An der Küste Litauens wird erfolgreich Bernstein gefischt. Auch Touristen haben dort schnell Erfolgserlebnisse
Jedes Jahr das gleiche Bild. Ganze Heerscharen von Urlaubern wälzen sich in gebückter, ja schon fast devoter Haltung die Strände der Ostsee entlang. Den Blick starr auf die Grenze gerichtet, an der sich Wasser und Land kreuzen. Eine hübsche Muschel oder einen Donnerkeil gar wollen sie finden, suchen aber tatsächlich nach – Bernstein. Jenen meist bräunlichen Klumpen, die sich seit Jahrmillionen unter dem Bett der Ostsee geformt haben und auch als deren Gold bezeichnet werden. Einst standen hier gewaltige Kiefernwälder, die Bäume bis zu 40 Meter hoch. Temperaturen wie in den Tropen sorgten dafür, dass reichlich Harz floss. Und jenes, das seinerzeit relativ schnell von der Luft ausgeschlossen wurde, kann rund 50 Millionen Jahre später gefunden werden.
Was für die Touristen ein reines Freizeitvergnügen ist, wurde für andere Lebensaufgabe. So fischt Igoris Osnac schon vor dem Frühstück an der Küste Litauens mehr Bernstein aus der Ostsee, als eine sächsische Großfamilie im gesamten Campingurlaub dem Strand von Boltenhagen entreißen kann. Zum einen ist das dem Umstand geschuldet, dass hier – nördlich der größten Bernsteinvorkommen im Gebiet von Kaliningrad – der Ostseegrund deutlich reichhaltiger mit dem fossilen Harz gesegnet ist. Aber auch das Fischen ist wichtig.
Im Gegensatz zu den Touristen macht der 53-jährige nicht am Strand Beute. Er steht meist hüfttief im Wasser. Für Osnac ist das Bernsteinfischen nicht Zufallsspiel, sondern Ergebnis genauer Recherche. Im Informationszentrum des Küstennationalparkes zwischen den Städten Klaipeda und Palanga kann man sich nicht nur über Flora und Fauna der Re- gion informieren. Dort erfährt man auch, wo Bernstein zu finden ist und wie man ihn von Glas oder Plastik unterscheiden kann.
Vor allem aber, welche Faktoren auf Erfolg bei der Suche verweisen. Da Bernstein nur eine geringe Dichte besitzt, schwimmt er in zehnprozentiger Salzlösung oben. Doch das Ostsee-Wasser weist mit nur knapp drei Prozent einen deutlich geringeren Salzgehalt auf. Daher sinkt das Urzeit-Harz in die Tiefe, langsam. Dort wird es, abhängig vom Wellengang, Richtung Küste befördert, weshalb besonders nach starker Dünung die Chancen für die Fischer gut ste- hen. Allerdings nicht überall. Denn Algen und Treibholz sorgen für zusätzlichen Transport. Die aufgewirbelten Nuggets werden von den Pflanzen umschlossen, und diese wiederum bleiben im Idealfall am Treibholz hängen, das irgendwann an der Küste landet.
Igoris Osnac stapft also nicht einfach los. „Ich schaue, wo sind Möwen, denn die suchen in den Algen Nahrung“, erzählt der gebürtige Klaipedaer, der schon als Jugendlicher zu Sowjetzeiten verbotener Weise dem Bernstein nachjagte. Wenn in Seegras oder Algen-Nähe auch Treibholz ist, schlüpft er in den wasserfesten Anzug, greift sich einen großen Käscher und geht ins Wasser.
Dort schürft Osnac knapp über dem Meeresboden, einige Male, bis ein Viertel Netz voll ist. Am Ufer wird dann sortiert. Eine Methode, die auch bei Touristen schnell Erfolge zeitigt, wenngleich in bescheidenem Maße. Denn der ideale Monat fürs Bernsteinfischen sei der November, wenn die Herbststürme über die Ostsee jagen, erklärt der Fachmann. Keine gute Zeit, um im Baltikum Urlaub zu machen.
Doch man kann Amber, wie Bernstein weltweit genannt wird, in ganz Litauen kaufen. Die Preise richten sich nach Art und Größe, Farbe und Schliff und ob es Einschlüsse fossiler Tiere oder Pflanzen gibt. Auf Grund des Überangebotes und der gigantischen Preisspanne wird der Laie schnell unsicher, ob die angepriesene Ware tatsächlich echt ist. Bei Osnac ist hier guter Rat nicht teuer, sondern kostenlos. Die sicherste Methode sei aber zugleich die riskanteste. Denn Bernstein brenne.
Wer also sein Collier abgefackelt habe, könne sicher sein, dass es echt war, gibt der Experte scherzend zur Kenntnis. Schonender wäre, es in besagter Salzlösung zu versenken, in der es oben schwimmen müsse. Ein eher wenig praktikabler Weg im Geschäft oder am Marktstand. Bleibt die einfachste Art, die Echtheit zu prüfen. Dafür wird der Bernstein an der Innenhand ordentlich gerieben. Kurz, bevor Blasen auf der Haut entstehen, sollte diese deutlich nach Harz riechen. Wer dieses Erlebnis hat, darf beruhigt zugreifen. Zudem fühlt sich Bernstein warm an – im Gegensatz zu anderen Edelsteinen oder Glas.
Alles andere ist reine Geschmackssache. Es gibt Bernstein in verschiedenen Farben, von schwarz bis weiß. Ersterer ist besonders wertvoll, ihm wird heilende Wirkung vor allem für die Schilddrüse zugeschrieben. Am häufigsten kommt jener vor, dessen golden-braunes Aussehen synonym für die ganze Gattung verwendet wird. Gefundene Stücke sind an der Oberfläche meist trüb und rau. Mit mittlerem und feinem Sandpapier jedoch lassen sie sich leicht bearbeiten und erhalten so schnell eine glänzende und transparente Oberfläche, die auch den Blick ins Innere freigibt. Und der ist mitunter wie eine Zeitreise, viele Millionen Jahre zurück in der Erdgeschichte.