Märkische Oderzeitung Frankfurt
Widerstand als Ansporn
Der ehemalige Rabbiner-student Ármin Langer lebt in Neukölln und setzt sich mit der Salaam-schalom-initiative gegen Vorurteile ein
Ármin Langer sieht müde aus an diesem Abend. Er will einen Vortrag fertig schreiben, doch zuerst steht in einem kleinen Neuköllner Café ein Interview an. Der 26-Jährige hat unzählige Gespräche mit Journalisten geführt – nicht immer zu seinem Vorteil. So ist der Rabbiner-student im Januar aus dem Abraham-geiger-kolleg in Potsdam geflogen.
Schuld daran sei seine politische Positionierung in den Medien, sagt er. Mehrmals sei er gebeten worden, sich zurückzuhalten. Das tat er nicht. Anfang 2015 fiel er auch noch seinem Rektor Walter Homolka in den Rücken. Dieser hatte in der Rbb-abendschau dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, zugestimmt, dass Juden in „muslimischen Nachbarschaften“keine Kippa tragen sollten.
Das bestritt Ármin Langer vor der Kamera – ohne zu wissen, dass sein Rektor auch interviewt worden war. Aber eigentlich sähe er auch gar kein Problem darin, unterschiedlicher Meinung zu sein, schreibt Langer in seinem Buch: „Ein Jude in Neukölln“. Durch den Rauswurf bekam er noch mehr Aufmerksamkeit. „Die Tatsache war ein kleiner Skandal.“Dabei wirkt der schmale, sich besonnen gebende junge Mann nicht wie jemand, der den großen Auftritt um des Auftritts willen sucht. Aber er nimmt ihn in Kauf. Widerstände scheinen ihn anzuspornen. „Das zeigt, dass ich am richtigen Ort bin.“
Langer will zeigen, dass Muslime und Juden keine natürlichen Feinde sind. Immer wieder entzündet sich die Debatte an Neukölln, einem durch einen hohen Anteil an Migranten geprägten Berliner Stadtteil. 2013 war der in Ungarn aufgewachsene, damals 23-jährige Langer gerade nach Berlin gezogen, da kam Neukölln mal wieder in die Schlagzeilen. Daniel Alter, der damalige Antisemitismus-beauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, erklärte es zur No-go-area für Juden.
Gemeinsam mit Freunden entwickelte Ármin Langer daraufhin in einer verrauchten Neuköllner Kneipe die Idee, Videointerviews mit Juden aus dem Kiez zu drehen. Denn es gibt viele, die sich dort wohlfühlen. An diesem Abend wurde auch die Salaam-schalom-initiative geboren. Ihr Ziel ist nicht die Versöhnung zwischen Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens. Der Nahost-konflikt könne nicht in Berlin gelöst werden, sagt Langer. Stattdessen wollen die Aktivisten die unterstellte Feindschaft als Vorurteil entlarven. Sie organisieren Veranstaltungen in Moscheen und Synagogen, Demonstrationen und Picknicks. Sie wollen zeigen: Beide Gruppen haben in Deutschland als religiöse Minderheiten vieles gemeinsam – ob es nun um Beschneidung oder das Schächten geht.
Draußen vor den Fensterscheiben des Cafés ist es schon dunkel, auf dem Hermannplatz laufen Menschen durcheinander. Ármin Langer hat jüdische, muslimische, atheistische und christliche Freunde. Als homosexueller Jude kennt er Neukölln aus verschiedenen Perspektiven. Und weiß: Viele Berichte über Antisemitismus und Homophobie stammen von Menschen, die nicht dort leben. Immerhin findet sich einer der größten Berliner Schwulenclubs im Kiez. In der U-bahn, in den Straßen und Bars wird die Szene sichtbar.
Als Langer für seine Ausbildung von Budapest nach Berlin zog, landete er zufällig in Neukölln. Als armer Student habe er es anfangs nicht leicht gehabt, schreibt er: „Ich kaufte immer den billigen Blechkuchen von Thoben, und nachmittags lag ich in meinem vier mal vier Meter großen Zimmer auf einer Matratze, meinem einzigen Möbelstück, kaute auf der Erdbeerschnitte und war glücklich.“
Mit seinem Optimismus, seinem Überschwang und seiner harschen Kritik eckt er immer wieder an. 2014 veröffentlichte er im „Tagesspiegel“einen Artikel unter der Überschrift „Muslime sind die neuen Juden“, der ihm den Vorwurf einhandelte, den Holocaust zu verharmlosen. Nichts liege ihm ferner, betont er. Stattdessen wolle er Parallelen aufzeigen zwischen Vorurteilen gegen Muslime und jenen, die sich im Antisemitismus finden.
Die Juden, behauptet er, seien nach 2000 Jahren der Unterdrückung heute Teil des Mainstreams geworden. Aus dieser Position heraus sollten sie sich für andere einsetzen, die diskriminiert werden – Muslime und Geflüchtete etwa. „Ich denke, dass Menschen, die einen privilegierten Status haben, die Pflicht haben, sich einzubringen.“Institutionen wie dem Zentralrat der Juden oder dem Dachverband der jüdischen Gemeinden wirft er vor, sich auf die Themen Holocaust, Antisemitismus und Israel zu beschränken. „Ich will beweisen: Juden und jüdisches Leben definieren sich heute nicht mehr allein durch die Beschäftigung mit der Shoa und die Bedrohung durch den Antisemitismus.“
Früher sei für ihn selbst die Auseinandersetzung mir dem Holocaust Kern seines Judentums gewesen. Erst als er 16 war, erzählten seine Eltern ihm von seiner Herkunft. „An dem Tag, als ich erfuhr, dass ich jüdisch bin, erfuhr ich auch, dass die Eltern meines Vaters, die ich nie gekannt habe, nach Dachau deportiert worden waren. Sie überlebten die Judenvernichtung“, schreibt er. Alle anderen wurden jedoch getötet: Urgroßeltern, Großtanten, Großonkel. Für den Jugendlichen, der gerade seine Homosexualität entdeckte, unter Epilepsie litt und sich immer ein wenig anders gefühlt hatte, eine zusätzliche Bürde.
Langer begann, sich mit dem Judentum auseinanderzusetzen, engagierte sich in einer liberalen jüdischen Gemeinde in Budapest und fuhr für Studienaufenthalte nach Israel. Mit 21 beschloss er, Rabbi zu werden. Um seine Ausbildung abzuschließen, wird er wahrscheinlich ins Ausland gehen. Das Abraham-geiger-kolleg will er auf Schadenersatz verklagen, denn an dem neuen Institut wird er Studiengebühren zahlen müssen.
Seit das Buch erschienen ist, haben sich viele Menschen gemeldet. 2017 wollen die Mitglieder der Salaam-schalom-initiative einen Verein gründen. Ableger gibt es bereits in Budapest, Hamburg und Kopenhagen. Langer will sich weiter engagieren, auch wenn er manchmal Lust habe, einfach mal abzuschalten. Aber, so sagt er: Es sei gerade nicht an der Zeit, zu Hause zu sitzen und Serien zu gucken.