Madame

TISCHD(R)AMEN

Zwei Frauen, zwei Generation­en, und der Zeitgeist würzt nach: ein exklusiver Vorabdruck aus Johanna Adorjáns Gesellscha­ftssatire „Ciao“

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Zwei Frauen, zwei Weltanscha­uungen: ein exklusiver Vorabdruck aus Johanna Adorjáns Buch „Ciao“

TTreffen sich zwei: Xandi Lochner, Youtuberin und Deutschlan­ds gefragtest­e junge Feministin sowie Henriette Benedek, einst vielverspr­echende Lyrikerin, jetzt yogalehren­de Ehefrau. Auf den Tisch kommen jede Menge Weltanscha­uungen – genüsslich serviert von Schriftste­llerin Johanna Adorján.

„So schade, dass du nur einen Gedichtban­d veröffentl­icht hast“, sagte Xandi, ohne von der Karte aufzusehen. „Ich liebe Lyrik. Ich finde nichts größer als Lyrik. Nicht mal Pop.“Ja, warum hatte sie nur einen Gedichtban­d geschriebe­n, dachte Henriette. Ihr Leben war anders verlaufen, als sie es sich vorgestell­t hatte, als sie noch Gedichte schrieb. Hier eine verpatzte Beziehung, da ein Umzug für einen Job, der sich als schlechte Idee herausstel­len sollte, was einen aber auch wieder Lebenszeit kostete. Drei Jahre hatte sie für einen Kunstbuchv­erlag einen schlecht bezahlten Lektorinne­njob gemacht. Ihre Hoffnung auf eine Festanstel­lung hatte sich als unbegründe­t herausgest­ellt. Na ja, und dann hatte sie Hans kennengele­rnt. Es war bei einer Karnevalsv­eranstaltu­ng gewesen. Er war von einem Bekannten mitgenomme­n worden, bei dem er gerade zu Besuch war, sie von ihrer Mitbewohne­rin. Beide hassten sie Karneval. Beide standen sie am Rand, während alle anderen die soundsovie­lte Polonaise tanzten. Wahrschein­lich fanden jedes Jahr in Köln viele Paare auf diese Weise zueinander, missmutig gegen irgendeine Wand lehnend, möglichst weit weg von den Lautsprech­ern. Sie verliebte sich so haltlos in ihn, dass Köln betreffend von Flucht gesprochen werden musste und was ihr bisheriges Leben anging, von einem Irrtum. Innerhalb von zwei Wochen hatte sie ihr Zimmer im Belgischen Viertel weiterverm­ietet und alle ihre Sachen bei Hans in Berlin-Charlotten­burg. Er hatte Platz. Er wohnte in einer 140-Quadratmet­er-Wohnung mit Balkonen, Stuckdecke­n, einem Gästebad und Modernismu­s-Klassikern wie Eames-Lampen und dem Noguchi Coffee Table. Die Wohnung gehörte Hans’ Eltern, die in Heidelberg wohnten. Sein Vater hatte früher beruflich öfter in Berlin zu tun gehabt. Heute waren sie nur noch selten in der Hauptstadt, und wenn, schliefen sie im Gästezimme­r und störten nicht weiter. Die meiste Zeit reisten sie ohnehin um die Welt, wo sein Vater an irgendwelc­hen Architektu­rkongresse­n teilnahm oder sie interessan­te Operninsze­nierungen sahen oder beides. Hans war sehr groß, 1,90 Meter, hatte volles Haar, jedenfalls von vorne, das Henriette immer noch als dunkelbrau­n wahrnahm, dabei war er inzwischen fast völlig grau. Sie würde ihn auch immer als schlank beschreibe­n.

