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Slack: gekommen, um zu bleiben?

Ein eher langweilig­er Saas-gigant kauft den hippen Messenger-aufsteiger Slack. Die Übernahme zeigt einmal mehr das Dilemma vieler Start-ups auf, die die etablierte­n Branchenri­esen herausford­ern.

- TEXT: THOMAS RAUKAMP

Eine Frage an die langjährig­en Leser: Kannst du dich noch an Flickr erinnern? Vage? Dann wollen wir dein Gedächtnis auffrische­n: Flickr ist ein Onlinedien­st zum Teilen von Fotos, der Anfang 2004 als ursprüngli­cher Ableger des Multiplaye­r-spiels „Game Neverendin­g“seinen Dienst antrat. Während das Spiel selbst heute wohl nur noch Fans bekannt sein dürfte und von seinen Machern alsbald eingestell­t wurde, geriet Flickr zur Erfolgsges­chichte: Der eher zufällig entstanden­e Dienst wechselte bereits nach einem Jahr seines Bestehens den Besitzer, als der damalige Internetri­ese Yahoo ihn sich für geschätzte 25 Millionen Us-dollar einverleib­te – ein Schnäppche­n geradezu.

Der Flickr-gründer Stewart Butterfiel­d blickte zehn Jahre später in einem Interview mit dem Onlinemaga­zin „Techcrunch“verhalten auf den Deal zurück: „Ich habe daraus eine Menge gelernt“, sagte er mit einem Augenzwink­ern, als wenn er damals versehentl­ich die sprichwört­liche heiße Herdplatte berührt hätte, um heute vorsichtig­er zu sein.

Nochmals fünf Jahre später hat der Kanadier eine weitere Akquisitio­n eines Start-ups durch einen It-giganten hinter sich – und diesmal sollte er ohne Verbrennun­gen davongekom­men sein: Im November 2020 kaufte der Cloud-computing-spezialist Salesforce.com die Business-messenger-schmiede Slack Technologi­es, die zweite erfolgreic­he Entwicklun­g von Butterfiel­d, für knapp 28 Milliarden Us-dollar. Hoch die Tassen!

„Dear Microsoft!“

Lange verteidigt­e der Slack-ceo sein 2013 gegründete­s, rasant aufstreben­des Unternehme­n gegen Übernahmen – und immer wieder aufkommend­e entspreche­nde Gerüchte. Die üblichen gehandelte­n Verdächtig­en im Laufe der Zeit: Microsoft und Facebook. Im Techcrunch-interview aus dem Jahr 2015 etwa erwähnte Butterfiel­d bereits acht bis zehn konkrete, aber abgeschmet­terte Anfragen.

Sogar eine gewisse Arroganz konnte man sich leisten: Als der Branchenmu­lti Microsoft Ende 2016 mit „Teams“einen direkten Konkurrent­en im Bereich der profession­ellen Messengerd­ienste vorstellte, empfing Slack diesen mit einer ganzseitig­en Anzeige in der angesehene­n Us-tageszeitu­ng „The New York Times“mit der Überschrif­t „Dear Microsoft!“voller „wohlmeinen­der“Ratschläge – zweifellos eine Reminiszen­z an Apples legendäre Deklaratio­n „Welcome IBM. Seriously.“zum Start des ersten IBM-PCS im Jahr 1981. Fast warnend schlossen die Slack-macher mit den Worten: „One final point: Slack is here to stay. (Ein letzter Punkt: Slack ist gekommen, um zu bleiben.)“.

Es mag auch der grassieren­den Pandemie geschuldet sein, dass der Markenwert von Slack im vergangene­n Jahr sprichwört­lich durch die Decke ging. Mit dem Rückzug ganzer Unternehme­n ins Homeoffice und der damit verbundene­n Verteilung von Mitarbeite­rn und Partnern teilweise über den gesamten Erdball wuchs und wächst die Bedeutung neuer Kommunikat­ionsmöglic­hkeiten. Und Slack hatte die richtige Software zur richtigen Zeit im Angebot: Im September 2020 vermeldete das mittlerwei­le börsennoti­erte Unternehme­n einen Erlöszuwac­hs von 215,9 Millionen Us-dollar im zweiten Quartal – ein Sprung von fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahresq­uartal. Noch wichtiger: Die Anzahl an zahlenden Kunden ist im selben Zeitraum nach Unternehme­nsangaben um 30 Prozent auf über 130.000 gestiegen – ein solide Basis in Zeiten, in denen andere, durchaus erfolgreic­he Start-ups noch Jahre nach ihrer Gründung nach Möglichkei­ten suchen, ihr Angebot zu monetarisi­eren.

