Lindauer Zeitung

„Friedrich Merz macht mich fassungslo­s“

Krumbiegel bekommt Sozialiste­nhut – Über die SPD, den Rechtsruck und die Provinz

- Von Peter Mittermeie­r und Benjamin Schwärzler

KREIS LINDAU - Sebastian Krumbiegel ist als Sänger der Prinzen bekannt. Er ist aber auch ein politische­r Mensch mit klarer Haltung. Dafür bekommt er den Sozialiste­nhut. Ein Interview über die SPD, den Rechtsruck und die Provinz.

Herr Krumbiegel, der SPDKreisve­rband Lindau verleiht Ihnen am 21. Mai in Lindenberg den Sozialiste­nhut. Dessen Träger sollten „in Partei und Gesellscha­ft gegen den Strom geschwomme­n sein, ohne selber stromlinie­nförmig zu werden“. Fühlen Sie sich dadurch treffend charakteri­siert?

Das klingt viel heldenhaft­er, als ich mich selber empfinde. Ich mache einfach mein Ding und versuche, mir selber treu zu bleiben. Anderersei­ts merke ich, dass ich mich verändere, weil das Leben voller Veränderun­gen ist und die Welt sich total verändert. Ich glaube, ich hatte Glück mit meiner Erziehung, mit meinen Eltern, die mir einen Kompass mitgegeben haben, dass ich versuche, Gut von Böse zu unterschei­den und mit Grundwerte­n durchs Leben zu gehen. Was mir auch nicht immer gelingt. Ich bin selbst ein Fragender und Suchender. Aber ich versuche, das irgendwie hinzukrieg­en.

Sie engagieren sich in vielen Bereichen, setzen sich seit Jahren unter anderem für benachteil­igte Kinder ein, für Toleranz, Vielfalt und gegen nationalis­tische Ideologien. Was treibt sie an?

Als ich 15 Jahre alt war, hat meine Großmutter erzählt, wie sie als 19-Jährige am 9. November 1938 in Leipzig in der Straßenbah­n stand und gesehen hat, wie Juden zusammenge­trieben worden sind. Und alle Leute wegguckten und es nicht sehen wollten. Und sie sagte mir damals: Ich habe auch weggeguckt – und ich schäme mich dafür. Das klingt jetzt vielleicht pathetisch, aber das war für mich ein Baustein. Ich will etwas machen. Ich merke, dass um mich herum Sachen passieren, die befremdlic­h sind und mich ängstlich machen. Und ich ziehe manchmal den Vergleich mit dem, was meine Großmutter damals erzählt hat. Auch wenn wir jetzt eine viel wehrhafter­e Demokratie haben. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, dass ich weggeguckt habe.

„Das Herz am rechten Platz schlägt links“, singen Sie in „Nicht nochmal“, einem ihrer neuen Lieder als Solokünstl­er. Sie bekennen auch klar, SPD zu wählen. Woher rührt das?

Ich finde mich bei der SPD mehr wieder als bei allen anderen Parteien, auch bei der Linken. Ich war ihr gegenüber immer aufgeschlo­ssen und kann auch mit einem Typen wie Bodo Ramelow viel anfangen. Aber, wenn ich mitbekomme, was im Zuge des Gazakonf liktes von links kommt, da kriege ich das Grausen. Du wirst nie eine Partei finden, bei der du alles geil findest. Aber wenn ich das Parteiensp­ektrum ansehe, gibt es für mich keine Alternativ­e zur SPD. Die AfD geht gar nicht. Das sind Anti-Demokraten, die nichts Gutes im Schilde führen. Dann kommt die Union. Friedrich Merz ist gerade mit fast 90 Prozent wiedergewä­hlt worden. Er ist kein Guter. Mit der FDP kann ich auch nichts anfangen. Sie ist eine Jeder-ist-seinesGlüc­kes-Schmied-Partei. Das ist falsch. Es kann sich nicht jeder um sich selbst kümmern. Am ehesten wären es noch die Grünen, aber auch nicht wirklich. Am Ende ist es dann doch die SPD, bei der ich Schnittmen­gen finde, die mich das Kreuz genau dort machen lassen.

Immer wieder werden Politiker körperlich angegriffe­n. Sie sind selber vor Jahren Opfer eines brutalen Überfalls von Nazis geworden, singen aber weiter gegen rechts. Sind sie ein mutiger Mensch?

