Offener Brief an Phil Schiller
oder darf ich Sie „Phil“nennen? Wahrscheinlich nicht, denn weder mein Werdegang noch meine gegenwärtige Position und am wenigsten mein monatlicher Gehaltsscheck können auch nur ansatzweise mit dem Ihrigen konkurrieren. Und auf Standesdünkel legen Sie ja anscheinend großen Wert.
Phil, was ist denn nur in Sie gefahren? In einem Interview mit dem Magazin „Cnet“behaupten Sie allen Ernstes, dass Chromebooks nur deshalb Einzug in die Us-amerikanischen Klassenzimmer gefunden hätten, weil sie „billige Tools für erforderliche Prüfungen“seien. Kinder, die diesen „Billigwerkzeugen“ausgesetzt seien, wäre in Ihren Augen kein Erfolg beschieden.
Ich frage mich seitdem, welchen Erfolg Sie meinen. Den Erfolg beim Lernen? Oder spannen Sie den Bogen denkbar weit und meinen den Erfolg im Leben?
Während zum Beweis letzterer Vermutung schwerlich zuverlässige Quellen aufzutreiben sein werden, sprechen erste Erfahrungen von Us-schulen im K-12-bildungsbereich zumindest gegen Ihre erstere These. So stellte die Forschungsgruppe „Evergreen Education Group“fest, dass die Prüfungserfolge im Charlotte-mecklenburg-schulbezirk in North Carolina seit dem Einsatz von Chromebooks und der darauf installierten Bildungsapplikationen von 75 auf 94 Prozent hochgeschnellt sind. Auf Nachfrage erklärte ein Sprecher des Schuldistrikts, der zu den 18 größten in Ihrem Heimatland gehört, Phil, dass Chromebooks Lehrern ermöglichen würden, besser „auf die individuellen Anforderungen einzelner Studenten einzugehen.“Schüler wären weniger von ihren Lehrern abhängig und würden eine höhere Freiheit und Kreativität im Umgang mit dem Lehrmaterial genießen.
Freiheit und Kreativität – hört sich das für Sie nicht nach den immer wieder gern propagierten, aber zunehmend in Vergessenheit geratenen „originalen“Apple-werten an?
Vielleicht sollten Sie ja einmal Ihr Büro im sonnigen Cupertino verlassen, um sich den Zustand der öffentlichen Schulen in einer typischen, von Arbeitslosigkeit geprägten, derzeit bitterkalten Industriestadt wie Detroit anzusehen. Hier hat der Bundesstaat Michigan im Rahmen eines Pilotprojekts die von Ihnen verächtlich als „billig“bezeichneten Chromebooks in vielen seiner Bildungseinrichtungen eingeführt. Ziel war jedoch nicht nur deren längst fällige, nicht zuletzt aufgrund hoher Kosten verschleppte Digitalisierung, sondern die Erschaffung einer Chancengleichheit der oft vernachlässigten staatlichen Schulen mit den reichen Privatschulen in den Vororten (und auch Sie kommen ja aus einem solchen, nicht wahr?).und hier, lieber Phil, sind wir – so denke ich – an einem Punkt, den Sie aus Ihrer Position heraus wahrscheinlich längst nicht mehr verstehen: Der Zugang zu günstiger Hardware im Rahmen der Chancengleichheit beim Lernen hat nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine weitreichende soziale Dimension. Nicht der Geldbeutel von Schülern, Studenten und zumeist deren Eltern darf die Grundlage für den Erfolg beim Lernen oder im Leben legen, sondern einzig das Talent.
Besonderes Apple hat eine lange Geschichte in der Unterstützung der Fähigkeit von Kindern, „zu lernen, zu erforschen und daran zu wachsen“, wie Sie in einem nachgereichten Tweet dozieren. Es mag Sie verwundern, aber die Gründer des Unternehmens, von dem Sie heute Ihren Gehaltsscheck beziehen, hatten nie das Ziel, elitäre Rechner und teure Technik-spielzeuge für Vorstadt-snobs zu erschaffen. Es war eben die Idee der Verfügbarmachung überlegener Technologie letztlich für „die ganz normalen Menschen“, die sowohl hinter der Entwicklung des Apple I als auch des Mac(intosh) stand.
Es ging Steve „Woz“Wozniak und Steve Jobs also auch um Chancengleichheit, um das Entreißen einer Technologie aus den Händen von Akademikern und Begüterten. Viele Teile der Öffentlichkeit, zumindest außerhalb Ihrer Kreise, erwarten die Erfüllung dieses Versprechens heute anscheinend aber nicht mehr von Apple. Und das sollte Sie wirklich nervös machen, Phil – und nicht der Erfolg angeblicher Billigrechner.
Zudem: Für jede Kritik gibt es Ort, Zeit und Umstände. Steve Jobs wusste das. Sie nicht: Sie haben zu Ihrem beleidigten Rundumschlag ausgerechnet in einem Interview anlässlich der Präsentation des neuen Macbook Pro angesetzt. Das kostet in seiner Grundversion 2.700 Euro. Mit allen Extras liegt es bei knapp 8.000 Euro.
Sie können sich das sicherlich leisten, Phil. Ich nicht. Und die Eltern der Kinder an den Schulen von North Carolina wahrscheinlich auch nicht.
Ach, übrigens: Würde Ihr Unternehmen seine Steuern in den USA bezahlen, statt diese offshore zu vaporisieren, stünde es vielleicht sogar um die staatlichen Schulen von Detroit besser.
Herzlichst,
Ihr Thomas Raukamp Chromebook-, ipad- und Mac-nutzer (mittlerweile in dieser Reihenfolge)