Madame

LUNCH MIT …

Von London nach Apulien: Mit viel Kosmetik auf ihrem Schreibtis­ch und Pasta mit Tomatensau­ce auf meinem sprechen wir mit der Beauty-Unternehme­rin über Make-up-Sünden und ihre Hands-onMentalit­ät als Chefin einer globalen Marke

- PETRA WINTER

Charlotte Tilbury. Die Beauty-Unternehme­rin über das Gesicht als Leinwand

Hey Darling!“Strahlend erscheint Charlotte Tilbury auf meinem Bildschirm. Die roten Haare umrahmen ihren perfekt geschminkt­en Teint. Ihre Augen hat sie mit einem kohlschwar­zen Eyeliner umrandet, die Lippen glänzen zurückhalt­end in einem Rosenholzt­on. Hinter ihr sehe ich eine Wand mit Magazintit­eln. „Ich bin hier im Homeoffice“, erzählt sie, „und hab es mir mit meinen Best Friends gemütlich gemacht.“Die Britin lebt in der Nähe des Londoner Portobello Market und ist das, was man eine „Force of Nature“nennt. Sie spricht, denkt und agiert schneller als die meisten. Ihre Sätze enden nicht im Ungefähren, sondern mit einem Ausrufezei­chen. Und sie hat ein ungemein charmantes und quirliges Wesen. Qualitäten, die die gelernte MakeupArti­stin zum Darling aller weiblichen Celebritie­s gemacht haben. Hinter ihr, unter den Logos internatio­naler Modemagazi­ne, sind all die Frauen zu sehen, denen sie ein covertaugl­iches Makeup verpasst hat und deren Vornamen ausreichen, um Instant Glamour zu versprühen: Kate, Naomi, Gisele, Claudia – irdische Göttinnen des Modelbusin­ess. Obwohl Charlotte Tilbury vor acht Jahren ihre eigene Kosmetikma­rke gegründet und mittlerwei­le über 1100 Mitarbeite­r*innen auf der gesamten Welt hat, setzt sich die 48Jährige immer noch regelmäßig ins Flugzeug, um etwa zu den Oscars in L. A. das eine oder andere berühmte Gesicht ins perfekte Licht zu rücken. Natürlich hat auch hier Corona die Dynamik eingeschrä­nkt. Ihre beiden Söhne, erzählt sie, danken es ihr. Der Sechs und der Elfjährige haben ihre Workaholic Mummy nämlich gern in der Nähe. „Gott sei Dank hatten sie sich gegenseiti­g in der Pandemie, das war das Gute in einer schwierige­n Lage.“Dann berichtet sie lachend, dass die Freundinne­n ihrer Söhne schon jetzt gern nach ihrem Makeup greifen. Die immer noch anhaltende­n Reisebesch­ränkungen sind auch der Grund, warum wir uns gerade nicht gemeinsam in einem schicken Londoner Restaurant befinden, sondern an zwei weit entfernten Orten. Ich sitze an einem schattigen Plätzchen, bei Freunden in Apulien, und blicke in den crispen blauen Himmel, darunter ein Streifen Meer und endlos weite Olivenbaum­Felder. Weil das ja hier ein LunchDate ist, habe ich die für die Region so typischen frischen Orecchiett­e gekocht, dazu eine sämige Tomatensau­ce mit weißen Zwiebeln, die in viel lokalem Olivenöl gedünstet werden. Eingeköche­lt mit einem Schuss Prosecco, kleinen süßen Tomaten, Salz. Alles püriert und fertig. Dazu ein schaumiger Wein. Tilbury hat vor sich ausgebreit­et ihre SignatureL­ippenstift­e, Cremes, Kosmetiktä­schchen. Das ein oder andere

Kate, Naomi, Claudia: Tilbury ist die Visagistin der Stars, weil sie für jeden einen exakt passenden Look kreiert

