Rätsel um totes Reh ohne Herz
Starb das Tier in Ravensburg durch einen Schuss? – Und warum fehlten ihm innere Organe?
RAVENSBURG - Ein totes Reh liegt vor der Terrassentür, überall Blut – diesen Fund machte ein Bewohner der Federburgstraße in Ravensburg am Osterwochenende. „Ich war geschockt“, berichtet der Mann. Er und seine Nachbarin sind überzeugt, dass es erschossen wurde. Sie finden es besorgniserregend, dass möglicherweise jemand mit einer Waffe durch ihre Gärten streift. Die Polizei ermittelt zu dem Fall.
Anwohner der Fundstelle haben sich bei der Redaktion gemeldet und von dem Fall erzählt, der ihnen Sorgen bereitet: Ein Mann hat am Karfreitagabend zwei Schüsse gehört, die er zunächst für Feuerwerkböller gehalten hatte. Doch als er am nächsten Morgen ein totes und übel zugerichtetes Reh auf seiner Terrasse fand, interpretierte er die KnallGeräusche anders. Er ist überzeugt: Das Reh muss erschossen worden sein.
Er zeigt Fotos vom Morgen nach der Tat, die Blutf lecken an mehreren Stellen im Garten zeigen. Das tote Reh hat er nicht fotografiert, zu grausig sei der Anblick gewesen. Der Hals und Brustkorb seien offen und komplett ausgenommen gewesen. Im Hinterleib des Tieres habe man ein Kitz gesehen. Die Polizei bestätigt, dass der toten Ricke das Herz fehlte und das Tier zum Zeitpunkt ihres Todes trächtig war.
„Was für ein Mensch vollbringt so eine abscheuliche und entsetzliche Tat?“, fragt der Mann, im festen Glauben, dass es kein Riss durch ein Tier gewesen sein könne. Auch seine Nachbarin, deren Grundstück über eine Treppe zum betroffenen Garten verfügt, sagt: „Wir sind erschüttert bis ins Mark, dass jemand bewaffnet hier rumläuft.“
Die Nachbarn glauben an diese Version der Tat: Sie meinen, der Schütze habe das Reh nicht nur getötet, sondern ihm danach die Projektile, von denen sich eines im Herz befunden haben könnte, aus dem Leib geschnitten, mitgenommen und entsorgt. Der Mann auf dessen Terrasse das Tier gefunden wurde, geht sogar davon aus, dass ihm das tote Reh nach der Tat bewusst vor die Tür gelegt wurde. Er erwägt, dass es Menschen geben könnte, die ihm missgünstig gesinnt sind. Sollte das Tier wirklich bewusst vor die Tür gelegt worden sei, würde sich die Nachbarin des Betroffenen an
Methoden der Mafia erinnert fühlen, wie sie sagt.
Den Anwohnern ermittelt die Polizei nicht akribisch genug. Sie hätten sich eine Befragung aller Nachbarn gewünscht und einen öffentlichen Zeugenaufruf. Der Betroffene wollte sogar 10.000 Euro Belohnung für sachdienliche Hinweise ausloben. Doch die Polizei habe das inzwischen abgelehnt, sagt er.
Laut Polizeisprecherin Daniela Baier liegen bisher über die Todesursache des Rehs keine gesicherten Erkenntnisse vor, weshalb die Polizei in alle Richtungen ermittle. Das tote Tier sei im Staatlichen Tierärztlichen Untersuchungsamt Aulendorf (STUA) untersucht worden. Ersten Informationen des STUA zufolge, lässt sich nicht sicher sagen, dass das Tier erschossen wurde, wie Baier erklärt.
„Ein Tierriss eines größeren Tiers (zum Beispiel Hund) wird aufgrund typischer Spurenbilder nicht ausgeschlossen“, schreibt sie in ihrer Erklärung zum Fall. Das Gutachten der STUA liege noch nicht vor. In dem Garten seien weder Munition noch Munitionsteile gefunden worden.
Zur Version, die unter den Nachbarn kursiert, sagt die Polizeisprecherin, dass am Tier nach ersten Auskünften der STUA keine Schnittverletzungen erkennbar sind. Die Polizei ermittelt zunächst wegen Jagdwilderei und Hausfriedensbruchs. Sollte es Anzeichen dafür geben, dass in dem Garten eine Straftat begangen wurde, geht der Fall nach Abschluss der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft, so Baier.
In den Gärten in der Federburgstraße, die sich in Stadtrandlage
befindet, gehen Rehe aus und ein. Das war schon mehrfach auch Thema in der „Schwäbischen Zeitung“. Dass Wildtiere in die Siedlungen getrieben werden, liegt nach Einschätzung von Experten daran, dass die Menschen immer mehr Freizeit im Wald verbringen. Auch wer Hunde im Wald nicht anleine, schrecke das Wild auf. Hinzu komme die vermehrte Nutzung von Flächen durch die Landwirtschaft, die für den Verdrängungseffekt sorgt. Bei der Nachbarin war der erste Gedanke, dass jemand die Nase voll haben könnte von den Rehen im Garten. Aber die Theorie verwirft sie wieder. Die Rehe knabberten zwar an Tulpen- und Rosenknospen. „Wir ärgern uns immer, wenn sie was abfressen. Aber es ist doch auch schön, wenn man Rehe so nah hat“, sagt die Frau. Die Tiere schliefen oft in den Gärten unter Büschen und erwachten erst in den Morgenstunden.
Kreisjägermeister Peter Lutz erklärt zur Rechtslage, dass Wohngebiete grundsätzlich „befriedete
Bezirke“seien, wo Jagd nicht erlaubt ist. In Sonderfällen könne die untere Jagdbehörde (LRA) eine Ausnahmegenehmigung erteilen. Die gebe es seiner Kenntnis im Bereich der Federburgstraße nicht. Was verschärfend hinzukommt: Der Fall ereignete sich in der Schonzeit für Rehwild, die in Baden-Württemberg noch bis 1. Mai gilt.
Jäger, die außerhalb des eigenen Revieres Tiere schießen, machen sich der Jagdwilderei schuldig. Auch für Nicht-Jäger, die Tiere erlegen, gilt dieser Straftatbestand. Zum konkreten Fall schreibt Lutz auf Anfrage der Redaktion: „Da die Polizei keine Hinweise auf den Einsatz einer Schusswaffe hat, es laut STUA keine Schnittverletzungen am Reh gibt und die STUA nach bisherigen Informationen einen Riss durch ein Raubtier (Hund) nicht ausschließt, beteiligen wir uns als Kreisjägervereinigung nicht an weiteren Spekulationen, sondern warten auf den Abschlussbericht der STUA beziehungsweise der Polizei zu diesem Fall.“