„Friedrich Merz macht mich fassungslos“
Krumbiegel bekommt Sozialistenhut – Über die SPD, den Rechtsruck und die Provinz
KREIS LINDAU - Sebastian Krumbiegel ist als Sänger der Prinzen bekannt. Er ist aber auch ein politischer Mensch mit klarer Haltung. Dafür bekommt er den Sozialistenhut. Ein Interview über die SPD, den Rechtsruck und die Provinz.
Herr Krumbiegel, der SPDKreisverband Lindau verleiht Ihnen am 21. Mai in Lindenberg den Sozialistenhut. Dessen Träger sollten „in Partei und Gesellschaft gegen den Strom geschwommen sein, ohne selber stromlinienförmig zu werden“. Fühlen Sie sich dadurch treffend charakterisiert?
Das klingt viel heldenhafter, als ich mich selber empfinde. Ich mache einfach mein Ding und versuche, mir selber treu zu bleiben. Andererseits merke ich, dass ich mich verändere, weil das Leben voller Veränderungen ist und die Welt sich total verändert. Ich glaube, ich hatte Glück mit meiner Erziehung, mit meinen Eltern, die mir einen Kompass mitgegeben haben, dass ich versuche, Gut von Böse zu unterscheiden und mit Grundwerten durchs Leben zu gehen. Was mir auch nicht immer gelingt. Ich bin selbst ein Fragender und Suchender. Aber ich versuche, das irgendwie hinzukriegen.
Sie engagieren sich in vielen Bereichen, setzen sich seit Jahren unter anderem für benachteiligte Kinder ein, für Toleranz, Vielfalt und gegen nationalistische Ideologien. Was treibt sie an?
Als ich 15 Jahre alt war, hat meine Großmutter erzählt, wie sie als 19-Jährige am 9. November 1938 in Leipzig in der Straßenbahn stand und gesehen hat, wie Juden zusammengetrieben worden sind. Und alle Leute wegguckten und es nicht sehen wollten. Und sie sagte mir damals: Ich habe auch weggeguckt – und ich schäme mich dafür. Das klingt jetzt vielleicht pathetisch, aber das war für mich ein Baustein. Ich will etwas machen. Ich merke, dass um mich herum Sachen passieren, die befremdlich sind und mich ängstlich machen. Und ich ziehe manchmal den Vergleich mit dem, was meine Großmutter damals erzählt hat. Auch wenn wir jetzt eine viel wehrhaftere Demokratie haben. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, dass ich weggeguckt habe.
„Das Herz am rechten Platz schlägt links“, singen Sie in „Nicht nochmal“, einem ihrer neuen Lieder als Solokünstler. Sie bekennen auch klar, SPD zu wählen. Woher rührt das?
Ich finde mich bei der SPD mehr wieder als bei allen anderen Parteien, auch bei der Linken. Ich war ihr gegenüber immer aufgeschlossen und kann auch mit einem Typen wie Bodo Ramelow viel anfangen. Aber, wenn ich mitbekomme, was im Zuge des Gazakonf liktes von links kommt, da kriege ich das Grausen. Du wirst nie eine Partei finden, bei der du alles geil findest. Aber wenn ich das Parteienspektrum ansehe, gibt es für mich keine Alternative zur SPD. Die AfD geht gar nicht. Das sind Anti-Demokraten, die nichts Gutes im Schilde führen. Dann kommt die Union. Friedrich Merz ist gerade mit fast 90 Prozent wiedergewählt worden. Er ist kein Guter. Mit der FDP kann ich auch nichts anfangen. Sie ist eine Jeder-ist-seinesGlückes-Schmied-Partei. Das ist falsch. Es kann sich nicht jeder um sich selbst kümmern. Am ehesten wären es noch die Grünen, aber auch nicht wirklich. Am Ende ist es dann doch die SPD, bei der ich Schnittmengen finde, die mich das Kreuz genau dort machen lassen.
Immer wieder werden Politiker körperlich angegriffen. Sie sind selber vor Jahren Opfer eines brutalen Überfalls von Nazis geworden, singen aber weiter gegen rechts. Sind sie ein mutiger Mensch?
Nein, überhaupt nicht. Sagen wir mal so: Ich habe keine Angst. Ich habe jetzt mein erstes Konzert unter Polizeischutz in Greifswald gemacht, weil es Drohungen gab. Ich bekomme manchmal auch eine Ansage, stelle dein Auto mal lieber nicht vors Haus, sondern auf den Hof, damit die Reifen nicht zerstochen werden. Aber ich habe keine Angst um mich. Ich habe eher Angst um die ganze Situation. Auch wenn ich mir immer die
Zuversicht bewahren will, dass wir das alles hinkriegen, dass wir uns gegenseitig bestärken, dass die Leute wachgerüttelt werden. Wie es jetzt nach dieser Konferenz in Potsdam geschehen ist, als von Remigration die Rede war. Oder jetzt, nachdem Politiker zusammengeschlagen worden sind. Ich kenne das auch aus meinem Umfeld, dass Leute angemacht werden, wenn sie Wahlplakate aufhängen. Das ist eine Folge von Dingen, die wir zugelassen haben in den letzten Jahren.
