Dr. Hartmut Esslinger im Interview: Vorwärts zur Einfachheit!
Mit seinen zum Teil bahnbrechenden Designs gestaltete Hartmut Esslinger das Gesicht von Apple in den Achtzigerjahren entscheidend mit. Wir trafen den Visionär zum Gespräch über werteschaffende Gestaltung, seine Zeit mit Steve Jobs und Apple als Vorbild eines neuen, kreativen Kapitalismus.
Mac Life: Herr Dr. Esslinger, können Sie sich noch an die Firma Amiga erinnern? Hartmut Esslinger: Klar, ich war Mitte der Neunziger mit dem damaligen deutschen Besitzer Manfred Schmitt und seinem Unternehmen Escom in Kontakt und habe mit meiner Firma Frog auch ein paar Designs dafür gemacht.
Zu gern hätte Escom mit dem Amiga ein ähnliches Comeback hingelegt wie Apple später mit dem imac. Warum gelang einem Pc-vertriebler nicht, was Steve Jobs schaffte?
Wenn diese Us-amerikanischen Marken einmal tot sind, dann sind sie eben tot. Die werden von irgendwelchen Agenturen übernommen, die sie aber ebenfalls nur weiterverkaufen. Das hätte damals auch Apple passieren können.
Dabei hätte der Amiga eine echte Chance gehabt. Aber schon Commodore hatte nicht erkannt, dass die Leute zu Hause eben eine bessere Qualität erwarten als im Büro. Die Konsumenten sind letztlich immer schlauer als die Einkäufer der Firmen. So gab es viele gute Marken, Osborne zum Beispiel, Palm oder Atari. Aber wenn keine Innovation entsteht, die eine Resonanz bei den Leuten schafft, verschwinden sie mit der Zeit.
Ein brutaler Job
Warum ging Steve Jobs diese Innovation im Gegensatz zu vielen anderen scheinbar so leicht von der Hand?
Das fiel ihm gar nicht so leicht; er hatte vielmehr einen brutalen Job. Nachdem Apple Steve 1985 gefeuert hatte, verbreiterten seine Nachfolger einfach nur das Angebot. Es gab dann – überspitzt formuliert – einen Mac für Kinder, einen Mac für Hausfrauen, den Profi-mac und so weiter. Den Original-mac gab es nicht mehr. Dieses horizontale Marketing war eine Zeit lang ganz effektiv, aber später fehlte es an der Innovation. Als der damalige Präsident John Sculley ging, hatte Apple zwar zwei Milliarden Us-dollar auf der Bank, aber kein Produkt in der Pipeline – und mit dem Newton einen Flop hinter sich.
Steve hat hingegen nur Dinge auf den Markt gebracht, die funktionierten. Er ist keine dummen technischen Risiken eingegangen. Ein Kind musste die Produkte bedienen können: Vorwärts zur Einfachheit war sein Motto!
Lag Steve Jobs in seinen Entscheidungen auch mal falsch?
Na klar! 1982 habe ich ihm ein extrem flaches Macintosh-notebook entworfen. Er sagte damals: „Das wird niemand jemals brauchen.“Ich antwortete: „Wir werden sehen!“Er hat’s dann später mit Humor genommen. Steve war authentisch, und wir haben oft konträr diskutiert.
Er hat also durchaus gegenteilige Meinungen akzeptiert?
Mehr als das: Er vertraute gern. Anfangs empfand er etwa meine Designs als ziemlich radikal. Er fragte mich dann: „Meinst du das ernst?“Und als ich es bejahte, haben wir’s umgesetzt – auch wenn er selbst manchmal nicht so ganz daran geglaubt hat.
Anmerkung: Das Interview mit Dr. Hartmut Esslinger haben wir erstmals 2014 veröffentlicht. Der Anlass war die Veröffentlichung des Buches „Design Forward“, das leider vergriffen ist. Anlässlich des vierzigsten Jubiläums des Mac ist es aber durchaus nochmals lesenswert – viele der Anmerkungen und Anekdoten sind zeitlos und bieten einen tiefen Einblick in die Gestaltungsphilosophie von Apple.
Als Computerinnovation aus Deutschland kam
Interessanterweise war Apple gar nicht das erste Computerunternehmen, für das Sie tätig wurden. Diese Ehre gebührt der Firma „Computer Technik Müller“aus Konstanz.
Das stimmt. Deren Gründer Otto Müller hatte damals schon eine interessante Karriere hinter sich und kam von Nixdorf. Er war ein kongeniales Genie und verstand sich auf Hard- und Software. Und seine Frau Ilse war eine der ersten deutschen Managerinnen.
