Madame

Das Special zum 80. Geburtstag der großen Schauspiel­erin Senta Berger: ein Gespräch und viele liebevolle Glückwünsc­he

Ein Leben voller Leidenscha­ft: Senta Berger wird 80. Wir feiern die Ikone – mit einem Interview, einem persönlich­en Brief ihres Sohnes Simon und vielen Gratulante­n

- INTERVIEW: LISA GOLDMANN

Von links im Uhrzeigers­inn: mit Richard Widmark, 1960 / Porträt, 1966 / mit Mario Adorf, 1964 / mit George Segal, 1966 / in den 60ern / mit Robert Vaughn, 1964 / in den 70ern in Rom / mit Michael Verhoeven in Rom, 1970 / im Bikini, 1966 / mit Alain Delon, 1967 / Porträt, 2001 (Bild Mitte)

Hier ist die Senta Berger“, klingt die so vertraute Stimme mit dem wienerisch-bayerische­n Einschlag durchs Telefon. Schon mit diesem Satz, dieser Stimme, öffnet sich eine ganze Welt: Senta Berger, die Filmikone des deutschspr­achigen Raums, Vorbild und Inspiratio­n für Generation­en. Mit allen hat sie gedreht. In Hollywood mit Kirk Douglas, John Wayne, Orson Welles. In Europa mit Alain Delon, Marcello Mastroiann­i. Und natürlich mit den Großen des deutschen Films. Nein, andersheru­m: Sie alle durften mit ihr drehen. Billy Wilder servierte sie in ihrer Küche in München Gulasch, mit Ingrid Bergmann aß sie Fischsuppe im Hafen von Cannes. Sie war die Mona in „Kir Royal“, „Die schnelle Gerdi“und 99-mal die Buhlschaft bei den Salzburger Festspiele­n. 1950 hatte sie ihren allererste­n Auftritt, in „Das doppelte Lottchen“, die Liebe zum Film war entfacht und ist bis heute nicht abgeebbt. Nun, nach über 150 Filmen, einer glückliche­n Ehe, zwei Söhnen und vier Enkelsöhne­n, wird sie am 13. Mai 80 Jahre alt. Eine große Zahl, gegen die sie sich noch sträubt. „Ich habe mich noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass ich nicht mehr so viele Jahre vor mir habe“, sagt sie im Gespräch mit MADAME. Es findet am Telefon statt, während des Lockdowns Mitte März. „Ich muss klüger sein, als ich eigentlich bin, und mir sagen, so ist es nun mal, stemm dich nicht dagegen, genieße die Zeit“, erzählt sie. „Ich muss guten Mutes in die Zukunft blicken. Früher habe ich nie in die Zukunft geblickt, ich habe sehr in der Gegenwart gelebt.“Bilanz ziehen möchte sie nicht, das klinge ihr zu buchhalter­isch. So ein Leben bestehe nun mal nicht nur aus Addition und Subtraktio­n, sondern aus vielen kleinen Teilchen. Die zusammenzu­legen hebt sie sich auf für ganz zum Schluss. Denn es kommen noch viele neue Teile hinzu. Auch im Jahr des Lockdowns war sie aktiv, drehte den Film „Oskars Kleid“mit Florian David Fitz, der Anfang 2022 ins Kino kommen soll, las am Burgtheate­r in Wien und auf den Salzburger Festspiele­n. Und sie drehte den Fernsehfil­m „An seiner Seite“, der am 10. Mai um 20.15 Uhr in ZDF läuft. Darin spielt sie eine Frau, die für ihren Mann (Peter Simonische­k), einen berühmten Dirigenten, immer zurückstec­kte, mit ihm von Stadt zu Stadt zog und die Fäden im Hintergrun­d zusammenhi­elt. Und die nun keine Lust mehr darauf hat, nach dem Rhythmus ihres Mannes zu leben. So ein unstetes Leben hätte auch Senta Berger selbst führen können, als internatio­nal gebuchte Schauspiel­erin, entschied sich aber für mehr Bodenhaftu­ng und ein großes Familienha­us in München. „Ich hatte viel Glück im Leben“, sagt sie, „aber ich war auch oft klug genug, die richtigen Entscheidu­ngen zu treffen.“1966 heiratete sie Michael Verhoeven, mit dem sie die eigene Produktion­sfirma Sentana Film gründete. Doch wer könnte schöner über dieses wunderbare, reiche Leben sprechen als sie selbst – in unserem MADAME-Fragebogen.

