Slack: gekommen, um zu bleiben?
Ein eher langweiliger Saas-gigant kauft den hippen Messenger-aufsteiger Slack. Die Übernahme zeigt einmal mehr das Dilemma vieler Start-ups auf, die die etablierten Branchenriesen herausfordern.
Eine Frage an die langjährigen Leser: Kannst du dich noch an Flickr erinnern? Vage? Dann wollen wir dein Gedächtnis auffrischen: Flickr ist ein Onlinedienst zum Teilen von Fotos, der Anfang 2004 als ursprünglicher Ableger des Multiplayer-spiels „Game Neverending“seinen Dienst antrat. Während das Spiel selbst heute wohl nur noch Fans bekannt sein dürfte und von seinen Machern alsbald eingestellt wurde, geriet Flickr zur Erfolgsgeschichte: Der eher zufällig entstandene Dienst wechselte bereits nach einem Jahr seines Bestehens den Besitzer, als der damalige Internetriese Yahoo ihn sich für geschätzte 25 Millionen Us-dollar einverleibte – ein Schnäppchen geradezu.
Der Flickr-gründer Stewart Butterfield blickte zehn Jahre später in einem Interview mit dem Onlinemagazin „Techcrunch“verhalten auf den Deal zurück: „Ich habe daraus eine Menge gelernt“, sagte er mit einem Augenzwinkern, als wenn er damals versehentlich die sprichwörtliche heiße Herdplatte berührt hätte, um heute vorsichtiger zu sein.
Nochmals fünf Jahre später hat der Kanadier eine weitere Akquisition eines Start-ups durch einen It-giganten hinter sich – und diesmal sollte er ohne Verbrennungen davongekommen sein: Im November 2020 kaufte der Cloud-computing-spezialist Salesforce.com die Business-messenger-schmiede Slack Technologies, die zweite erfolgreiche Entwicklung von Butterfield, für knapp 28 Milliarden Us-dollar. Hoch die Tassen!
„Dear Microsoft!“
Lange verteidigte der Slack-ceo sein 2013 gegründetes, rasant aufstrebendes Unternehmen gegen Übernahmen – und immer wieder aufkommende entsprechende Gerüchte. Die üblichen gehandelten Verdächtigen im Laufe der Zeit: Microsoft und Facebook. Im Techcrunch-interview aus dem Jahr 2015 etwa erwähnte Butterfield bereits acht bis zehn konkrete, aber abgeschmetterte Anfragen.
Sogar eine gewisse Arroganz konnte man sich leisten: Als der Branchenmulti Microsoft Ende 2016 mit „Teams“einen direkten Konkurrenten im Bereich der professionellen Messengerdienste vorstellte, empfing Slack diesen mit einer ganzseitigen Anzeige in der angesehenen Us-tageszeitung „The New York Times“mit der Überschrift „Dear Microsoft!“voller „wohlmeinender“Ratschläge – zweifellos eine Reminiszenz an Apples legendäre Deklaration „Welcome IBM. Seriously.“zum Start des ersten IBM-PCS im Jahr 1981. Fast warnend schlossen die Slack-macher mit den Worten: „One final point: Slack is here to stay. (Ein letzter Punkt: Slack ist gekommen, um zu bleiben.)“.
Es mag auch der grassierenden Pandemie geschuldet sein, dass der Markenwert von Slack im vergangenen Jahr sprichwörtlich durch die Decke ging. Mit dem Rückzug ganzer Unternehmen ins Homeoffice und der damit verbundenen Verteilung von Mitarbeitern und Partnern teilweise über den gesamten Erdball wuchs und wächst die Bedeutung neuer Kommunikationsmöglichkeiten. Und Slack hatte die richtige Software zur richtigen Zeit im Angebot: Im September 2020 vermeldete das mittlerweile börsennotierte Unternehmen einen Erlöszuwachs von 215,9 Millionen Us-dollar im zweiten Quartal – ein Sprung von fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Noch wichtiger: Die Anzahl an zahlenden Kunden ist im selben Zeitraum nach Unternehmensangaben um 30 Prozent auf über 130.000 gestiegen – ein solide Basis in Zeiten, in denen andere, durchaus erfolgreiche Start-ups noch Jahre nach ihrer Gründung nach Möglichkeiten suchen, ihr Angebot zu monetarisieren.