Ich war ein junger Kerl und sah bei CTM viele Möglichkeiten. Der erste Entwurf, der „CTM 70“von 1972, war im Vergleich zu den „Kühlschränken“anderer Hersteller radikal. Wir mussten die damaligen Technologien, etwa Kartenlesegeräte und riesige Festplatten, da „hinein tricksen“– aber es funktionierte. Später setzte ich dann mit CTM das erste Netzwerk-terminal mit ergonomischem Bildschirm und externer Tastatur um. Wir waren Silicon Valley um Lichtjahre voraus.
Auch Steve Jobs hat unsere Arbeit bewundert – und es wurmte ihn, dass er sie erst relativ spät kennenlernte. Aber das Valley war damals eben Provinz.
Sie reden viel von Steve Jobs. Mit Apple-mitbegründer Steve Wozniak hatten sie scheinbar nicht allzu viel Kontakt.
Doch, er ist ein Supertyp, und ich treffe ihn häufig an der Tankstelle, wo er sich über den Verbrauch seiner Autos beschwert. Damals war die Situation aber nicht ganz so einfach, weil sich Steve Jobs auf
»Ein Designer muss nicht nur kompetent sein, sondern benötigt auch Liebe zum Menschen.«
den Mac konzentrierte und Wozniak befand, dass sein Apple-ii-baby dagegen etwas stiefmütterlich wegkam. „Woz“war eher ein Techniker, Jobs war extrem ehrgeizig – das gab auch mal Streit.
Ironischerweise war eines meiner ersten Designs für Apple sogar für den Apple II, weil der Mac damals mehr oder weniger durchgequält wurde. Da waren relativ inkompetente Leute am Werk, die Jobs sogar erpressten und ihm bedeuteten, dass der Mac sich um ein Jahr verzögern würde, wenn Steve meine Designs annähme. Ihre eigenen Entwürfe waren olivfarbene Klötze. Kein Wunder, dass der Mythos um den Mac erst später entstand – die ersten Modelle waren viel zu wenig menschlich. Die Leute besitzen aber ein Gefühl für Design.
Zudem bestand die Firma aus verschiedenen, zum Teil untereinander verfeindeten Abteilungen, die jeweils ihre eigenen Designer beschäftigten. Schlechte Startvoraussetzungen für Sie … Ja, das klappte überhaupt nicht. Als Steve Jobs Ende der Neunzigerjahre zu Apple zurückkehrte, vereinfachte er das Angebot radikal. Es gab den Mac und später eben den ipod, das iphone und das ipad. Das sind gerade einmal vier Produktlinien, wobei das ipad quasi auch noch aus dem iphone hervorging. Dieser Zwang zur Einfachheit konnte nur „von oben“kommen.
Als Steve und Woz jedoch angefangen haben, waren sie jung. Und die sogenannten Profis, die sie zur Hilfe riefen, verpassten der Firma eine typische Us-amerikanische Unternehmensstruktur, die zwangsläufig zur Mittelmäßigkeit führte. Ich habe diese Struktur damals ignoriert, und dafür wollten mich etliche Leute bei Apple feuern.
Ein Schwarzwälder im Valley
Erregten Sie als europäischer Designer für ein uramerikanisches Unternehmen nicht zwangsläufig Argwohn?
Es gibt kein originäres Us-amerikanisches Design. Nahezu alle Designer, die ich anfangs in den USA traf, kamen aus Europa. Der Rest waren Sklaven von Unternehmensmanagern.
Allerdings waren amerikanische Produkte aus der Tradition des 19. Jahrhunderts viel praktischer als die europäischen. Ein Farmer aus dem Mittleren Westen interessierte sich eben herzlich wenig dafür, was gerade in Europa schick war. Es war also dieser amerikanische Pragmatismus, der die Gestaltung bestimmte.
Weitaus mehr Unterstützung erhielten Sie von Apples Programmierern wie Andy Hertzfeld und Bill Atkinson. Auf den ersten Blick nicht die typischen Ansprechpartner für einen Designer, oder? Trotzdem sind sie innovativ. Bill Atkinson war Landschaftsfotograf und sprudelte vor Ideen nur so über. In mir hat er dann jemanden gefunden, der diese Ideen visualisieren konnte – jenseits von Programmcode.