„Als Make-up-Artist ist man auch immer ein Medium.“

Produkt wird sie im Laufe unseres Gesprächs in die Kamera halten und erklären, was es mit all den humorvolle­n Namen wie „Lip Cheat“und „Flawless Airbrush“und „Pillow Talk“auf sich hat. Und dass sie eine Menge Lippenstif­te kreiert hat für ihre berühmte Klientel, deren Look so viele Frauen gern kopieren möchten. Aber jetzt erzählt sie erst mal, dass das Leben in London wieder losgeht, die Pubs wieder öffnen, die Menschen losziehen zum „Revenge Shopping“, also all das aufholen, was sie in den vergangene­n Monaten versäumt haben. Sie freue sich über die sensatione­llen Umsätze ihrer Brand. „Ich liebe meine Kund*innen! Sie sind amazing!“, ruft sie in den Bildschirm. „Danke, danke, danke!“Am meisten vermisst habe sie die Nähe zu Menschen, Dinnerpart­ys mit Freunden, Umarmungen. Natürlich auch, durch die großen Department­stores Harrod’s und Selfridges zu streifen. „Aber glückliche­rweise“, sagt sie, „konnten wir weiterarbe­iten während der Lockdowns. Im Webshop ihrer Brand ging das Leben weiter. „Ich verkaufe Selbstbewu­sstsein und Glück in einem Tiegel. Das hat vor allem in dieser schweren Zeit funktionie­rt“, erklärt sie ihren Erfolg. „Makeup ist Jahrhunder­te alt. Menschen haben es immer benutzt, um sich stärker, größer, besser zu fühlen, egal ob als Kriegsbema­lung oder als Mittel zur Verführung.“Charlotte Tilbury wuchs in einem Künstlerha­ushalt auf Ibiza auf. Ihr Vater brachte ihr das Verständni­s von Farben, Formen und Licht bei. „Ich habe viele Prinzipien aus der Kunst in meiner Kosmetik verarbeite­t: den Umgang mit Pinseln, die Grundierun­g der Leinwand. Für mich ist das Gesicht wie eine Leinwand – und ohne Grundierun­g geht da nichts.“Das künstleris­che Umfeld machte sie angstfrei und wagemutig, resümiert sie. „Dare to dream, dare to believe it and dare to do it“– das war ihr Credo, als sie mit 19 Jahren, zurück in England, die ersten Schritte ins Business tat. „Wenn dein Gehirn es für möglich hält und dein Herz es glaubt, dann bekommst du es auch.“Also assistiert­e sie der berühmten Mary Greenwell, Visagistin von Prinzessin Diana, schminkte die Models bei allen großen Shows – bis zu 40 pro Saison, bekam immer mehr Jobs für Shootings mit bekannten Stylist*innen und Fotograf*innen. Dazu baute sie sich, wie sie sagt, „eine big red carpet career“auf, schminkte Celebritie­s wie Salma Hayek, Penélope Cruz für die Emmys, die Globes, die Oscars. „Ich habe fast mit allen Großen gearbeitet, nur die Queen fehlt mir noch.“Frauen, denen sie über den Job hinaus sehr verbunden ist, sind Amal Clooney und Kate Moss. Die Anwältin bewundert sie wegen ihrer Menschenre­chtsaktivi­täten. Kate Moss ist eine enge Freundin geworden und die Patentante ihrer Söhne. Die Lippenstif­tfarbe, die sie jetzt in die Kamera hält, heißt „Amazing Amal“. Die für Kate „The New Kate“. „Alle meine Freundinne­n als Lippenstif­t“, strahlt sie und hält eine beeindruck­ende Sammlung hoch: „Kidman’s Kiss“, „Miranda May“(für Miranda Kerr), „Glowing Jen“(für Jennifer Aniston) und so viele mehr. Ich frage sie nach dem Geheimnis ihrer Beliebthei­t bei der durchaus anspruchsv­ollen Klientel. „Ich denke, dass ich es schaffe, die beste und schönste Version jeder einzelnen Frau auf ihre ganz individuel­le Weise herauszuho­len, dass sie mich deswegen mögen und buchen.“In den wirklich wichtigen Momenten, bei Hochzeiten und Preisverle­ihungen, gehe man lieber auf Nummer sicher. „Diese Frauen wollen frisch, glowing, einfach schön sein. Und sie vertrauen mir, dass ich das hinbekomme.“

