BROKEN HEART CLUB
Im Club der gebrochenen Herzen ist niemand gern Mitglied. Für eine erfolgreiche Exit-Strategie müssen wir Schmerz und Trauer erst mal akzeptieren. Dann können wir sogar an ihnen wachsen
frida Kahlo steht im Zentrum des Bildes, zu ihrer Rechten und Linken ein Kleid. Das eine symbolisiert ihre Schulzeit, das andere ihr Leben als Erwachsene. Dort, wo ihr Herz sein sollte, wird sie von einer langen Stange durchbohrt. Zu ihren Füßen liegt, riesengroß, ein Herz auf der Erde, aus dem sich Blut in die Landschaft ergießt. „Erinnerung, das Herz“lautet der Titel dieses Selbstbildnisses, das die mexikanische Künstlerin 1937 malte. „Sie ist armlos, zur Untätigkeit verdammt. Tränen rinnen ihr über das versteinerte Gesicht. Ein stummer Schrei“, heißt es im von Eckhard Hollmann herausgegebenen Bildband „Kahlo“(Prestel Verlag). Kein schöner Anblick. Und doch unendlich berührend. Kaum eine andere Künstlerin vermochte es wie Frida Kahlo, ihren Schmerz in inspirierende Kunst zu verwandeln. Dieser Schmerz war nicht nur körperlicher Natur – als 18-Jährige war Kahlo bei einem Busunfall von einer Haltestange durchbohrt worden, unter den Folgen litt sie ihr Leben lang. Auch ihr Herz durchstand Qualen: Ihre große Liebe zum 20 Jahre älteren Diego Rivera glich einer Achterbahn der Gefühle. Nach zahlreichen Affären (auf beiden Seiten) ließ sie sich von ihm scheiden, nur um ihn ein Jahr später erneut zu heiraten. Nicht jedem ist es gegeben, (Lebens-)Krisen und Leid in Kunst zu verwandeln. Schweren Schmerz aber kennen wir alle, ausgelöst durch die unterschiedlichsten Ursachen. Da ist der Liebeskummer genannte Herzschmerz, der uns am Ende einer (romantischen) Beziehung trifft. In tiefe Trauer stürzen uns der Verlust eines geliebten Menschen, die Entfremdung eines Familienmitglieds oder eine Ehe, die nicht mehr weiß, was Liebe bedeutet. Auch ein geplatzter Traum oder eine gescheiterte Karriere lösen Seelenpein aus. Psychologen sind sogar der Meinung, jede Lebensveränderung könne eine Krise hervorrufen. Sie setzen uns unter Stress, da wir das Gefühl haben, die innere und äußere Kontrolle über die Situation verloren zu haben. Doch selbst wenn zwei der gleiche Schicksalsschlag trifft: Jeder von uns leidet auf so individuelle Weise, dass es dem Gegenüber schon mal an Verständnis mangelt. Wie etwa kann die Freundin ihren Liebeskummer (erfolgreich) mit Leistungssport betäuben, während man sich selbst kaum vom Sofa aufraffen kann? Bei allen Unterschieden sind sich die Experten aber zum Glück in einem einig: Eine Krise ist kein Dauerzustand. Viel mehr noch, eine Krise ist eine Chance. Wer ihre Phasen – Schock, Reaktion, Bearbeitung, Neuorientierung – übersteht, geht stärker aus ihr hervor. Eine magische Formel für den Umgang mit Schmerz und Kummer gibt es leider nicht. Die Psychologin und Bestsellerautorin Ulrike Scheuermann (aktueller Titel: „Immunbooster Selbstliebe“, Knaur. Leben) rät: „Man sollte mit sich selbst nicht zu streng sein und den Schmerz akzeptieren.“Schmerz zu empfinden, bedeutet schließlich nicht, schwach zu sein. Doch gerade in einer leistungsorientierten Gesellschaft wie der unseren und insbesondere bei Frauen sind Emotionen oft nicht gern gesehen – eine zerbrochene Ehe, ein verfehltes Ziel ist doch kein Grund, in der Öffentlichkeit in Tränen auszubrechen … Also werden die Gefühle unterdrückt und in Schach gehalten, bis sie sich als Stresssymptome wie Magenbeschwerden, Schlafstörungen oder Appetitlosigkeit bemerkbar machen. In extremen
LEBENS-KUNST Eckhard Hollmann dokumentiert in „Kahlo“(Prestel Verlag, 10 Euro), wie Frida Kahlos von Extremen geprägte Biografie ihr Werk beeinflusste, welche Rolle ihre Weggefährten, Freundinnen und Affären einnahmen und wie sie ihre eigene, eindringliche Bildsprache fand.