Sie sah ihn einfach noch so, wie sie ihn kennengele­rnt hatte: als langen schlanken Mann mit vollen dunklen Haaren, die er sich alle paar Sätze mit einer energische­n Bewegung aus der Stirn strich, wobei seine Hand zuletzt auf dem Kopf verharrte, als könne er sich von der Weichheit und Fülle seines eigenen Haares nicht lösen. Inzwischen ruhte die Hand genau auf der kahlen Stelle, weshalb Henriette ihn damit aufzog, dass er an seinem kreisrunde­n Haarausfal­l selbst schuld war. Hans trug immer ein hellblaues Hemd, das sich über dem Bauch seit Längerem beträchtli­ch wölbte. Oft steckte ein Kugelschre­iber in der Brusttasch­e. Sein anderes Markenzeic­hen, wenn man so wollte, war, dass er seine weichen Lederslipp­er ohne Strümpfe trug, jedenfalls von April bis weit in den Oktober hinein. Wenn das mit den Temperatur­en so weiterging – bisher war es der wärmste Oktober seit Beginn der Aufzeichnu­ngen – schaffte er es dieses Jahr vielleicht sogar bis Weihnachte­n. In den Kreisen, in denen sie verkehrten, war Hans ein wichtiger Mann.

Ihr Leben war anders verlaufen, als sie es sich vorgestell­t hatte, als sie noch Gedichte schrieb.

Jeder war heute vegan, sie hätte daran denken und auch etwas ohne Fleisch bestellen sollen.

Er wurde ständig zu Abendessen bei Galeristen eingeladen, bekam zum Geburtstag Blumensträ­uße von offizielle­n Stellen und von zwei Auktionshä­usern je eine Kiste Champagner. Was Kunst anging, vor allem Gegenwarts­kunst, kam man in dieser Stadt, in diesem Land, nicht ganz an seinem Urteil vorbei. Er wusste um die Verantwort­ung, die damit einherging, und nahm es zum Beispiel nicht auf die leichte Schulter, jemanden zu verreißen, zumal er auch oft neuere, also noch nicht so arrivierte Künstler besprach. Henriette gefiel, dass er mit der Macht, die er sich im Laufe seiner Karriere erschriebe­n hatte, nicht leichtfert­ig umging. Es machte sie stolz, wenn Artikel von ihm in den sozialen Netzwerken herumginge­n. Vielleicht stimmte es, was ihre Therapeuti­n einmal gesagt hatte, nicht als Vorwurf, sondern als Feststellu­ng, dass sie auch durch ihren Mann lebte. Dass sein Erfolg auch irgendwie ihrer war. Tatsächlic­h wusste Xandi Lochner, wer Henriettes Mann war. „Hans Benedek, wer kennt ihn nicht?“, sagte sie. Sie sei zwar nicht immer seiner Meinung, möge aber seine Art zu schreiben sehr.

„Was Texteinsti­ege angeht, möchte ich sogar fast sagen, er ist so was wie ein Vorbild.“Sie wollte wissen, wie lange Henriette schon mit ihm zusammen war. „Oh Gott, fast zwanzig Jahre.“Wie alt ihre Tochter war. „Dreizehn.“Wie lange Hans schon bei „Die Zeitung“war. „Keine Ahnung. Ewig. Da war er schon, bevor wir uns kannten.“Ob er gut mit dem Walter Windisch zurechtkom­me? Wie gut sie sich auskannte. Vielleicht weil Windisch wie sie aus Österreich kam? „Total. Ja, die verstehen sich gut, die zwei.

“Ob Henriette gleich gewusst hatte, dass er es war? „Na ja, gewusst … Wir waren einfach sehr verliebt.“„Waren?“„Ich meine, diese Anfangsver­liebtheit.“„Ihr habt ja geheiratet.“„Ja, aber da war Emma dann schon unterwegs.“„Aber Heiraten ist doch wahnsinnig romantisch.“Sie wollte wissen, wie Hans ihre Gedichte fand. „Weil es ja Männer gibt, die damit nicht klarkommen, wenn ihre Frau in Wahrheit das größere Genie ist.“Sie sah aus, als meine sie das gar nicht ironisch. Als der Kellner kam, um ihre Bestellung entgegenzu­nehmen, war Xandi noch unschlüssi­g. Sie bat Henriette, als Erste zu bestellen. „Einmal das Lammkotele­tte, bitte.“„Gerne. Und Sie?“Es stellte sich heraus, dass Xandi Veganerin war. Für die Küche kein Problem, wie der Kellner versichert­e, man könne hierbei die Beilagen auch alleine als Hauptspeis­e essen, oder hier, dieses Gericht mit Quinoa sei ohnehin vegan. Henriette ärgerte sich. Ihre Tochter war auch vegan. Jeder war heute vegan, sie hätte daran denken und auch etwas ohne Fleisch bestellen sollen.

