„Ich kann heute wieder jedem in die Augen schauen“
1860-München-Legende Daniel Bierofka über seinen Ex-Club und die großen Zeiten von Bayer und Stuttgart
RAVENSBURG - Er ist eine Vereinslegende des TSV 1860 München, doch spielte Daniel Bierofka für Bayer Leverkusen in der Champions League und wurde mit dem VfB Stuttgart 2007 Meister. Vor dem Spitzenspiel beider Clubs am Samstag (18.30/Sky) hat der 45Jährige mit der „Schwäbischen Zeitung“gesprochen.
Herr Bierofka, die meisten Fans verbinden Sie ausschließlich mit 1860 München, nun kontaktieren wir Sie vor dem Spiel Stuttgart gegen Leverkusen, waren Sie davon überrascht?
Weniger überrascht in Bezug auf das Thema, denn ich habe ja bei beiden Vereinen gespielt, aber schon überrascht von Ihnen als Ansprechpartner. Aus Ihrer Region hat mich seit damals keiner mehr kontaktiert. (lacht)
Sie sagen es, Bayer und der VfB sind die Clubs, für die Sie außerhalb Münchens aufgelaufen sind, damals wie heute absolute Spitzenteams. Wie blicken Sie auf das anstehende Topspiel?
Was Sebastian Hoeneß da in Stuttgart geleistet hat, wie er die Mannschaft geformt hat, das ist wirklich außergewöhnlich. Vor allem wenn man die letzten Jahre anschaut. Und bei Leverkusen sprechen ja allein die Ergebnisse und der frühe Titelgewinn Bände. Beide Mannschaften spielen einen sehr guten Ball und sind sich sehr ähnlich. Beide Teams haben viele gute Fußballer, viele Spieler, die sich auf engen Räumen lösen können und Lösungen finden. Da kann man sich wirklich nur auf Samstag freuen. Ich denke auch nicht, dass es 0:0 ausgehen wird.
Die Leverkusener sind bereits Meister und haben in der Liga nur noch ihre Ungeschlagen-Serie zu verteidigen. Ist das die große Stuttgarter Chance?
Die Leverkusener haben sich über die Saison einen brutalen Glauben an sich selbst erarbeitet, sodass sie in jeder Phase des Spiels noch Herr über den Spielverlauf sind und immer Tore erzielen können. Das hat man gegen Dortmund gesehen, als sie die Niederlage wieder einmal in der Nachspielzeit abgewendet haben. Sie haben dafür auch die passende Spielweise und zwingen die Gegner dazu, viel zu laufen und defensiv zu arbeiten. Beim Gegner fehlen hinten raus dann die Körner und daraus zieht Bayer seinen Nutzen. Doch die Stuttgarter wissen das und werden versuchen nicht in diese Falle zu tappen.
Die beiden Erfolgsgeschichten sind auch die zweier Trainer, die absolute Führungsfiguren sind. Wie blicken sie auf diese beiden Gesichter?
Sebastian Hoeneß kenne ich ja ein bisschen aus München als er Trainer der zweiten Bayern-Mannschaft war. Er ist ein sehr angenehmer und bodenständiger Mensch. Und Xabi Alonso, was soll man zu diesem Namen noch sagen? Allein seine Vita sagt alles. Er war Stratege im Mittelfeld von Real Madrid, Liverpool und dem FC Bayern und hat von den größten Trainern etwas mitgenommen.
Es sind zudem zwei Namen, die beim FC Bayern gehandelt wurden. Was für einen Trainer braucht der Club nach dem Abschied von Thomas Tuchel? Einen verständnisvollen Christian Streich-Typen?
Das ist die große Frage, die im Moment viele umtreibt. Ich glaube, die Historie von Bayern München hat gezeigt, dass der Club immer Erfolg mit Trainern mit einer extrem großen Ausstrahlung hatte – wie Jupp Heynckes oder Ottmar
Der VfB Stuttgart traut sich zu, die Erfolgsserie von Meister Bayer Lever- kusen nach 45 Pflichtspielen ohne Niederlage zu beenden. „Für uns ist es schon auch ein Anreiz, daran etwas zu ändern“, sagte VfB-Trainer Sebastian Hoeneß vor dem Topspiel am Samstag (18.30 Uhr/Sky) in Leverkusen. Beim 1:1 in der Hinrunde in Stuttgart und auswärts beim 2:3 im Viertelfinale des DFB-Pokals sei seine Mannschaft schon nahe am
Hitzfeld. Die hatten einfach diese Kabine im Griff und das ist es ja, worum es bei dieser Ansammlung von Superfußballern geht. Auf der anderen Seite ist es schön zu sehen, dass Trainer mittlerweile nicht jedem Ruf sofort nacheilen müssen. Hoeneß und Alonso identifizieren sich mit ihren Clubs und dann kann da langfristig etwas wachsen und anfragen wer möchte – zumindest aktuell.
