ist wohl noch auf dem Postweg.
Seine Eltern seien von der Nachricht, die Auszeichnung zu bekommen, deutlich gerührter gewesen. Sein Vater habe sogar Tränen in den Augen gehabt, berichtet der 37-jährige Junior. Vater Rudolf Karr, der Jahrzehnte lang in Langenargen das gleichnamige Restaurant mit Hotel geführt hatte, weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, einen Stern zu bekommen.
Julian Karr hat beschlossen, jetzt, wo er sich Sternekoch nennen darf, Folgendes zu verändern: „Überhaupt nichts.“Er fühle sich wohl, so wie es sei. „Eine kleine Verbesserung erhoffe ich mir aber doch.“Und zwar, dass er nun vielleicht einfacher an Personal kommt. Denn das sei von Anfang an ein schwieriges Thema gewesen.
Es gehört zu seinem Konzept, dass Julian Karr nicht nur in der Küche steht, sondern auch sämtliche Gänge an den Tisch bringt. Seine Kreationen erklärt, dem Gast die Geheimnisse seiner Kunst aufschlüsselt – und sie nicht nur mit Essen und Getränken unterhält, sondern auch mit seiner ganzen Person und Persönlichkeit. Und die hat durchaus etwas Extravagantes, was sich zum Beispiel in Schuhen in blauem Schlangenleder-Design äußert. Und einem kleine Pferdeschwanz à la Figaro. Sein Restaurant nennt er selbst gemütlich. Es zeichnet sich durch eine warme Atmosphäre aus. Aus dem Lautsprechern perlt unaufdringlicher Jazz. Während Julian Karr am Tisch sitzt, deckt sein Mitarbeiter Stephan Wudler, der hauptamtlich Student ist, die Tische mit weißem Leinen und Gläsern ein.
„Mein bester Mann“, sagt Karr, bevor er auf seine Mutter Irene zu sprechen kommt, die noch gelegentlich im Service mitarbeite und dann auf Anhieb – wie so lange Jahre im eigenen Betrieb in Langenargen – die gute Seele sei. Mit dem Charme der geborenen Gastgeberin. Julian Karr selbst hat aufregende Wanderjahre hinter sich, die ihn auch an die Töpfe von Drei-Sterne-Köchen wie Jörg Sackmann, Dieter Müller und Nils Henkel geführt haben. „Viel gelernt habe ich auch bei Dieter Koschina in der Vila Joya in Portugal.“Bevor er an den Bodensee zurückkehrte, war er zuletzt SousChef am Königshof in München.
Nach seinem Küchenstil gefragt, sagt Julian Karr, dieser sei auf jeden Fall leicht und unbeschwert. Während er bei den
Hauptgängen gern klassisch bleibe, „ein gutes Stück Fleisch, eine tolle Soße und schöne Beilagen“, verlasse er bei Vorspeisen und Desserts gerne ausgetretene Pfade und kombiniere frech und frei.
Dabei kann es passieren, dass die Nachspeise aus Kerbel-Sorbet mit Spitzpaprika-Süppchen besteht. Oder sich Apfel, Knoblauch und Thymian in einem Salat aus Schweinebauch wiederfinden. Kombinationen, die manchmal ein bisschen Mut brauchen – sie zu kochen, aber auch sie als Gast vorbehaltlos zu probieren.
„Die Gäste sind fast immer angenehm überrascht“, sagt Karr, der nicht nur bei Michelin, sondern auch im Internet außergewöhnlich gut von seinem Publikum bewertet wird. Grundsätzlich serviert der Küchenchef ausschließlich Überraschungs-Menüs, in denen tagesfrisch verarbeitet wird, was die Saison oder der See gerade hergeben. Der Gast hat die Wahl zwischen fünf Gängen für 119 Euro, sechs Gängen für 139 oder sieben Gänge für 155 Euro. Die Preise hat er zum Vorjahr nicht erhöht – und hat das trotz des Sterns im Moment auch nicht vor.
„Meine zwei wichtigsten Sterne habe ich eh schon länger. Das sind meine beiden Söhne“, erklärt Karr und erzählt von arbeitsreichen Tagen, in denen er die Stunden aber nicht zähle. „Klar, wenn ich das tun würde, gebe es bestimmt gute Möglichkeiten, mehr Geld auf andere Weise zu verdienen.“
Doch ums Geld allein gehe es ihm nicht. Sondern um das Privileg, wirklich das machen zu können, was er wolle. „Ohne dass mir jemand reinredet.“Was Karr sich für die Zukunft wünschen würde, wäre eine Stadtverwaltung, die es den Gastronomen etwas leichter macht. „Die Leute im Sommer von draußen um zehn Uhr nach drinnen zu bitten, das versteht doch keiner.“
Darüber hinaus kann er sich durchaus vorstellen, am Alten Schulplatz so eine Art Lounge zu etablieren, in der etwas serviert wird, was es sonst so auf der Insel und im Umkreis nicht gibt: Austern, Champagner – und auch Kaviar. Ausgezeichnete Qualität, aber zwanglos. „Das ist mein Restaurant, alles andere wäre nicht echt und das wäre auch nicht ich.“