Was meinen Sie damit?
Wenn ich Friedrich Merz beispielsweise reden höre, wie er die Grünen zum Hauptfeind erklärt, dann macht mich das fassungslos. Dann weiß ich natürlich, dass das Wahlkampfgeplänkel ist. Aber das wissen ein paar Intellektuelle, die Leute auf der Straße sagen aber, ah, die Grünen sind der Hauptfeind. Und dann passiert so ein Scheiß. Anstatt klar zu sagen, der Hauptfeind ist rechts aaußen, weil der unsere Demokratie angreift, wird so etwas platziert. Ich kann da auch vor der SPD manchmal nicht halt machen. Ich empfinde es echt grenzwertig, was da in letzter Zeit für Sprüche kommen.
In welchem Bereich?
Gerade, was die Asylpolitik betrifft, werden in der SPD Sachen gesagt, die mich an sozialdemokratischen Grundsätzen zweifeln lassen. Ich schätze Olaf Scholz sehr, weil er ein besonnener Mann ist, weil er in der Frage von Krieg und Frieden keine Schnellschüsse macht, weil er mit Macron drüber streitet, ob wir Bodentruppen senden oder nicht, und zu Marschf lugkörpern Taurus sagt, ne, lieber doch nicht, da müssen wir uns selbst einbringen und werden Kriegsteilnehmer. Wenn er aber sagt, wir müssen ab jetzt massiv abschieben, dann befremdet mich das – auch, wenn ich weiß, dass das auch Wahlkampfgeplänkel ist und ich auch weiß, dass das Migrationsthema vielfältig ist, dass die Waage zwischen „wir lassen alle rein“und „ne, wir lassen niemanden rein“eine große Spanne ist. Aber wir haben ein Asylrecht und eine Verpf lichtung, den Menschen zu helfen.
Sie haben den Bambi bekommen, einige Platin-Schallplatten, das Bundesverdienstkreuz am Bande. Jetzt kommt ein kleiner SPD-Kreisverband vom Bodensee und verleiht Ihnen den Sozialistenhut. Welchen Stellenwert hat diese Auszeichnung, dass Sie dafür einmal quer durch die Republik in die Provinz fahren?
Dieser Preis ist für mich ein inhaltliches Bekenntnis. Und ich bin auch nicht nur in München, Hamburg und Berlin, sondern auch in meiner Gegend viel auf dem flachen Land. Ich bin noch nie vor der Provinz zurückgeschreckt. Abgesehen davon ist der Bodensee eine wunderschöne Gegend. Ich habe dort Freunde und Bekannte, die vielleicht auch zur Verleihung kommen. Die Fahrt wird zwar anstrengend, 600 Kilometer hoch und runter sind viel. Aber ich freue mich. Außerdem bekomme ich einen Hut (lacht).
Ein gutes Stichwort: Nicht jeder und jede, die die Auszeichnung erhalten haben, tragen Hüte. Sie aber sind häufig mit Kopfbedeckung zu sehen. Was verbinden Sie mit Hüten?
Da treffen sich zwei Argumente, die eigentlich überhaupt nicht zusammenpassen. Die Verleihung findet in Lindenberg statt. Und ich bin großer Fan von Udo Lindenberg. Und er trägt Hut. Ich habe von ihm viel gelernt. Wir haben ihn Anfang der 90er-Jahre kennengelernt und er hat uns mit auf Tour genommen. Er ist für mich immer noch ein großes Vorbild und auch ein politisch wacher Mensch. Am Ende habe ich auch manchmal Hut auf. Mal gucken, wie mir der Sozialistenhut steht.
Zu der Verleihung werden nicht nur Politikinteressierte kommen, sondern auch Fans der Prinzen. Können sie sich auf das eine oder andere Lied von Ihnen freuen?
Ja, bestimmt. Ich glaube, ich werde ein paar Songs singen, aber keine der Prinzen, sondern eher Lieder von mir, die zu der Veranstaltung passen. Ich habe gerade viele Lieder, die mir sehr wichtig sind und auch eins über die Demokratie gemacht. Ich denke, das werde ich singen. Mal gucken, wie lange ich singen kann, darf oder will. Das mache ich immer ganz spontan.