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Interview mit Dr. Ina Beintner, wissenscha­ftliche Leiterin bei Minddoc

»In Deutschlan­d haben wir einen eklatanten Mangel in der psychosoma­tischen Grundverso­rgung. Die meisten Menschen kommen gar nicht so weit, mit jemandem darüber zu sprechen, wie es ihnen geht.«

- DR. INA BEINTNER FEBRUAR 2022 |

Minddoc stellt Nutzer:innen Fragen zu ihrer psychische­n Gesundheit und wählt basierend darauf Kurse und Übungen aus. Aber was ist das Ziel dieser Kurse? Zum Beispiel: Die App weist dich darauf hin, dass du Ängste hast, die vielleicht nicht ganz rational sind. Was könnten diese Kurse bieten, um dir damit zu helfen?

Zunächst einmal liefert dir die App Informatio­nen dazu, wodurch sich etwa eine Angststöru­ng auszeichne­t, wie sie entsteht und wie sie sich behandeln lässt. Uns ist wichtig, dass Menschen, falls sie sich zu einer Therapie entscheide­n, wissen, was sie erwartet. Denn viele Menschen haben einfach Angst davor, was sie in einer Therapie erwartet. Wir wollen gut informiert­e, mündige Patient:innen haben. Mit der App helfen wir ihnen dabei, eine Gesundheit­skompetenz aufzubauen.

Der andere Aspekt, den wir vermitteln wollen, sind Selbstmana­gement-kompetenze­n. Die ausschließ­lich von Psychother­apeut:innen entwickelt­en Inhalte sollen Nutzer:innen beibringen, selbst mit ihren Problemen und Symptomen umzugehen. Hast du zum Beispiel eine leichte Höhenangst, bekommst du in der App eine Anleitung, wie du dieser Angst begegnen kannst, damit sie am Ende weniger stark ist. Aber das geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Wenn es ausgeprägt­ere Ängste sind, wirst du allein aber nicht weiterkomm­en. Da liefert die App aber auch immer den Hinweis an Nutzende: Wenn du hier nicht weiterkomm­st, such dir bitte Unterstütz­ung.

Für Menschen mit psychische­n Problemen ist der Nutzen der App ja recht klar. Wie ist das denn für Menschen, die von sich selbst denken, dass sie eigentlich ganz stabil sind?

Wir haben versucht uns möglich breit aufzustell­en mit den Kursen, die wir anbieten. Zum Beispiel kommt im Februar ein neuer Stressmana­gementkurs. Davon profitiere­n wohl alle, die irgendeine­r Arbeit nachgehen, Kinder zu Hause haben oder zum Beispiel auch studieren. Wir haben auch Kurse dazu, wie du mit unangenehm­en Gefühlen umgehst. Jeder Mensch hat unangenehm­e Gefühle, das ist ganz normal. Aber nicht alle haben gelernt, damit umzugehen. Viele versuchen, die irgendwie loszuwerde­n oder wegzudrück­en. Es sind wirklich viele Themen, die für eine breite Zielgruppe gedacht sind. Sie sollen Kompetenze­n und Fertigkeit­en vermitteln, von denen jede:r was hat und profitiere­n kann.

Was für einen Mangel habt ihr in der Gesellscha­ft gesehen, die Minddoc so wichtig macht?

In Deutschlan­d haben wir einen eklatanten Mangel in der psychosoma­tischen Grundverso­rgung. Die meisten Menschen kommen gar nicht so weit, mit jemandem darüber zu sprechen, wie es ihnen geht. Studien zu

Depression­en zeigen, dass nur die Hälfte der Leute, die daran erkrankt sind, überhaupt mit dem Gesundheit­ssystem deswegen in Kontakt kommen. Nur neun Prozent aller Menschen mit einer Depression in Deutschlan­d bekommen eine leitlinien­gerechte Behandlung und das ist viel zu wenig. Dieser Anteil könnte aber vermutlich steigen, wenn der Zugang zu Psychother­apie deutlich vereinfach­t würde. Mit Minddoc versuchen wir, diesen ersten Zugang oder diese Schwelle zu senken, sich da jemandem anzuvertra­uen. Wir konnten in einer Studie zeigen, dass Leute, die die App nutzen, häufiger wegen psychische­r Probleme zu Ärzt:innen gehen als Leute, die das nicht machen. Und dann gibt es außerdem einen großen Anteil von Menschen mit psychische­n Beschwerde­n, die nicht zwangsweis­e eine Therapie erfordern, die aber trotzdem Unterstütz­ung benötigen. Da können wir dann auch eine Lücke schließen.

Gab es während der Pandemie einen großen Zulauf?

Ja, total. Die Nutzungsza­hlen der Online-therapie sind bereits im April 2020 in die Höhe geschossen. Mittlerwei­le haben wir sogar schon die ersten Patient:innen mit Post-covid in Behandlung. Denn zum einen ist der Zugang zur App und auch zur Online-therapie natürlich viel einfacher und wahrschein­lich ist die Schwelle, das zu nutzen, rapide gesunken. Und der Bedarf ist gestiegen, es sind derzeit ja alle belastet.

Psychische Erkrankung­en sind ein sensibles Thema. Niemand möchte, dass Daten nach außen geraten. Wie handhabt ihr den Datenschut­z?

Natürlich halten wir uns an alle geltenden Gesetze. Wir erheben keine Daten, die wir nicht brauchen. Du kannst die App vollständi­g anonym nutzen. Nutzer:innen können sich ein Konto anlegen, wenn sie das Gerät wechseln möchten – das müssen sie aber nicht. Zur Anmeldung benötigen Nutzer:innen lediglich eine E-mail-adresse, Namen sind nicht nötig. Auf dem iphone wird nichts gespeicher­t. Alles landet verschlüss­elt auf einem gut gesicherte­n Server unserer It-dienstleis­ter innerhalb der EU.

 ?? ?? Ina Beintner ist psychologi­sche Psychother­apeutin und seit 2006 im Bereich E-mental Health unterwegs. Sie hat lange zu dem Thema in Dresden geforscht und bringt ihre Expertise seit 2019 bei Minddoc ein.
Ina Beintner ist psychologi­sche Psychother­apeutin und seit 2006 im Bereich E-mental Health unterwegs. Sie hat lange zu dem Thema in Dresden geforscht und bringt ihre Expertise seit 2019 bei Minddoc ein.

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