Wenn wir widersprüchliche Emotionen empfinden, kommen unsere kreativen Fähigkeiten erst richtig in Fahrt
Fällen kann es dann zum sogenannten Broken-Heart-Syndrom kommen, einer plötzlich auftretenden Herzmuskelerkrankung. Das klingt romantischer, als es ist. Eine Studie im Journal of Epidemiology and Community Health zeigt, dass Menschen nach dem Tod nahestehender Personen häufig selbst versterben. Bei Eltern, die ein Kind verlieren, ist das Sterberisiko im folgenden Jahr um 31 Prozent erhöht. Den Schmerz zuzulassen und ihn zu fühlen, ist also nicht nur normal, sondern sogar lebensnotwendig. Auch Weinen wirkt sich positiv auf den Körper aus: Emotionale Tränen enthalten das Stresshormon Cortisol, der Stress wird also quasi aus dem Körper gespült. Studien haben gezeigt, dass die Stimmung rund 90 Minuten nach dem Weinen nachweislich besser ist als davor. Wie wir mit Schmerz umgehen, hat seinen Ursprung in unserer Kindheit. Wie haben unsere Eltern bei Leid reagiert? Wurde geschrien, geweint oder geschwiegen? War die Wut präsenter als die Trauer? All das wirkt sich auf unserem Umgang mit Kummer im Erwachsenenalter aus. Schmerz unterscheidet sich außerdem nicht nur von Person zu Person, sondern auch bei den Geschlechtern: „Frauen empfinden den Schmerz mehr auf einer körperlichen Ebene, sie erleben ihn intensiver. Männer tendieren dazu, ihn zu verdrängen und sich abzulenken, was wiederum dazu führt, dass sie länger unter der Krise leiden“, weiß Psychologin Ulrike Scheuermann. Während die ersten beiden Phasen einer Krise, Schock und Realisation, oftmals von Trauer und einem Gefühl der Hilflosigkeit dominiert werden, bieten die nächsten zwei – Bearbeitung und Neuorientierung – uns die Möglichkeit, das Leid aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und ihm sogar erste positive Aspekte abzuringen. Der Umgang mit der Situation wird rationaler, und die Verarbeitung beginnt. Kreative halten es hier mit dem Zitat von Schauspielerin Carrie Fisher: „Take your broken heart and turn it into art“– zu Deutsch: Nimm dein gebrochenes Herz und mach Kunst daraus. Im Fall von Carrie Fisher oder eben Frida Kahlo eine erfolgreiche Strategie, um mit Kummer umzugehen. Auch in der Musik ist Herzschmerz eine der größten Inspirationsquellen. Nicht umsonst freuen sich Fans von Sängerinnen wie Adele und Taylor Swift heimlich darüber, wenn das Idol gerade eine Trennung durchleidet – denn das bedeutet, das nächste Album wird ein Meisterwerk. Picasso, Marilyn Monroe, Rainer Maria Rilke, sie alle verstanden es, ihren Schmerz in Kunst umzusetzen. Dahinter steckt nicht Zufall, sondern Biologie: Neurowissenschaftler haben festgestellt, dass emotionalere Menschen offener sind für Inspiration. Wenn wir widersprüchliche Emotionen empfinden, kommen unsere gestalterischen Fähigkeiten erst richtig in Fahrt. Entwarnung für Normalsterbliche: Es muss nicht gleich ein preisgekröntes Kunstwerk werden – auch Tagebuch führen, die Gitarre wieder hervorholen, der Lebensveränderung mit einer Änderung des Interiors Rechnung tragen, all das bringt frischen Wind in die Gefühlswelt.