Interview mit Dr. Ina Beintner, wissenschaftliche Leiterin bei Minddoc
»In Deutschland haben wir einen eklatanten Mangel in der psychosomatischen Grundversorgung. Die meisten Menschen kommen gar nicht so weit, mit jemandem darüber zu sprechen, wie es ihnen geht.«
Minddoc stellt Nutzer:innen Fragen zu ihrer psychischen Gesundheit und wählt basierend darauf Kurse und Übungen aus. Aber was ist das Ziel dieser Kurse? Zum Beispiel: Die App weist dich darauf hin, dass du Ängste hast, die vielleicht nicht ganz rational sind. Was könnten diese Kurse bieten, um dir damit zu helfen?
Zunächst einmal liefert dir die App Informationen dazu, wodurch sich etwa eine Angststörung auszeichnet, wie sie entsteht und wie sie sich behandeln lässt. Uns ist wichtig, dass Menschen, falls sie sich zu einer Therapie entscheiden, wissen, was sie erwartet. Denn viele Menschen haben einfach Angst davor, was sie in einer Therapie erwartet. Wir wollen gut informierte, mündige Patient:innen haben. Mit der App helfen wir ihnen dabei, eine Gesundheitskompetenz aufzubauen.
Der andere Aspekt, den wir vermitteln wollen, sind Selbstmanagement-kompetenzen. Die ausschließlich von Psychotherapeut:innen entwickelten Inhalte sollen Nutzer:innen beibringen, selbst mit ihren Problemen und Symptomen umzugehen. Hast du zum Beispiel eine leichte Höhenangst, bekommst du in der App eine Anleitung, wie du dieser Angst begegnen kannst, damit sie am Ende weniger stark ist. Aber das geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Wenn es ausgeprägtere Ängste sind, wirst du allein aber nicht weiterkommen. Da liefert die App aber auch immer den Hinweis an Nutzende: Wenn du hier nicht weiterkommst, such dir bitte Unterstützung.
Für Menschen mit psychischen Problemen ist der Nutzen der App ja recht klar. Wie ist das denn für Menschen, die von sich selbst denken, dass sie eigentlich ganz stabil sind?
Wir haben versucht uns möglich breit aufzustellen mit den Kursen, die wir anbieten. Zum Beispiel kommt im Februar ein neuer Stressmanagementkurs. Davon profitieren wohl alle, die irgendeiner Arbeit nachgehen, Kinder zu Hause haben oder zum Beispiel auch studieren. Wir haben auch Kurse dazu, wie du mit unangenehmen Gefühlen umgehst. Jeder Mensch hat unangenehme Gefühle, das ist ganz normal. Aber nicht alle haben gelernt, damit umzugehen. Viele versuchen, die irgendwie loszuwerden oder wegzudrücken. Es sind wirklich viele Themen, die für eine breite Zielgruppe gedacht sind. Sie sollen Kompetenzen und Fertigkeiten vermitteln, von denen jede:r was hat und profitieren kann.
Was für einen Mangel habt ihr in der Gesellschaft gesehen, die Minddoc so wichtig macht?
In Deutschland haben wir einen eklatanten Mangel in der psychosomatischen Grundversorgung. Die meisten Menschen kommen gar nicht so weit, mit jemandem darüber zu sprechen, wie es ihnen geht. Studien zu
Depressionen zeigen, dass nur die Hälfte der Leute, die daran erkrankt sind, überhaupt mit dem Gesundheitssystem deswegen in Kontakt kommen. Nur neun Prozent aller Menschen mit einer Depression in Deutschland bekommen eine leitliniengerechte Behandlung und das ist viel zu wenig. Dieser Anteil könnte aber vermutlich steigen, wenn der Zugang zu Psychotherapie deutlich vereinfacht würde. Mit Minddoc versuchen wir, diesen ersten Zugang oder diese Schwelle zu senken, sich da jemandem anzuvertrauen. Wir konnten in einer Studie zeigen, dass Leute, die die App nutzen, häufiger wegen psychischer Probleme zu Ärzt:innen gehen als Leute, die das nicht machen. Und dann gibt es außerdem einen großen Anteil von Menschen mit psychischen Beschwerden, die nicht zwangsweise eine Therapie erfordern, die aber trotzdem Unterstützung benötigen. Da können wir dann auch eine Lücke schließen.
Gab es während der Pandemie einen großen Zulauf?
Ja, total. Die Nutzungszahlen der Online-therapie sind bereits im April 2020 in die Höhe geschossen. Mittlerweile haben wir sogar schon die ersten Patient:innen mit Post-covid in Behandlung. Denn zum einen ist der Zugang zur App und auch zur Online-therapie natürlich viel einfacher und wahrscheinlich ist die Schwelle, das zu nutzen, rapide gesunken. Und der Bedarf ist gestiegen, es sind derzeit ja alle belastet.
Psychische Erkrankungen sind ein sensibles Thema. Niemand möchte, dass Daten nach außen geraten. Wie handhabt ihr den Datenschutz?
Natürlich halten wir uns an alle geltenden Gesetze. Wir erheben keine Daten, die wir nicht brauchen. Du kannst die App vollständig anonym nutzen. Nutzer:innen können sich ein Konto anlegen, wenn sie das Gerät wechseln möchten – das müssen sie aber nicht. Zur Anmeldung benötigen Nutzer:innen lediglich eine E-mail-adresse, Namen sind nicht nötig. Auf dem iphone wird nichts gespeichert. Alles landet verschlüsselt auf einem gut gesicherten Server unserer It-dienstleister innerhalb der EU.