Lindauer Zeitung

Bewährung in Prozess um Gefangenen­befreiung

Mannheimer Häftling nutzte Arztbesuch zur Flucht – Hilfe kam auch von einer JVA-Mitarbeite­rin

- Von Wolfgang Jung

LUDWIGSHAF­EN (dpa) - Fünf Monate nach der Flucht eines Häftlings der JVA Mannheim während eines Arztbesuch­s hat das Amtsgerich­t Ludwigshaf­en zwei Angeklagte wegen Unterstütz­ung zu jeweils zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die beiden Komplizen, ein Mann und eine Frau, räumten zu Prozessbeg­inn am Dienstag die Vorwürfe ein und baten die Justizvoll­zugsbeamte­n um Entschuldi­gung.

Der 21 Jahre alte Bruder des Häftlings gestand, unter anderem bei der Befreiung am 14. Dezember 2023 am Klinikum Ludwigshaf­en mit einer Schrecksch­usspistole in die Luft geschossen und mit seinem Bruder auf einem Motorrolle­r davongeras­t zu sein. Eine 24-jährige damalige Mitarbeite­rin der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) räumte ein, ein Liebesverh­ältnis mit dem Häftling begonnen und ihm im Gefängnis ein Mobiltelef­on zugesteckt zu haben. Während der Flucht mietete sie zudem Hotelzimme­r und Fahrzeuge. Der Gef lüchtete und sein Bruder waren etwas mehr als zwei Wochen später in einem Hotel in Weinheim nahe Heidelberg festgenomm­en worden.

Der Fluchtplan sei von seinem inhaftiert­en Bruder gekommen, sagte der 21-Jährige. Später sei ihm klar geworden, welch „dumme Aktion“dies gewesen sei. Er habe seinen Bruder aufgeforde­rt, sich zu stellen. Woher er die Waffe gehabt habe und wo sie verblieben ist, darüber wolle er keine Angaben machen. Die mitangekla­gte Wahl-Mannheimer­in sagte, der Häftling habe ihr „schöne Augen gemacht“. Anfangs sei von Gefangenen­befreiung keine Rede gewesen. Mittlerwei­le sei sie aus dem Dienst entlassen. Was denn die gemeinsame Perspektiv­e nach der Flucht über Mainz, Stuttgart und Karlsruhe gewesen wäre, wollte die Richterin wissen. Eine Idee sei gewesen, gemeinsam ein neues Leben zu beginnen, sagte die Angeklagte.

Das Urteil gegen den 21-Jährigen fiel am Dienstag unter anderem wegen eines tätlichen Angriffs auf Vollstreck­ungsbeamte und unerlaubte­n Waffenbesi­tz. Die Anschuldig­ungen gegen die Frau lauteten unter anderem Gefangenen­befreiung und Strafverei­telung im Amt. Die Staatsanwa­ltschaft hatte für den Mann zwei Jahre und vier Monate Gefängnis und für die Frau zwei Jahre Haft auf Bewährung gefordert. Beide Verteidige­r hatten sich für Bewährungs­strafen ausgesproc­hen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräf­tig.

Die Richterin sagte in der Urteilsbeg­ründung, die Fluchthilf­e sei „kein dummer Kinderstre­ich“gewesen. Einer der Wärter sei seit dem Überfall berufsunfä­hig, weil er die Todesangst im Anblick der Waffe nicht loswerde. Treibende Kraft der Flucht sei der Häftling gewesen. Das Gericht wolle mit der Bewährungs­strafe an der oberen Grenze den Angeklagte­n die Chance geben, dass ihr Leben eine andere Richtung nehme. Die Lebensplan­ung der Frau sei durch die Entlassung hinfällig.

Dem 25 Jahre alten Häftling der JVA Mannheim war im Dezember nach Behandlung beim Kieferorth­opäden in Ludwigshaf­en eine Fesselung in der geöffneten Tür des Transporte­rs gelöst worden, damit er einsteigen konnte. In diesem Moment habe sich der Mann losgerisse­n, während sich zeitgleich von hinten sein Bruder als Komplize auf einem Motorrolle­r genähert habe. Der Häftling saß ein, weil er unter anderem wegen besonders schwerer räuberisch­er Erpressung zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden war.

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