Die letzten Blütezeiten beider Clubs haben Sie aktiv miterlebt. Zu Leverkusen kamen Sie wenige Wochen nach der Vizekusen-Epoche. Wie war es dort nach diesem Schicksalsschlag?
Das war ja das Jahr, in dem die Brasilianer Weltmeister geworden sind und Deutschland auch da Vize, unsere Nationalspieler haben also vierfach gelitten. Das anschließende Jahr war sehr schwierig, weil wir nicht in den Rhythmus gekommen sind. Dann hingen wir auf einmal unten drin und das waren die meisten Spieler nicht gewohnt. Wir konnten es dann irgendwie retten und sind am Ende 15. geworden. Die zwei Jahre danach waren mit Platz drei und sechs wieder ordentlich.
Champions League spielten Sie ebenfalls mit Bayer Leverkusen. War das die größte Zeit Ihrer Karriere?
Für einen Fußballer ist der Wettbewerb auf jeden Fall das Größte. Aber das Problem ist, dass man dazwischen wieder wochenlang normale Bundesligaspiele hat. Das möchte man immer ungern zugeben, aber sich wieder auf den Alltag einzulassen, ist oft nicht so einfach. Das droht ja auch Leverkusen und wohl auch den Stuttgartern kommendes Jahr. Es ist ein Unterschied, ob ich jetzt nur Bundesliga- und vielleicht noch ab und zu Pokalspiele habe oder ob ich diese englischen Wochen permanent habe. Das muss man annehmen und es wird für beide Clubs ein echter Härtetest.
Sieg gewesen. „Aller guten Dinge sind vielleicht drei“, sagte Hoeneß. Zwar wollten die Leverkusener ihre Serie trotz ihrer vorzeitigen Meisterschaft sicher fortsetzen, meinte der 41Jährige. Aber mit der möglichen Qualifikation für die Champions League habe der VfB „in der Bundesliga noch ein größeres Ziel vor Augen. Es muss klar sein, dass wir bereit sind, ans Äußerste zu gehen. Das muss zu sehen sein.“Sollte der Tabellendritte
Ihre Stuttgarter Zeit war geprägt von Verletzungen, brachte Ihnen aber den Meistertitel ein. Wie bewerten Sie das Kapitel?
Im Trainerlager habe ich mir einen Knöchelbruch zugezogen, dem eine bakterielle Infektion folgte, sodass ich vier Monate im Krankenhaus war. Anschließend war ich glücklich, dass ich überhaupt noch auf den Platz konnte und das Meisterjahr erleben durfte. Ich war meistens im Kader und kam auf dreizehn Einsätze und habe einen kleinen Beitrag zum Titel leisten können. Die Meisterfeier haben sie in Stuttgart wohl heute noch in Erinnerung. Mit dem Autokorso durch Stuttgart, so etwas vergisst man niemals. Das VfB-Team von heute ist ein bisschen mit dem damaligen vergleichbar. Es waren ein paar erfahrene Kräfte dabei, aber auch viele junge Spieler, die dann durch die Decke gegangen sind.
Anschließend ging es für Sie zu 1860 in die 2. Liga, eine Station die Sie prägen sollte. Insgesamt blieben Sie 12 Jahre als Spieler und Trainer. Die beste Entscheidung ihrer Karriere trotz?
60 hat mir damals einen langfristigen Vertrag angeboten und mit meiner schweren Verletzung im Hinterkopf war es auch eine familiäre Entscheidung, wieder nach
gegen Bayer gewinnen und der Fünfte Dortmund in Leipzig verlieren, wäre zumindest Rang vier mit dann neun Punkten Vorsprung auf die Borussia praktisch sicher. Allerdings hat Stuttgart von den vergangenen 25 Spielen nur eines gegen Bayer gewinnen können. Verzichten muss Hoeneß auf den gelbgesperrten Angelo Stiller. Für ihn rückt Enzo Millot auf die Doppelsechs vor der Abwehr neben Atakan Karazor. (dpa)
München zu gehen. Zudem hatte ich immer eine Verbindung zu dem Club, mein Vater war dort Spieler und Trainer und ich hatte sieben Jahre zuvor als Profi auch schon zwei tolle Jahre dort. Die Möglichkeit, mit dem Verein wieder nach oben zu kommen, war sehr verlocken.