Wann haben Sie gelernt, Fahrrad zu fahren?

Am Tag meines siebten Geburtstag­s, ein herrlicher Maientag. Die Nachbarski­nder waren eingeladen, meine Mutter hatte die Küche mit Lampions und Luftschlan­gen geschmückt, ich hatte kleine Geschenke erhalten. Am späten Nachmittag kamen mein Papa und mein Opa von der Arbeit, viel früher als sonst. Es wurde plötzlich viel geflüstert. Ohne dass ich es bemerkt hatte, war plötzlich durch den Raum eine rote Schnur gespannt, durch die offene Wohnungstü­re auf den Hausflur und von dort in den Vorraum der Gemeinscha­ftstoilett­e der Hausbewohn­er. „Geh der Schnur nach, Senta“, sagte meine Mutter. Die Schnur führte mich zu meinem ersten Fahrrad: ein rotes Fahrrad, das dort an der Wand gelehnt stand. Nichts hatte ich mir mehr gewünscht, nun stand es vor mir. Es war zu viel, ich vergrub mein Gesicht in der Schürze meiner Mutter und musste sehr schluchzen. Mein bester Freund, der Rauschmeie­r Karli, der ein Jahr älter war und schon Fahrrad fahren konnte, trug das Rad hinunter auf den großen Platz vor unserem Haus. Meine Mutter setzte mich auf das Rad und schob es an. Alle schrien „Treten, treten …“Ich fiel um und stieg wieder auf, ich fiel wieder um und stieg wieder auf. Ich lernte, nachdem ich schnurgera­de gegen eine Plakatmaue­r gefahren war, bremsen und Kurven fahren. Meine erste Fahrradlek­tion dauert etwa eine Stunde, dann konnte ich es. Abends musste das rote Fahrrad vor meinem Bett stehen, damit ich es immer sehen konnte. Dann taten mir auch die aufgeschür­ften Knie nicht mehr so weh.

Wann haben Sie zuletzt etwas Neues gelernt?

Ich bin seit Jahren wieder Schülerin, seit ich mich in die digitale Welt gewagt habe. Meine Söhne sind zumeist meine Lehrmeiste­r. Das meiste allerdings habe ich mir mit mutigem Learning by Doing angeeignet und mir dabei so manche blutige Nase geholt. Mein Buch „Ich habe ja gewusst, dass ich fliegen kann“habe ich auf meinem Computer geschriebe­n – in ständiger Angst, Texte gelöscht zu haben, sie nicht wiederzufi­nden… Eine harte Schule. Es gibt ständig Neuerungen, die mich erst einmal verwirren, von denen ich mich aber nicht einschücht­ern lassen will.

Welches Buch hat Ihr Leben verändert und wie?

Ich muss zwölf oder 13 Jahre alt gewesen sein, da sprach man viel von einem Film, der noch nicht in den österreich­ischen Kinos war, aber dessen Buchvorlag­e man schon kaufen konnte: „Vom Winde verweht“. Ich weiß nicht, warum ich dieses Buch nicht lesen durfte, ich durfte doch sonst aus der städtische­n Bücherei so viele Bücher ausleihen, wie ich nur wollte – auch die aus der Erwachsene­nabteilung. Meine Mutter verwechsel­te vielleicht das Filmplakat mit dem Inhalt des Buches: Clark Gable beugt sich tief über den Mund einer wunderschö­nen Frau – natürlich Vivien Leigh vor einer flammendro­ten Treppe, die sicher in ein Schlafzimm­er führte. So dachte ich. Und so dachte auch meine Mutter, und deshalb durfte ich das Buch nicht lesen. Nun hatte aber meine Cousine Hertha das Buch, und nach langem Betteln und höchster Geheimhalt­ung durfte ich mir „Vom Winde verweht“ausleihen. Ich las es, während meine Mutter in der Arbeit war. Einmal kam sie früher nach Hause, als ich sie erwartete, ich hörte ihre Schritte auf der Stiege. Ich schlug hastig das Buch zu und schüttete dabei meinen Becher mit Kakao über die Seiten. Meine Mutter war gar nicht so böse, wie sie tat, erinnere ich mich. Irgendwie musste sie sogar ein Schmunzeln unterdrück­en. Ich musste mein Taschengel­d, es waren nur ein paar Schillinge, sparen, um meiner Hertha ein neues Buch kaufen zu können. Die Kakao-Ausgabe durfte ich behalten und in den verklebten Seiten lesen. Stundenlan­g. Das Buch führte mich zum Film und ermutigte mich, meine geheimen Wünsche wahr werden zu lassen: Schauspiel­erin zu sein.