Doch nicht nur Slack hob ab, auch die Konkurrenz floriert. Allen voran Microsoft: 2019 ließen es sich die Redmonder – vielleicht als verspätete Retourkutsche – nicht nehmen, in einer Presseerklärung darauf hinzuweisen, dass ihre Software Teams mittlerweile mehr tägliche Nutzer bedienen würde als Slack. Dessen CEO reagierte verschnupft: „Niemand sonst würde so etwas tun!“, so Stewart Butterfield. Doch
damit nicht genug: Corona erwies sich auch für Microsoft als „Brandbeschleuniger“: 115 Millionen tägliche Anwender erreicht Teams laut Eigenangaben mittlerweile – zehnmal so viel wie der einstige Branchenliebling Slack.
Beim Vertrieb greift Microsoft auf die alte Taktik des „goldenen Käfigs“zurück, die Apple-nutzern nicht fremd ist: Bündelt man Software mit dem Hauptprodukt (in diesem Fall Windows), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dessen Nutzer als erstes zu eben dieser Beigabe greifen, bevor sie eine externe Lösung auch nur in Erwägung ziehen. Slack sieht darin einen Wettbewerbsverstoß und zog sogar mit einer Klage vor die Europäische Kommission – bislang erfolglos.
Welcome Salesforce. Seriously.
Entwickelte sich Slack also durchaus zum „Big Player“, war Microsoft trotzdem stets um einige Schritte voraus. Um auch in Zukunft mithalten zu können, brauchte das Unternehmen ein Mutterschiff, das zumindest ähnlich gut bewaffnet ist wie das Schlachtschiff aus Redmond – und fand dieses in dem Cloud-computing-riesen Salesforce.
Der Software-as-a-service-anbieter (Saas) ist vielen Privatanwendern vielleicht nicht geläufig, mit seinem breit aufgestellten Portfolio an cloudbasierten Kundenmanagement-dienstleistungen jedoch im professionellen Sektor eine Macht – genau der richtige Herausforderer also? Zumindest bewahrheitet sich einmal mehr: Der größere Fisch schluckt den kleineren.
„Slack erlebt ohne Zweifel einen Riesenerfolg“, so der Branchenanalyst Dan Ives gegenüber dem Us-wirtschaftsmagazin „Quartz“im Dezember. „Aber es steuerte unweigerlich auf eine Wand zu – und diese Wand heißt Microsoft.“Und weiter: „Es wäre schwerer und schwerer geworden, gegen diesen 800-Pfund-gorilla zu bestehen.“
Mit einem Schwergewicht wie Salesforce im Rücken könnte Slack diese Herausforderung leichter fallen. Zudem dürfte der in San Francisco beheimatete neue Besitzer ähnliche Taktiken wie Microsoft anwenden und den Messenger künftig seinen bestehenden Kunden im Paket mit zahlreichen anderen Produkten anbieten. Der Zugang besonders zu großen Unternehmen aus allen wichtigen Branchen sollte Slack dadurch deutlich leichter gelingen – und über eben diese Kunden verfügt Salesforce mit Anwendungen wie Sales Cloud, Appexchange und Do.com.
Verkauf oder stirb?
Ist es also das unweigerliche Schicksal auch bekannter Start-ups, irgendwann entweder aufgekauft zu werden, damit ihnen auf lange Sicht gegen die Platzhirsche nicht der Atem ausgeht, oder zu sterben? Übernahmen wie die Musikerkennung Shazam durch Apple (2017 für 400 Millionen Us-dollar) oder die deutsche To-do-anwendung Wunderlist durch Microsoft (2015 für über 100 Millionen Us-dollar) legen dies nahe.
Aber es gibt auch nach wie vor unabhängige Anbieter, die selbst zu globaler Marktmacht gelangt sind – aktuell sticht hier besonders der Videokonferenzdienst Zoom hervor. Wie lange sich dieser allerdings gegen Branchenriesen wie Microsoft (Teams) und Google (Meet), die wiederum auf Bundleangebote setzen, ohne fremde Hilfe halten kann, sei dahingestellt.
Slack und seinem Gründer Stewart Butterfield ist vor allem eines zu wünschen: Dass es ihnen nicht so geht wie dem eingangs erwähnten Flickr. 2018 verkaufte Yahoo, selbst mittlerweile Teil der Verizon-tochter Oath Inc., das einstige VorzeigeStart-up still und heimlich an den hierzulande eher unbekannten Fotound Video-hoster Smugmug.
Nur 8 Milliarden? Ernsthaft? Bevor Microsoft mit „Teams“seinen eigenen Slack-konkurrenten startete, versuchte man die Konkurrenz aufzukaufen: 8 Milliarden Us-dollar bot der Windows-entwickler 2016 für das noch junge Start-up. Slack lehnte ab.