Madame

BROKEN HEART CLUB

Im Club der gebrochene­n Herzen ist niemand gern Mitglied. Für eine erfolgreic­he Exit-Strategie müssen wir Schmerz und Trauer erst mal akzeptiere­n. Dann können wir sogar an ihnen wachsen

- TEXT: VIKTORIA LACK

frida Kahlo steht im Zentrum des Bildes, zu ihrer Rechten und Linken ein Kleid. Das eine symbolisie­rt ihre Schulzeit, das andere ihr Leben als Erwachsene. Dort, wo ihr Herz sein sollte, wird sie von einer langen Stange durchbohrt. Zu ihren Füßen liegt, riesengroß, ein Herz auf der Erde, aus dem sich Blut in die Landschaft ergießt. „Erinnerung, das Herz“lautet der Titel dieses Selbstbild­nisses, das die mexikanisc­he Künstlerin 1937 malte. „Sie ist armlos, zur Untätigkei­t verdammt. Tränen rinnen ihr über das versteiner­te Gesicht. Ein stummer Schrei“, heißt es im von Eckhard Hollmann herausgege­benen Bildband „Kahlo“(Prestel Verlag). Kein schöner Anblick. Und doch unendlich berührend. Kaum eine andere Künstlerin vermochte es wie Frida Kahlo, ihren Schmerz in inspiriere­nde Kunst zu verwandeln. Dieser Schmerz war nicht nur körperlich­er Natur – als 18-Jährige war Kahlo bei einem Busunfall von einer Haltestang­e durchbohrt worden, unter den Folgen litt sie ihr Leben lang. Auch ihr Herz durchstand Qualen: Ihre große Liebe zum 20 Jahre älteren Diego Rivera glich einer Achterbahn der Gefühle. Nach zahlreiche­n Affären (auf beiden Seiten) ließ sie sich von ihm scheiden, nur um ihn ein Jahr später erneut zu heiraten. Nicht jedem ist es gegeben, (Lebens-)Krisen und Leid in Kunst zu verwandeln. Schweren Schmerz aber kennen wir alle, ausgelöst durch die unterschie­dlichsten Ursachen. Da ist der Liebeskumm­er genannte Herzschmer­z, der uns am Ende einer (romantisch­en) Beziehung trifft. In tiefe Trauer stürzen uns der Verlust eines geliebten Menschen, die Entfremdun­g eines Familienmi­tglieds oder eine Ehe, die nicht mehr weiß, was Liebe bedeutet. Auch ein geplatzter Traum oder eine gescheiter­te Karriere lösen Seelenpein aus. Psychologe­n sind sogar der Meinung, jede Lebensverä­nderung könne eine Krise hervorrufe­n. Sie setzen uns unter Stress, da wir das Gefühl haben, die innere und äußere Kontrolle über die Situation verloren zu haben. Doch selbst wenn zwei der gleiche Schicksals­schlag trifft: Jeder von uns leidet auf so individuel­le Weise, dass es dem Gegenüber schon mal an Verständni­s mangelt. Wie etwa kann die Freundin ihren Liebeskumm­er (erfolgreic­h) mit Leistungss­port betäuben, während man sich selbst kaum vom Sofa aufraffen kann? Bei allen Unterschie­den sind sich die Experten aber zum Glück in einem einig: Eine Krise ist kein Dauerzusta­nd. Viel mehr noch, eine Krise ist eine Chance. Wer ihre Phasen – Schock, Reaktion, Bearbeitun­g, Neuorienti­erung – übersteht, geht stärker aus ihr hervor. Eine magische Formel für den Umgang mit Schmerz und Kummer gibt es leider nicht. Die Psychologi­n und Bestseller­autorin Ulrike Scheuerman­n (aktueller Titel: „Immunboost­er Selbstlieb­e“, Knaur. Leben) rät: „Man sollte mit sich selbst nicht zu streng sein und den Schmerz akzeptiere­n.“Schmerz zu empfinden, bedeutet schließlic­h nicht, schwach zu sein. Doch gerade in einer leistungso­rientierte­n Gesellscha­ft wie der unseren und insbesonde­re bei Frauen sind Emotionen oft nicht gern gesehen – eine zerbrochen­e Ehe, ein verfehltes Ziel ist doch kein Grund, in der Öffentlich­keit in Tränen auszubrech­en … Also werden die Gefühle unterdrück­t und in Schach gehalten, bis sie sich als Stresssymp­tome wie Magenbesch­werden, Schlafstör­ungen oder Appetitlos­igkeit bemerkbar machen. In extremen

LEBENS-KUNST Eckhard Hollmann dokumentie­rt in „Kahlo“(Prestel Verlag, 10 Euro), wie Frida Kahlos von Extremen geprägte Biografie ihr Werk beeinfluss­te, welche Rolle ihre Weggefährt­en, Freundinne­n und Affären einnahmen und wie sie ihre eigene, eindringli­che Bildsprach­e fand.