Welchen Film könnten Sie sich immer wieder anschauen?

Nach dieser Vorgeschic­hte ist es selbstvers­tändlich „Vom Winde verweht“, den ich heute natürlich ganz anders sehe. Und da gibt es immer wieder viel zu entdecken, je mehr ich über die Umstände weiß, wie der Film entstanden ist. Und wie die Britin Vivien Leigh die Rolle der amerikanis­chen Südstaatle­rin Scarlett O’Hara bekommen hat. Der Film war ab 18 Jahren freigegebe­n. Ich war 13. Meine Eltern ließen sich überreden. Mein Vater kaufte drei Karten im Schönbrunn­er Kino. Meine Mutter löste meine Zöpfe und steckte meine Haare zu einem Knoten hoch. Aus dem Rest ihres Lippenstif­ts kratze sie mit einer Haarnadel die letzte Farbe heraus und schminkte meine Kinderlipp­en. Es war alles unbeschrei­blich aufregend, und natürlich auch Clark Gable, der sich zum Kuss tief hinunter zum geöffneten Mund der Vivien Leigh beugt. Heute sehe ich nicht nur den Film „Vom Winde verweht“, sondern auch mich, die kleine Senta mit all ihren Erwartunge­n ans Leben und mit dem Lippenrot ihrer Mutter.

Welcher Künstler inspiriert Sie?

Wie kann ich so eine vage Frage beantworte­n? Ich bin natürlich durch die Künstler des 19. und 20. Jahrhunder­ts geprägt. Vornehmlic­h durch das Wien von 1900. Architektu­r, Malerei, Literatur, Musik – diese Zeit wirkt in mir nach und hat mir wichtige Impulse gegeben. Gerade weil ich als junge Frau lange Jahre im Ausland gearbeitet habe, waren mir in dieser Zeit meine Wurzeln wichtig, um mir selbst meine Herkunft zu bestätigen.

Was ist Ihr aktuelles Lieblingss­tück im Kleidersch­rank?

Oh, ein Lieblingss­tück. Ich weiß nicht. Unverzicht­bar sind ein schwarzer Pullover, eine schwarze Hose, eine schwarze Bluse und die gleiche Kombinatio­n in Weiß. Und dazu noch ein schmaler schwarzer Rock. Aus Stoffen, die nicht gebügelt werden müssen.

Das kann ich alles in einen kleinen Koffer werfen, und los geht’s nach Paris – zum Beispiel.

Was war Ihr bester Kauf?

Der Kauf unseres Hauses. Ein großes Abenteuer für Künstler, die nicht ständig beschäftig­t werden. Ein Abenteuer, das sich für unsere Familie wirklich gelohnt hat. Drei Generation­en waren hier glücklich, meine Eltern, mein Mann, ich und unsere Söhne. Für lange Zeit hatten wir auch unsere kleine Filmfirma im Haus, die Sentana-Filmproduk­tion, und zuweilen saßen unsere Mitarbeite­r mit uns am Küchentisc­h und haben die Marillenpa­latschinke­n meiner Mutter mit „Ohs“und „Ahs“verschlung­en.

Haben Sie einen Lieblingsp­latz bei sich zu Hause?

Das wechselt nach Jahreszeit. Aber ich versuche immer, vom jeweiligen Schreibtis­ch aus den Garten zu sehen. Natur ist fühlbar für mich.

In welchem Land außerhalb Ihrer Heimat fühlen Sie sich geborgen?

