Vom Leben und Sterben auf der Insel
Heimathafen spielt Peter Pan auf dem Wasser
Berlin.
Es ist kuschelig, manch einem vielleicht etwas zu kuschelig an Bord. Dicht an dicht sitzen die Zuschauer an diesem Donnerstagabend an Deck des Floßes, das aussieht wie ein Piratenschiff. Wegen technischer Probleme haben sie erst noch an Land warten müssen. Gerade, als sich alle irgendwie unter einer großen Plane zurecht geruckelt haben, wird der Regen heftiger. An den Seiten läuft Wasser hinein. Das bedeutet: Noch enger zusammenrücken.
Die Premiere von „Peter Pan“im Berliner Heimathafen Neukölln startet. Und kaum betritt Schauspieler Alexander Ebeert die Szenerie, sind Feuchtigkeit und eingeschlafene Glieder vergessen. Der Himmel liegt in düsterem Graublau über dem Floß, im Lampion- und Kerzenschein singt er – wie sollte es anders sein – „Forever young“von Alphaville. Peter Pan ist ja bekanntlich der Junge, der niemals erwachsen werden will. Eine schöne Vorstellung – mit unbehaglichem Unterton. Nicht ohne Grund verweist der Untertitel des Stücks „von einem, der auszog, das Sterben zu lernen“auf Schlimmes.
Doch zuerst einmal zeigt sich Gastgeber Ebeert als einnehmender Geschichtenerzähler. Mit Seemanns-Mütze und abgewetzter Kleidung spielt er den Gestrandeten. Einen Mann, der irgendwie verlorenging und nun hier wohnt, auf diesem Floß. „Ich kriege kein Sozialgeld, und deswegen weiß niemand mehr, dass es mich überhaupt noch gibt.“
Er erzählt allerhand Kurioses: Von seinem Sohn Peter, der auf der nahgelegenen Liebesinsel wohnt, von Vögeln, mit denen er redet – und von seinen Ängsten im Dunkeln. Getragen werden seine Geschichten von Musik und Liedern seiner herrlichen Seemanns-Band: Nicolas Bamberger am Piano, Jan Slak am Schlagzeug und Markus Wutzlhofer (Sounddesign).
Der Gestrandete entführt die Passagiere auf eine fantastische Reise auf den Spuren seines Sohnes Peter. Seine Frau lebe nun in einer dieser „seelenlosen Kackwohnungen“am Ufer der Bucht. Ihr spöttisches Lächeln in den Mundwinkeln habe sie verloren. „Sie ist genauso wie diese Fassaden geworden.“
Das Floß als Insel der Anarchie inmitten einer Stadt, die mit Luxuswohnungen zugepflastert wird – die Realität holt den kuscheligen Mikrokosmos schnell ein. Tatsächlich betreibt ein Kollektiv die „Anarche“als Ort für politische Demonstrationen und Auseinandersetzungen, Filmvorführungen und andere Events. Das Stück bezeichnen die Macherinnen (Text: Vera Schindler, Dramaturgie: Lena Reinhold) als vogelfreie Adaption von J.M. Barries Ur-Peter-Pan in Kensington Gardens (1902). Regisseurin Nicole Oder hat es auf die Planken gebracht.
Alexander Ebeert gibt darin einen schnoddrigen, charismatischen Erzähler und Sänger. Text, Musik, Schauspiel und Umgebung vereinen sich – trotz oder gerade wegen der Weltuntergangsstimmung – zu einem wunderbaren, stimmungsvollen Abend. Der Heimathafen präsentiert ein passendes Stück für eine Stadt, die selbst zum Glück nie erwachsen werden will: poetisch, politisch, wehmütig, wild und tief traurig zugleich. Vorstellungen: 7./14.9., 19 Uhr, Floßfahrt auf der Rummelsburger Bucht, Uferweg, Höhe Bushaltestelle Altstralau, Berlin-Friedrichshain, Kartentel. 030 56821340, www.heimathafen-neukoelln.de