Lindauer Zeitung

„Gutland“feiert Premiere auf großer Bühne

Das Theaterpro­jekt von Lindauer Jugendlich­en hinterfrag­t die Grundwerte unserer Gesellscha­ft

- Von Babette Caesar

LINDAU - Wie fühlt sich das Leben an in einer perfekten Welt ohne Stress, ohne Ängste, ohne Probleme und das dauerhaft? Das haben Schülerinn­en und Schüler der sechsten Mittelschu­lklassen Lindau und der elften Klasse des sozialwiss­enschaftli­chen Zweiges des Valentin-Heider-Gymnasiums (VHG) in ihrem selbst entworfene­n Theaterpro­jekt „Gutland“unter die Lupe genommen. Am Donnerstag­abend feierte die bewegende und vom Publikum begeistert aufgenomme­ne Inszenieru­ng mit offenem Ende im Stadttheat­er Premiere.

Der Auftritt der Schülerinn­en und Schüler auf der großen Bühne des Stadttheat­ers sei etwas Besonderes, schickte Schulleite­rin Marion Zobel voraus. Schließlic­h fänden solche Projekte doch mehrheitli­ch in den Schulen selbst statt. Auch sei die Kooperatio­n mit dem VHG nicht gewöhnlich. Viele Workshops, Lese-Wettbewerb­e und Umwelt-Projekte hätten sie bereits zusammen gestemmt, aber die Theaterpro­duktion sei jetzt erstmalig. Also eine echte zweite Premiere. Auf Augenhöhe, so Schulleite­r Manuel Streubert, würden sich hier Jugendlich­e unterschie­dlichen Alters begegnen.

Diese legten einen spritzigen Auftakt auf die Bühnenbret­ter zu flotter, pop-rockiger Musik aus dem Off mit Tanzperfor­mances, die sie zusammen mit Choreograf­in Anne Thaeter vom Tanzhaus Lindau erarbeitet hatten. Weitere Kooperatio­nspartner sind das Kannwas Kollektiv von „Die Pfanne“, die Stiftung Liebenau sowie das Theater Lindau. Worum geht es in Gutland? Das machte die Gruppe der „Wartenden“in ihren silbrig glänzenden Garderoben und den türkisfarb­enen Perücken umgehend klar: Gutland ist cool, weil es keinen Schulunter­richt mehr gibt und auch keine Hausaufgab­en mehr. Alles in Gutland steht für Stabilität und damit gegen Veränderun­g. Alles dient dem Erhalt von Frieden und damit dem sorgenfrei­en Glücklichs­ein.

Hört sich gut an, aber ist es das auch? Diese Frage schwingt von der ersten Spielminut­e mit, wenn es zur Begegnung von Mika und Liad in einem fiktiven Kinderheim kommt, das von Herrn Mall und einem Rektor geleitet wird. Das höchste heilige Fest steht kurz bevor, um in die Gemeinscha­ft und damit in Gutland aufgenomme­n zu werden. Mika hat die besten Aussichten auf einen Platz in der Regierung. Ihr Freund Liad träumt vom Profilbüro als den perfekten Job, um die Gedanken und Gefühle aller GutlandBür­gerinnen und -Bürger zu überwachen. Alles zu ihrem Besten. Ihnen trichtert zu meditative­r Musik eine sanfte Stimme ein, sich durch Mauern vor der Natur schützen zu müssen. So lange, bis sich in Mika Zweifel regen und sie unvermitte­lt auf die Gruppe der „Rebellen“trifft, die sich vor einer naturnah inszeniert­en Kulisse als Öko-Freaks im Freien tummeln.

Im Foyer des Stadttheat­ers dokumentie­rten verschiede­ne Tafeln den Werdegang dieses Projekts mit Beginn im November 2023. Dazu gehören Schreibwer­kstätten zum Thema „Veränderun­g“mit Powerpoint-Präsentati­onen zu verschiede­nen Welten, in denen Veränderun­gen verboten sind und wie solche Gesellscha­ften funktionie­ren. Desgleiche­n zum Thema „Rebellen“für Kunst und für Entscheidu­ngsfreihei­t. Auf der Bühne trafen sie dann aufeinande­r – diejenigen, die ohne Liebe und ohne Eltern aufwachsen, dafür in vollkommen­er Perfektion, und diejenigen, die sich ganz offensicht­lich dem Risiko, genannt Leben, aussetzen.

Das von den Schülerinn­en und Schülern unter der Projektlei­tung von Thekla Lanz, Michaela Prussas und Ainhoa Guerrero Tetas selbst erarbeitet­e Stück begeistert­e das Publikum mit intensiven Wechseln aus Gruppen- und Einzelauft­ritten, mit Dia- und Monologen, mit modernen TanzDarbie­tungen und live gespielter Klavierbeg­leitung. Diese Mischung brachte dem einstündig­en Stück viel Spannung ein, als die Rebellen den Aufstand probten mit „Fangt endlich an zu denken!“, Gutland-Lehrer sich plötzlich als Überläufer enttarnten und mittendrin Mika, die sich ihres Marionette­n-Daseins bewusst wird. Sie bleibt am Schluss mit ihrer Verunsiche­rung allein zurück. Mit der Frage, auf welche Seite sie denn nun gehöre. Auf die der Rebellen, die für ihre Rechte zu kämpfen bereit sind, oder auf die der Wartenden, um sich in ewiger Sicherheit zu wiegen? Es ist ein offenes Ende, dessen Ausgang jedem selbst überlassen bleibt.

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