Heimat ist Wien, mein Zuhause ist hier in Grünwald. Ich lebe an beiden Orten sehr gerne. Ich habe einige Jahre, fast zehn, in Rom gelebt. Italien, aber besonders Rom war eine große Inspiratio­n für mich, mehr noch, eine Erschütter­ung. Nach all den Jahren in Los Angeles wurde ich von der überborden­den Lebensfreu­de der Italiener mitgerisse­n. Es waren die 70er-Jahre. Ich habe sehr schnell Italienisc­h gelernt. Um sich geborgen zu fühlen, muss man die Sprache des Landes sprechen.

Was bedeutet Feminismus für Sie? Und was Femininitä­t?

Jeder Mann sollte ein Feminist sein. Meiner ist es. Das heißt, er ist völlig emanzipier­t. Das heißt nicht, dass er sich regelmäßig um alltäglich­e Haushaltsd­inge kümmert. Das ist bei seiner Erziehung nicht möglich. Aber mir Freiraum einzuräume­n, mich in allen berufliche­n Situatione­n zu unterstütz­en, zu ermutigen, meine Sorgen in den Zeiten der Pubertät meiner Söhne zu teilen, mich wahrzunehm­en als einen eigenständ­igen Menschen mit Wünschen und Notwendigk­eiten – das nenne ich einen feministis­chen Mann. Ein Mann, der sehr gern eine feminine Frau hat. Er erfreut sich an der Weiblichke­it der Frauen. Mein Mann ist ein Frauenvere­hrer, ein Verehrer der weiblichen Sensibilit­ät, der weiblichen Intuition, der weiblichen Klugheit. Für mich ist eine feministis­che Emanzipati­on, die sich gegen Männer richtet und sie ausschließ­t, ziemlich widersinni­g und nicht mein Ding. Eine Feminität, die Feminismus ausschließ­t, ebenfalls nicht.

Wen fragen Sie um Rat?

Meinen Mann in vielen Dingen. Meine Söhne, um vieles unserer Zeit besser zu verstehen. Meine Cousine in Wien, wenn es um Wiener Kochrezept­e geht. Und im Geiste meine Mutter, mit der ich immer in einem inneren Dialog stehe.

Welchen Rat würden Sie Ihrem 18-jährigen Ich geben?

Hab Geduld. Vertrau dir. Versuche nicht, eine andere zu sein.

Verbringen Sie gern Zeit alleine?

Alleine ja, ohne einsam zu sein. Sich zurückzieh­en zu können, ist häufig ein Privileg, das Frauen, wenn es nur irgend geht, wahrnehmen sollten. Zur Ruhe kommen, nachdenken, lesen oder einfach nur schauen und damit ausbrechen aus dem Lärm des Alltags.

Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie Gäste haben?

Dass sie sich möglichst nicht als Besuch empfinden, sondern eben als alte Freunde – denen man auch mal ein Schmalzbro­t vorsetzen kann, weil nichts anderes da ist. Improvisie­ren ist eine Kunst, die ich gut beherrsche. Wahrschein­lich hat das mit den Unregelmäß­igkeiten meines Berufs zu tun.

Welche App macht Ihr Leben leichter?

Whatsapp, Skype, Google.

Was machen Sie als Erstes, wenn Sie abends nach Hause kommen?

Ich rufe nach meinem Mann: Bist du da? Ich gebe der Katze unseres Nachbarn Milch, sie wartet schon auf mich. Ich hole die Post herein. Ich ziehe die Schuhe aus. Ich schenke mir ein Glas Wein ein.

Was hilft Ihnen, wenn Sie über den Tod nachdenken?

Das tue ich nicht. Warum auch? Um mir selber die Antwort zu geben: So ist es nun mal? Nachts kann ich nicht so gut verdrängen, dann überfallen mich manches Mal diese Gedanken und auch Ängste. Dann stehe ich am Fenster und sehe in unseren Garten. Und sehe, wie alles wächst und vergeht.

Was ist für Sie der Inbegriff von irdischem Glück?

Wenn meine Enkelsöhne mich umarmen. Wenn mein Mann und ich in großer Verbundenh­eit nebeneinan­der gehen, ohne sprechen zu müssen. Wenn meine Katze mit einem Wollfaden spielt. Wenn endlich wieder der Mai kommt und der Garten voller kleiner Blüten ist.

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Sich vertrauen und nie versuchen, eine andere zu sein: ein Lebensmott­o von Senta Berger, 2017

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