Der Eiertanz der Liberalen
Man stelle sich dieses Szenario vor: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) kündigt nach der Cannabis-Teillegalisierung an, Konsumenten via Bußgelder das Leben so schwer wie möglich zu machen – und die Freien Wähler legen derweil ein Papier vor, indem sie noch viel mehr Freiheiten für Kiffer fordern. Da wäre in München Stimmung in der Staatskanzlei.
Nun folgendes Szenario: Die Ampel-Fraktionen beschließen am Freitag im Bundestag ein Solarpaket, damit mehr Photovoltaikanlagen auf die Dächer kommen, und am Wochenende beraten die FDP-Delegierten bei ihrem Parteitag über ein Papier, in dem unter anderem ein schnellstmögliches Ende der Förderung erneuerbarer Energien gefordert wird. Das müsste eigentlich zu Verdruss unter der Reichstagskuppel führen. Doch SPD und Grüne tun so, als sei es ein völlig normaler Vorgang, wenn die dritte Partei im Bunde ein Zwölf-Punkte-Papier in den Raum stellt, das mit der Ampel-Politik weitgehend unvereinbar ist. Das kann nur als Zeichen der Ermüdung gewertet werden: bloß kein öffentlicher Streit mehr, auch wenn die Widersprüche für alle sichtbar auf dem Tisch liegen. Die Wähler sind genug genervt.
Dass die Bundesregierung wegen des FDP-Papiers zerbricht, ist ohnehin nicht wahrscheinlich. Es soll die Seele der Delegierten streicheln. Denn mögen die inhaltlichen Differenzen noch so groß sein, die seit Langem schlechten Umfragewerte schmieden die Koalitionäre fest zusammen. Wären jetzt Neuwahlen, hätte die FDP beste Chancen, wieder einmal außerparlamentarische Opposition zu werden. Das erklärt das Dilemma und den politischen Eiertanz der Liberalen. Sie versuchen sich als Quasi-Opposition in der Koalition, um ihren potenziellen Wählern zu zeigen, dass sie gerne anders würden, wenn sie denn könnten. Doch das ist im besten Falle eine Strategie der Verzweiflung, die nicht überzeugt und der Partei bei den kommenden Wahlen auch keinen Erfolg bringen wird.