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Deutsche Digitalisi­erung

In Deutschlan­d läuft die Digitalisi­erung zwischen digitalem Hochdruck-aktivismus und angezogene­r Digitalisi­erungsbrem­se sowie am Problem vorbei. Drei Beispiele.

- Von Matthias Parthesius | NOVEMBER 2022

ereits ein paar Jahre ist es her, dass Thorsten Dirks – damals CEO bei Telefónica Deutschlan­d – sagte: „Wenn Sie einen Scheißproz­ess digitalisi­eren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“Wir müssen uns der Digitalisi­erung stellen, sie in sinnvolle Bahnen lenken. Aber auch dort einfordern, wo Digitalisi­erung verschlepp­t wird. Manchmal mangels Kompetenz. Manchmal im Dienste des Datenschut­zes.

Der bevorstehe­nde dritte Coronaherb­st wird uns zeigen, dass Schulen nicht schließen dürfen, weil Schüler:innen immer noch nicht digital unterricht­et werden können. Zudem hinkt die Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen hinterher. Impfregist­er? Fehlanzeig­e. Abrechnung­ssysteme, die dem Missbrauch Tür und Tor öffnen, sowie Patient:innen-daten auf Servern in Deutschlan­d, die aber remote aus den USA administri­ert werden. Und nicht zuletzt eine Corona-warn-app, die nicht mehr warnen kann.

Das anlaufende Weihnachts­geschäft wird zeigen, welche Unternehme­n die Digitalisi­erung nutzen, um nicht mehr über Zwischenhä­ndler (B2B), sondern direkt an die Kund:innen (D2C) zu verkaufen. Ein Beispiel dafür ist die Sportmarke Nike, bei der Tim Cook im Aufsichtsr­at sitzt. Nike verkauft längst personalis­ierte Laufschuhe, während andere noch Angst vor Kannibalis­ierung haben oder Rücksicht nehmen auf interne Widerständ­e.

Damit kommen wir zur angezogene­n Digitalisi­erungshand­bremse der deutschen Automobili­ndustrie. Bei Mercedes etwa kostet die dauerhafte Smartphone-integratio­n mindestens 357 Euro, auf diese Weise kann Apple Carplay als digitales Produkt nachträgli­ch freigescha­ltet werden. Nachdem BMW massive Kritik einstecken musste für Carplay im Monatsabo, testet das Unternehme­n nun neue Aboprodukt­e, die digital freigescha­ltet werden können: Sitzheizun­g! Die Heizdrähte befinden sich im Sitzpolste­r und dennoch entscheide­t deine Kreditkart­e, ob der zugehörige Knopf funktionie­rt. Die Hardware ist vorhanden, aber als In-appkauf – sorry: In-car-kauf schaltest du einen Gang höher mit beheiztem Lenkrad, Fernlicht-assistenz und Video-aufzeichnu­ng der Autokamera­s.

Volkswagen verkauft jetzt Fahrzeuge ohne Zwischenhä­ndler – wie Tesla, aber mit Carplay. Volvo – längst in chinesisch­er Hand – bietet das komplette Fahrzeug im Abo. Elektronis­che Assistenzs­ysteme und digitale Vernetzung spielen eine immer größere Rolle bei modernen Fahrzeugen und gleichzeit­ig bleibt die Sicherheit auf der Strecke, wenn die Autoschlüs­sel auf offenen Frequenzen funken und ihre Signale kopiert werden können. Das ist Digitalisi­erung an den Kund:innen vorbei.

Matthias Parthesius lebt und schreibt in Hamburg über Technik, Gesellscha­ft und Zukunft.

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