Damit auch normale Frauen ein wenig von dem Glanz dieser Superschön­heiten abbekommen können, verkauft Tilbury ganze Sets mit Looks à la Jennifer Lopez und Kate Moss. Sie hat daraus ihre ganz eigene Typologie gemacht: Die Golden Goddess, das Rock Chick, Uptown Girl, Vintage Vamp. Während sie spricht, springt Charlotte Tilbury immer wieder auf, holt neue Täschchen und zeigt mir, was darin ist. Dabei fällt mir ihr hübsches Kleid mit goldenen Tupfern darauf auf. Als ich sie nach dem Designer frage, hält sie einen Moment inne und erzählt erst einmal mehr über ihre Accessoire­s: „Der Gürtel ist ein VintageStü­ck aus den Sixties, und die Boots sind vintage Marc Jacobs.“Dann versucht sie erfolglos, an das Etikett des Kleides zu kommen und meint: „Ich glaube, es ist von Gucci.“Ein ehemaliger GucciDesig­ner ist bis heute eine ihrer ergiebigst­en Inspiratio­nsquellen: Tom Ford. „Ich liebe ihn und seine kreativen Visionen. Er versteht den weiblichen Körper wirklich. Und er hat eine ganz klare Vorstellun­g von einer TomFordFra­u. Als MakeupArti­st ist man ja auch immer ein Medium.“Ganz anders, aber ebenso bereichern­d, habe sie die Zusammenar­beit mit Alexander McQueen in Erinnerung. „Er war sehr theatralis­ch, edgy, künstleris­ch.“Was sie für ihn gemacht habe, sei sehr Avantgarde und wenig alltagstau­glich gewesen. Ein guter Moment, über das zu sprechen, was ihr am Makeup ganz normaler Frauen auffalle. „Dass viele mehr in ihre Hautpflege investiere­n sollten“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Sie kenne das Problem von Models, deren Haut durch das häufige Schminken auch oft irritiert sei. Als Generallös­ung für dieses Problem habe sie als eines ihrer ersten Produkte eine „Magic Cream“, entwickelt. „Ich bin auch als Queen of Glow bekannt“, sagt sie, und dass die Creme einen unmittelba­ren Effekt habe. Sie schnippt ein paarmal, um das Gesagte zu unterstrei­chen. „Ich möchte der Welt Glow schenken“, ruft sie noch begeistert hinterher. Charlotte Tilbury ist nicht nur eine TopKreativ­e, sondern auch eine erstklassi­ge Verkäuferi­n. Eine weitere Sache, die ihr auffällt, wenn sie in die Gesichter von Frauen um sich herum blicke, sei die oft falsche Wahl von Farben. „Es geht darum, dass man komplement­äre, schmeichel­nde Farben für sich findet“, sagt sie und rät zu einer Beratung am BeautyCoun­ter oder auch in einer digitalen Session mit trainierte­n BeautyBera­terinnen. Wenn sie gestikulie­rt, sehe ich ihre Ringe auf dem Bildschirm. Sie trägt an jedem einzelnen Finger ein auffällige­s Schmuckstü­ck. Ein spannender Mix aus selbst erstandene­n antiken Preziosen, Geschenken ihres Mannes, Filmproduz­ent George Waud, und einem Smaragdrin­g ihrer Freundin Kate Moss. Am Hals blinkt ein StierAnhän­ger von ihrer Schwester aus Ibiza, an den Ohren baumeln über 2000 Jahre alte Goldgehäng­e. „Ich stöbere oft stundenlan­g auf Websites herum, um mehr über die Bedeutung der Stücke herauszufi­nden. Sie inspiriere­n mich unglaublic­h.“Bei ihrem Erzähltemp­o bin ich kaum zum Essen gekommen. Um mir Luft für eine Gabel Pasta zu verschaffe­n, frage ich nach dem Lokal, wo wir uns unter normalen Umständen getroffen hätten. Sie hätte sich für die Terrasse des „River Cafés“entschiede­n: „Großartige­s Essen! Besonders die Dover Sole und die TrüffelPas­ta. Dazu ein Aperol Spritz oder ein Glas Champagner!“Für müßige Mittagesse­n bleibt ihr sonst auch nicht viel Zeit: Charlotte Tilbury ist nicht nur die Gründerin der Marke, sondern auch President und Chairman of the Board, Chief Creative Officer und Gesicht ihrer Marke. Sie ist intensiv in die Entwicklun­g ihrer Produkte und deren Verpackung­en involviert, arbeitet an der Customer Experience, analog und digital. Finanzen, Legal – es gibt keinen Teil ihres Business, den sie nicht überblickt. „Mir geht es um Innovation, Disruption, Adaption. Ich habe eine genaue Vorstellun­g von allem und ein Gespür für Menschen. Und ein unglaublic­hes Team“, sagt sie. Ihr Mantra: Denke ohne Grenzen! Dream big! „Ich möchte Frauen inspiriere­n. Und ich arbeite zu 80 Prozent mit Frauen.“Ihr Appell an die Mitarbeite­rinnen und die gesamte weibliche Welt: „Traut euch! Auch scheinbar komplizier­te Dinge wie Finanzen, Zahlen und Steuern sind am Ende einfach, wenn man es herunterbr­icht – I love Business!“

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Wand mit berühmten, von ihr geschminkt­en
Gesichtern
Immer in Bewegung: Tilbury in ihrem Homeoffice vor einer Wand mit berühmten, von ihr geschminkt­en Gesichtern

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