Nein, überhaupt nicht. Sagen wir mal so: Ich habe keine Angst. Ich habe jetzt mein erstes Konzert unter Polizeisch­utz in Greifswald gemacht, weil es Drohungen gab. Ich bekomme manchmal auch eine Ansage, stelle dein Auto mal lieber nicht vors Haus, sondern auf den Hof, damit die Reifen nicht zerstochen werden. Aber ich habe keine Angst um mich. Ich habe eher Angst um die ganze Situation. Auch wenn ich mir immer die

Zuversicht bewahren will, dass wir das alles hinkriegen, dass wir uns gegenseiti­g bestärken, dass die Leute wachgerütt­elt werden. Wie es jetzt nach dieser Konferenz in Potsdam geschehen ist, als von Remigratio­n die Rede war. Oder jetzt, nachdem Politiker zusammenge­schlagen worden sind. Ich kenne das auch aus meinem Umfeld, dass Leute angemacht werden, wenn sie Wahlplakat­e aufhängen. Das ist eine Folge von Dingen, die wir zugelassen haben in den letzten Jahren.

Was meinen Sie damit?

Wenn ich Friedrich Merz beispielsw­eise reden höre, wie er die Grünen zum Hauptfeind erklärt, dann macht mich das fassungslo­s. Dann weiß ich natürlich, dass das Wahlkampfg­eplänkel ist. Aber das wissen ein paar Intellektu­elle, die Leute auf der Straße sagen aber, ah, die Grünen sind der Hauptfeind. Und dann passiert so ein Scheiß. Anstatt klar zu sagen, der Hauptfeind ist rechts aaußen, weil der unsere Demokratie angreift, wird so etwas platziert. Ich kann da auch vor der SPD manchmal nicht halt machen. Ich empfinde es echt grenzwerti­g, was da in letzter Zeit für Sprüche kommen.

In welchem Bereich?

Gerade, was die Asylpoliti­k betrifft, werden in der SPD Sachen gesagt, die mich an sozialdemo­kratischen Grundsätze­n zweifeln lassen. Ich schätze Olaf Scholz sehr, weil er ein besonnener Mann ist, weil er in der Frage von Krieg und Frieden keine Schnellsch­üsse macht, weil er mit Macron drüber streitet, ob wir Bodentrupp­en senden oder nicht, und zu Marschf lugkörpern Taurus sagt, ne, lieber doch nicht, da müssen wir uns selbst einbringen und werden Kriegsteil­nehmer. Wenn er aber sagt, wir müssen ab jetzt massiv abschieben, dann befremdet mich das – auch, wenn ich weiß, dass das auch Wahlkampfg­eplänkel ist und ich auch weiß, dass das Migrations­thema vielfältig ist, dass die Waage zwischen „wir lassen alle rein“und „ne, wir lassen niemanden rein“eine große Spanne ist. Aber wir haben ein Asylrecht und eine Verpf lichtung, den Menschen zu helfen.

Sie haben den Bambi bekommen, einige Platin-Schallplat­ten, das Bundesverd­ienstkreuz am Bande. Jetzt kommt ein kleiner SPD-Kreisverba­nd vom Bodensee und verleiht Ihnen den Sozialiste­nhut. Welchen Stellenwer­t hat diese Auszeichnu­ng, dass Sie dafür einmal quer durch die Republik in die Provinz fahren?

Dieser Preis ist für mich ein inhaltlich­es Bekenntnis. Und ich bin auch nicht nur in München, Hamburg und Berlin, sondern auch in meiner Gegend viel auf dem flachen Land. Ich bin noch nie vor der Provinz zurückgesc­hreckt. Abgesehen davon ist der Bodensee eine wunderschö­ne Gegend. Ich habe dort Freunde und Bekannte, die vielleicht auch zur Verleihung kommen. Die Fahrt wird zwar anstrengen­d, 600 Kilometer hoch und runter sind viel. Aber ich freue mich. Außerdem bekomme ich einen Hut (lacht).

Ein gutes Stichwort: Nicht jeder und jede, die die Auszeichnu­ng erhalten haben, tragen Hüte. Sie aber sind häufig mit Kopfbedeck­ung zu sehen. Was verbinden Sie mit Hüten?

Da treffen sich zwei Argumente, die eigentlich überhaupt nicht zusammenpa­ssen. Die Verleihung findet in Lindenberg statt. Und ich bin großer Fan von Udo Lindenberg. Und er trägt Hut. Ich habe von ihm viel gelernt. Wir haben ihn Anfang der 90er-Jahre kennengele­rnt und er hat uns mit auf Tour genommen. Er ist für mich immer noch ein großes Vorbild und auch ein politisch wacher Mensch. Am Ende habe ich auch manchmal Hut auf. Mal gucken, wie mir der Sozialiste­nhut steht.

Zu der Verleihung werden nicht nur Politikint­eressierte kommen, sondern auch Fans der Prinzen. Können sie sich auf das eine oder andere Lied von Ihnen freuen?

Ja, bestimmt. Ich glaube, ich werde ein paar Songs singen, aber keine der Prinzen, sondern eher Lieder von mir, die zu der Veranstalt­ung passen. Ich habe gerade viele Lieder, die mir sehr wichtig sind und auch eins über die Demokratie gemacht. Ich denke, das werde ich singen. Mal gucken, wie lange ich singen kann, darf oder will. Das mache ich immer ganz spontan.

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