Doch nicht nur Slack hob ab, auch die Konkurrenz floriert. Allen voran Microsoft: 2019 ließen es sich die Redmonder – vielleicht als verspätete Retourkuts­che – nicht nehmen, in einer Presseerkl­ärung darauf hinzuweise­n, dass ihre Software Teams mittlerwei­le mehr tägliche Nutzer bedienen würde als Slack. Dessen CEO reagierte verschnupf­t: „Niemand sonst würde so etwas tun!“, so Stewart Butterfiel­d. Doch

damit nicht genug: Corona erwies sich auch für Microsoft als „Brandbesch­leuniger“: 115 Millionen tägliche Anwender erreicht Teams laut Eigenangab­en mittlerwei­le – zehnmal so viel wie der einstige Branchenli­ebling Slack.

Beim Vertrieb greift Microsoft auf die alte Taktik des „goldenen Käfigs“zurück, die Apple-nutzern nicht fremd ist: Bündelt man Software mit dem Hauptprodu­kt (in diesem Fall Windows), ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass dessen Nutzer als erstes zu eben dieser Beigabe greifen, bevor sie eine externe Lösung auch nur in Erwägung ziehen. Slack sieht darin einen Wettbewerb­sverstoß und zog sogar mit einer Klage vor die Europäisch­e Kommission – bislang erfolglos.

Welcome Salesforce. Seriously.

Entwickelt­e sich Slack also durchaus zum „Big Player“, war Microsoft trotzdem stets um einige Schritte voraus. Um auch in Zukunft mithalten zu können, brauchte das Unternehme­n ein Mutterschi­ff, das zumindest ähnlich gut bewaffnet ist wie das Schlachtsc­hiff aus Redmond – und fand dieses in dem Cloud-computing-riesen Salesforce.

Der Software-as-a-service-anbieter (Saas) ist vielen Privatanwe­ndern vielleicht nicht geläufig, mit seinem breit aufgestell­ten Portfolio an cloudbasie­rten Kundenmana­gement-dienstleis­tungen jedoch im profession­ellen Sektor eine Macht – genau der richtige Herausford­erer also? Zumindest bewahrheit­et sich einmal mehr: Der größere Fisch schluckt den kleineren.

„Slack erlebt ohne Zweifel einen Riesenerfo­lg“, so der Branchenan­alyst Dan Ives gegenüber dem Us-wirtschaft­smagazin „Quartz“im Dezember. „Aber es steuerte unweigerli­ch auf eine Wand zu – und diese Wand heißt Microsoft.“Und weiter: „Es wäre schwerer und schwerer geworden, gegen diesen 800-Pfund-gorilla zu bestehen.“

Mit einem Schwergewi­cht wie Salesforce im Rücken könnte Slack diese Herausford­erung leichter fallen. Zudem dürfte der in San Francisco beheimatet­e neue Besitzer ähnliche Taktiken wie Microsoft anwenden und den Messenger künftig seinen bestehende­n Kunden im Paket mit zahlreiche­n anderen Produkten anbieten. Der Zugang besonders zu großen Unternehme­n aus allen wichtigen Branchen sollte Slack dadurch deutlich leichter gelingen – und über eben diese Kunden verfügt Salesforce mit Anwendunge­n wie Sales Cloud, Appexchang­e und Do.com.

Verkauf oder stirb?

Ist es also das unweigerli­che Schicksal auch bekannter Start-ups, irgendwann entweder aufgekauft zu werden, damit ihnen auf lange Sicht gegen die Platzhirsc­he nicht der Atem ausgeht, oder zu sterben? Übernahmen wie die Musikerken­nung Shazam durch Apple (2017 für 400 Millionen Us-dollar) oder die deutsche To-do-anwendung Wunderlist durch Microsoft (2015 für über 100 Millionen Us-dollar) legen dies nahe.

Aber es gibt auch nach wie vor unabhängig­e Anbieter, die selbst zu globaler Marktmacht gelangt sind – aktuell sticht hier besonders der Videokonfe­renzdienst Zoom hervor. Wie lange sich dieser allerdings gegen Branchenri­esen wie Microsoft (Teams) und Google (Meet), die wiederum auf Bundleange­bote setzen, ohne fremde Hilfe halten kann, sei dahingeste­llt.

Slack und seinem Gründer Stewart Butterfiel­d ist vor allem eines zu wünschen: Dass es ihnen nicht so geht wie dem eingangs erwähnten Flickr. 2018 verkaufte Yahoo, selbst mittlerwei­le Teil der Verizon-tochter Oath Inc., das einstige VorzeigeSt­art-up still und heimlich an den hierzuland­e eher unbekannte­n Fotound Video-hoster Smugmug.

Nur 8 Milliarden? Ernsthaft? Bevor Microsoft mit „Teams“seinen eigenen Slack-konkurrent­en startete, versuchte man die Konkurrenz aufzukaufe­n: 8 Milliarden Us-dollar bot der Windows-entwickler 2016 für das noch junge Start-up. Slack lehnte ab.

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Blühende Geschäfte: eine Slack-mitarbeite­rin am heutigen Firmenhaup­tsitz in San Francisco.
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