Es kam anders, die Löwen spielten weiter zweitklassig und rutschten zehn Jahre später sogar in die Drittklassigkeit. Sie waren während der Abstiegssaison Interims- und Co-Trainer und übernahmen nach der Lizenzverweigerung als Trainer in der Regionalliga. Bereuen Sie als Publikumsliebling diese Bürde übernommen zu haben?
Der Doppelabstieg war das negative Highlight. Man wusste nicht, wie es mit dem Verein weitergeht und stand kurz vor der Insolvenz, doch hat man da auch gemerkt, welche Liebe von den Leuten zu dem Verein da ist und die haben uns dann in die 3. Liga getragen. Dort hängt man allerdings immer noch fest, doch ich drücke die Daumen, dass es auch mal in die 2. Bundesliga zurückgeht.
Kontrovers war auch ihr freiwilliger Abschied nach monatelangen Machtkämpfen und Indiskretionen. Haben Sie den Beteiligten heute verziehen und wie war die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Investor Hasan Ismaik?
Ich hatte einen normalen Austausch mit Hasan Ismaik in seiner Rolle als Investor der KgA und es genommen wie es war. Auch mit dem e.V. habe ich kommuniziert. Wie das Verhältnis beider Seiten heute miteinander ist, liegt immer an den Verantwortlichen, doch solange Ismaik da ist, muss man ihn mit ins Boot holen und ich hoffe, dass man irgendwann einen Weg findet, um inhaltlich nach vorne zu gehen. Ich selbst musste nach dem unschönen Abschied erst einmal Distanz gewinnen, aber mittlerweile haben wir uns wieder etwas angenähert und ich kann heute wieder jedem die Hand geben und jedem in die Augen schauen. Auch die Spiele verfolge ich wieder – allerdings nun in der Rolle des Fans.
Nach Stationen in Innsbruck und Unterhaching arbeiten Sie mittlerweile für den Bayerischen Fußballverband. War der Heimatbezug für Sie als gebürtigem Münchener auch immer Kriterium für den Verlauf ihrer Karriere und ist er es noch?
Ich würde nie etwas machen, wo meine Familie nicht dahinter steht. Als ich 150 Kilometer von München entfernt bei Wacker Innsbruck gearbeitet habe, war das schon schwierig zu vereinbaren. Meine Kinder gehen hier zur Schule, als dann das Angebot vom Bayerischen Fußballverband kam, habe ich die spannende Aufgabe gern angenommen. Wenn jetzt etwa ein großes Angebot aus Australien kommen würde, würde das nicht zu dem Weg passen, den ich mit meiner Frau festgelegt habe. Das, was wir hier in München haben, aufzugeben, kommt nicht infrage.
Wie sieht Ihre Arbeit aktuell beim Bayerischen Fußballverband aus?
Ich bin bei der Trainerausbildung dabei und konzentriere mich verstärkt auf die Talentförderung. Die Thematik wurde jüngst auch kontrovers diskutiert. Wir gehen mit der Trainingsphilosophie von Hannes Wolf nun aber in die richtige Richtung, um die Kinder mehr ins Spielen zu bekommen. Der zweite Schritt war, in der U17 und U19 Bundesliga, den Aufund Abstieg abzuschaffen. Das nimmt Druck von Fußballern und Trainern. Dennoch muss man von den Spielern viel einfordern, denn am Ende des Tages müssen sie vorbereitet werden auf das, was danach kommt – und das ist nun einmal Druck und Stress.
Den gibt es auch im Sommer bei der Heim-EM. Auch Sie haben eine Nationalmannschaftsvergangenheit, verpassten knapp die WM 2002 und hätten sonst in dem Team gespielt, das in der Rückschau oft Spott einstecken muss. War damals wirklich alles so rumpelig?
Ich nehme das mit Humor, denn diese Mannschaft ist Vizeweltmeister geworden. Und was man ihr nie absprechen konnte, sind die Deutschen Tugenden. Das hört man heute ja manchmal nicht so gerne, aber das Team hatte das total verinnerlicht und ist mit einem unbändigen Willen durch das Turnier gegangen. Meinetwegen ist die spielerische Qualität jetzt etwas besser, aber vom Willen und vom Kampf war es damals top und das ist definitiv auch eine Eigenschaft, die auch heute entscheidend ist. Dass Julian Nagelsmann nun ganz auf die momentane Leistung der Spieler baut, ist richtig. Daher habe ich ein gutes Gefühl für das Turnier – doch auch heute ist es immer eine Mischung aus Können und Kampf.