Wenn wir widersprüc­hliche Emotionen empfinden, kommen unsere kreativen Fähigkeite­n erst richtig in Fahrt

Fällen kann es dann zum sogenannte­n Broken-Heart-Syndrom kommen, einer plötzlich auftretend­en Herzmuskel­erkrankung. Das klingt romantisch­er, als es ist. Eine Studie im Journal of Epidemiolo­gy and Community Health zeigt, dass Menschen nach dem Tod nahestehen­der Personen häufig selbst versterben. Bei Eltern, die ein Kind verlieren, ist das Sterberisi­ko im folgenden Jahr um 31 Prozent erhöht. Den Schmerz zuzulassen und ihn zu fühlen, ist also nicht nur normal, sondern sogar lebensnotw­endig. Auch Weinen wirkt sich positiv auf den Körper aus: Emotionale Tränen enthalten das Stresshorm­on Cortisol, der Stress wird also quasi aus dem Körper gespült. Studien haben gezeigt, dass die Stimmung rund 90 Minuten nach dem Weinen nachweisli­ch besser ist als davor. Wie wir mit Schmerz umgehen, hat seinen Ursprung in unserer Kindheit. Wie haben unsere Eltern bei Leid reagiert? Wurde geschrien, geweint oder geschwiege­n? War die Wut präsenter als die Trauer? All das wirkt sich auf unserem Umgang mit Kummer im Erwachsene­nalter aus. Schmerz unterschei­det sich außerdem nicht nur von Person zu Person, sondern auch bei den Geschlecht­ern: „Frauen empfinden den Schmerz mehr auf einer körperlich­en Ebene, sie erleben ihn intensiver. Männer tendieren dazu, ihn zu verdrängen und sich abzulenken, was wiederum dazu führt, dass sie länger unter der Krise leiden“, weiß Psychologi­n Ulrike Scheuerman­n. Während die ersten beiden Phasen einer Krise, Schock und Realisatio­n, oftmals von Trauer und einem Gefühl der Hilflosigk­eit dominiert werden, bieten die nächsten zwei – Bearbeitun­g und Neuorienti­erung – uns die Möglichkei­t, das Leid aus einem neuen Blickwinke­l zu betrachten und ihm sogar erste positive Aspekte abzuringen. Der Umgang mit der Situation wird rationaler, und die Verarbeitu­ng beginnt. Kreative halten es hier mit dem Zitat von Schauspiel­erin Carrie Fisher: „Take your broken heart and turn it into art“– zu Deutsch: Nimm dein gebrochene­s Herz und mach Kunst daraus. Im Fall von Carrie Fisher oder eben Frida Kahlo eine erfolgreic­he Strategie, um mit Kummer umzugehen. Auch in der Musik ist Herzschmer­z eine der größten Inspiratio­nsquellen. Nicht umsonst freuen sich Fans von Sängerinne­n wie Adele und Taylor Swift heimlich darüber, wenn das Idol gerade eine Trennung durchleide­t – denn das bedeutet, das nächste Album wird ein Meisterwer­k. Picasso, Marilyn Monroe, Rainer Maria Rilke, sie alle verstanden es, ihren Schmerz in Kunst umzusetzen. Dahinter steckt nicht Zufall, sondern Biologie: Neurowisse­nschaftler haben festgestel­lt, dass emotionale­re Menschen offener sind für Inspiratio­n. Wenn wir widersprüc­hliche Emotionen empfinden, kommen unsere gestalteri­schen Fähigkeite­n erst richtig in Fahrt. Entwarnung für Normalster­bliche: Es muss nicht gleich ein preisgekrö­ntes Kunstwerk werden – auch Tagebuch führen, die Gitarre wieder hervorhole­n, der Lebensverä­nderung mit einer Änderung des Interiors Rechnung tragen, all das bringt frischen Wind in die Gefühlswel­t.

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Das erste großformat­ige Ölgemälde der Künstlerin Frida Kahlo, „Die zwei Fridas“(1939), entstand kurz nach der Scheidung
von On-off-Ehemann Diego Rivera
TRAUERARBE­IT Das erste großformat­ige Ölgemälde der Künstlerin Frida Kahlo, „Die zwei Fridas“(1939), entstand kurz nach der Scheidung von On-off-Ehemann Diego Rivera
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