»Steve Jobs hat nur Dinge auf den Markt gebracht, die funktionierten. Er ist keine dummen technischen Risiken eingegangen.«
Von der Liebe zum Menschen
Was können Entwicklerinnen und Entwickler von Designern lernen? Es reicht heute schließlich nicht mehr, nur eine funktionierende Software zu programmieren. Ideen der Benutzbarkeit und des Oberflächendesigns müssen bereits in die Überlegungen bei der Arbeit am Kern von Apps und Programmen einfließen. Genau, alle diese Überlegungen müssen schon vorab angestellt werden, genauso wie ein physisches Produkt vorher getestet werden muss. Das Problem mit Benutzeroberflächen ist, dass Programmierer oft meinen, dass sie diese selbst entwerfen können. Daher arbeiten viele Userinterface-designer letztlich als Dekorateure, die die Unzulänglichkeiten der Programmierer dekorieren.
Der Vorteil von Designenden ist, dass sie ein anderes Verständnis des Menschen besitzen. Du musst immer mit den Bedürfnissen der Menschen beginnen und diese dann mit der Technik verbinden. Ein Designer muss nicht nur kompetent sein, sondern benötigt auch Liebe zum Menschen.
Hat Apple diese Liebe zum Menschen?
Steve hatte sie. Wir haben damals Kinder den Mac ausprobieren lassen. Wir wollten Computer für Menschen machen – auch für kleine Menschen. Wenn ein Kind den Mac bedienen konnte, dann konnte das jeder. Später hat Pixar diese Arbeitsweise beibehalten, Steve war dort selbst oft wie ein Kind; „Toy Story“war wie eine Befreiung für ihn.
Die meisten haben Steve Jobs missverstanden. Natürlich war er extrem ehrgeizig, aber nur in Hinblick auf seine Produkte, nie wegen des Geldes. Er wollte, dass die Leute die iphone-apps so attraktiv finden, dass sie sie am liebsten vom Bildschirm auflecken würden – so hat er selbst das formuliert. Für ihn stand der Mensch im Mittelpunkt. Das war kein blankes Kalkül. „The Love You Make, the Love You Take.“
Steve Jobs verstand, dass Designer bereits als Entscheidungsträger bei der Findungsphase eines Produkts einbezogen werden müssen. Auch Microsoft stellt bei Windows das Design in den Vordergrund, scheitert damit aber oftmals in der Akzeptanz. Ein Widerspruch?
Es gibt schon Unterschiede zwischen den beiden Unternehmen. Es sind verschiedene Faktoren, die über den Erfolg entscheiden – aber Kreativität muss ganz oben auf der Prioritätenliste stehen. Microsoft ist eher mit Mercedes-benz vergleichbar: Beides sind gute Firmen, in beiden steckt jedoch auch viel Konservatismus.
Der Mac wurde anfangs als Spielzeug verlacht – selbst intern von John Sculley. Innovation ist immer auch Provokation.
Apples 30-Jahres-plan
Schaue ich mir Ihre frühen Designs für Apple an – unter anderem ein Tablet und ein Telefon –, dann beschleicht mich der Eindruck, dass Sie und Steve Jobs damals bereits die ganze Zukunft von Apple im Detail geplant hatten. Unser Plan lief über dreißig Jahre. Es ging nicht nur darum, ästhetisch zu denken. Ästhetik ist lediglich ein Mittel zum Zweck. Es ging vielmehr um das Ziel, den Inhalt der Marke, also die Vision. Und wenn ich eine Vision habe, dann kann ich wie bei einem Filter meine täglichen Aktionen darauf abstimmen.
Ich selbst lebe immer ein wenig der Zeit voraus – das ist mein Job. Meine Geschichte ist eng verwandt mit der von Apple und Steve Jobs. Ich war dieser Spinner aus dem Schwarzwald, hatte lange Haare und schwang große Reden. Dann wurde ich erfolgreich, weshalb mich einige als Gefahr ansahen. Ich galt fortan als ehrgeizig und als Kapitalist. Dass Apple heute so erfolgreich ist, ist das Ergebnis der Macht von Innovation – und nicht der Dummheit der Menschen.
Wie kann Design den Weg in einen nachhaltigeren Konsum, eine verantwortungsvollere Produktion und eine kreativere Politik ebnen? Design kann über das Physische hinaus Werte schaffen. Möglichst wenig Material muss möglichst viel Erlebnis und Nicht-materielles erzeugen. Das Materielle ist immer nur das Vehikel und nicht Selbstzweck.
Das verstehen nicht zuletzt in Deutschland viele nicht, und deshalb gehen viele Start-ups in die USA. In Deutschland gibt es eine Menge qualifizierter Menschen mit einer Menge Know-how und Geschicklichkeit – und dann nimmt ein feiges Management diese Fähigkeiten erst vom Markt und schickt die Produkte dann nach China, um sie billig zu produzieren. Die eigene Bevölkerung gilt als inkompetent. Albert Einstein hat einmal gesagt: „Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und die menschliche Dummheit. Aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher.“Dem schließe ich mich an.