Staatsbesuch in schwierigen Zeiten
Emmanuel Macron kommt nach Deutschland – Risse im deutsch-französischen Verhältnis bleiben
PARIS - Als Jacques Chirac im Jahr 2000 zum Staatsbesuch nach Deutschland kam, war die Bundesregierung gerade von Bonn nach Berlin umgezogen. Es herrschte Aufbruchstimmung und Chirac folgte ihr: Der Präsident legte den Grundstein für die französische Botschaft am Brandenburger Tor und sprach als erster Gastredner im neu gestalteten Reichstag. Wenn am Sonntag mit Emmanuel Macron erstmals nach 24 Jahren wieder ein französischer Staatschef zu einer offiziellen Visite kommt, ist deutlich weniger Neues und deutlich mehr Routine im Spiel. Geblieben sind allerdings die Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis, die schon damals zwischen Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder herrschten.
Ein französischer Präsidentenberater sieht das ganz ähnlich: „Man kann die Ärgernisse des Deutsch-Französischen viel kommentieren, aber es gibt auch eine Fortdauer im deutsch-französischen Verhältnis.“Und diese Beständigkeit soll bei dem Staatsbesuch gefeiert werden, der eigentlich bereits im vergangenen Jahr stattfinden sollte. Macron musste den Termin allerdings wegen der Vorstadtunruhen absagen.
Diesmal beginnt die Visite in Berlin mit der Teilnahme am Demokratiefest, das 75 Jahre Grundgesetz feiert. Beim Staatsbankett am Abend kann Macron sich dann zusammen mit der ebenfalls geladenen Merkel an die guten alten Zeiten erinnern. Denn es war die Bundeskanzlerin, mit der er nach der Corona-Pandemie den gemeinsamen Wiederaufbaufonds über rund 750 Milliarden Euro auf den Weg gebracht hatte. Erstmals willigte Merkel damals ein, den Fonds über gemeinsame Schulden zu finanzieren.
Gemeinsame europäische Anleihen wünscht sich der Präsident nun auch, um eine starke europäische Verteidigung aufzubauen, die er seit seiner ersten Europa-Rede an der Sorbonne 2017 fordert. Doch hier wird er von der Bundesregierung ausgebremst. Das heikle Thema dürfte auf den Tisch kommen, wenn der deutsch-französische Ministerrat sich am Dienstag in Schloss Meseberg trifft.
Zuletzt hatten Deutschland und Frankreich auf dem schwierigen Feld der Verteidigung einige Fortschritte erzielt. Nach jahrelangem Streit einigten sich Verteidigungsminister Boris Pistorius
und sein Kollege Sébastien Lecornu Ende April im Grundsatz auf die Entwicklung des gemeinsamen Kampfpanzersystem MGCS. Auch das gemeinsame Kampfflugzeug FCAS ist auf dem Weg.
Uneinigkeit gibt es dagegen weiterhin bei der Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine, die Macron nicht ausschließen will. Den Raketenschild, den Scholz seit Beginn des Ukraine-Kriegs mit europäischen Partnern plant, sieht der französische Präsident ebenfalls mit Misstrauen. Ganz ausschließen will Macron eine solche Flugabwehr allerdings nicht, wie er in seiner zweiten Rede an der Sorbonne Ende April sagte.
Sein Herzensthema Europa will der 46-Jährige in Deutschland gleich zweimal ansprechen: Bei einer Rede vor Tausenden europäischen Jugendlichen vor der Frauenkirche in Dresden und bei der Entgegennahme des Westfälischen Friedenspreises in Münster. Der Präsident wird nicht müde, für seinen ehrgeizigen Plan einer mächtigen EU zu werben, die sich neben den USA, China und Russland auf Augenhöhe etabliert. Seine Forderung nach mehr europäischer Souveränität, die er 2017 in seiner ersten Europarede an der Sorbonne formulierte, ist inzwischen in aller Munde.
Bei der Umsetzung seiner Pläne konnte Macron bisher kaum auf Deutschland zählen. Schon die erste Sorbonne-Rede erhielt keine Reaktion aus Berlin und auf die zweite reagierte Scholz nur mit einem kurzen Kommentar auf der Plattform X. Dabei hatte Macron mit den Worten „Unser Europa kann sterben“eine dramatische Warnung an die europäischen Partner gerichtet. „Die Weiterentwicklung der EU ist in Deutschland nicht so eine Priorität“, bemerkt Seidendorf.
Der Staatsbesuch bietet der Bundesregierung nun die Möglichkeit, Versäumtes nachzuholen. Oppositionschef Friedrich Merz forderte bereits, dass von Macrons Visite ein klares Signal ausgehen müsse. „Ein Stück mehr Souveränität für Europa zu erreichen im Sinne von 'Wir müssen uns auch selbst verteidigen können' – das wäre jetzt genau richtig“, sagte Merz im rbb. Wie es gehen kann, zeigten die Außenminister des Weimarer Dreiecks diese Woche. Die Vertreter Deutschlands, Frankreichs und Polens vereinbarten einen „konkreten Arbeitsplan“für ein stärkeres geopolitisches Europa. Ganz im Sinne Macrons.