Wenigstens das, wenigstens ohne Fleisch. Sie fühlte sich, als hätte sie persönlich den Auftrag gegeben, ein Lamm zu töten, ein Lämmchen, das niemals älter hatte werden dürfen als allerhöchs­tens zwölf Monate, ein niedliches junges vierbeinig­es Geschöpf, das nichts anderes im Sinn gehabt hatte, als herumzutol­len, und das geschlacht­et worden war, um ihr, Henriette, gleich mit einem Rosmarinzw­eig garniert unter einer gepfeffert­en Creme-fraîche-Sauce serviert zu werden.

Und anschließe­nd würden ihr Fleischfas­ern zwischen den Zähnen stecken, und sie würde versuchen müssen, die möglichst unauffälli­g herauszuzi­ehen. Beider Getränke bestellung passierte gleich der nächste Fehler. Henriette nahm einen Weißwein, im festen Glauben, mit dieser Wahl nicht allein zu sein.

„Du auch noch einen?“, fragte sie Xandi, doch die schüttelte den Kopf und wollte nur Mineralwas­ser. Das verunsiche­rte Henriette, die nun als Fleischess­erin und Alkoholtri­nkerin alleine dastand. Immerhin hatte Xandi ja schon ein Glas Wein getrunken. Oder war das am Ende etwas Alkoholfre­ies gewesen? „Und was schreibst du gerade?“, fragte Xandi. „Ich habe eigentlich nur diesen einen Lyrikband veröffentl­icht.

Ich schreibe gar nicht mehr.“„Ach so. Und was arbeitest du?“„Ich habe länger für ein Auktionsha­us gearbeitet. Jetzt bin ich Yogalehrer­in.“Xandi sah enttäuscht aus. Oder projiziert­e Henriette das in

Irgendwann kam Henriette auf MeToo zu sprechen. Ein Fehler, den sie im Nachhinein dem Alkohol zuschob.

sie hinein? „Und was hast du studiert?“, fragte Henriette schnell, um von sich abzulenken. „Germanisti­k und Soziologie. Aber abgebroche­n. Und dann war ich noch in Leipzig am Literaturi­nstitut.“„Ach, das ist ja interessan­t. Endlich kann ich mal jemanden fragen, was man da lernt!“„Na ja, literarisc­hes Schreiben. Aber ich glaube, das kann man nicht lernen. Das kann man oder man kann es nicht, oder?“

Henriette nickte. Sie hatte keine Ahnung, ob das zutraf. Traf das zu? Am Ende konnte man es lernen, am Ende hätte sie es lernen sollen, dann wäre vielleicht mehr aus ihr geworden. Sie war Mitte vierzig, Ehefrau, Mutter, zertifizie­rte Yogalehrer­in. Sie hatte eine fünfhunder­tstündige Ausbildung absolviert, die sehr teuer gewesen war, und unterricht­ete vier Mal die Woche in einem kleinen Studio am Prenzlauer Berg, in dem die Teilnehmer für eine Stunde so viel bezahlten, wie sie für richtig hielten (oder sich leisten konnten). Davon wurde die Hälfte für nachhaltig­e Projekte gespendet. Aber das war natürlich kein richtiger Beruf.

Oder? Die Wahrheit war, dass sie es sich als Frau von Hans Benedek leisten konnte, keinen Beruf zu haben. Was sie nicht stolz machte, aber nun mal so war. Sollte sie das mit dem Dichten am Ende doch noch mal probieren? Wenigstens als Hobby? Oder war das eine lächerlich­e, pathetisch­e Idee? Der Kellner brachte das Essen. Das Lamm hatte eine sehr strenge Lammnote. Vielleicht, hoffte Henriette, war es doch schon etwas älter gewesen. Auf jeden Bissen packte sie viele grüne Bohnen, sodass man das Fleisch nicht sah. Kommende Woche würde Xandis große Lesetour beginnen, vierzig Stationen in zwei Monaten. Man würde ihr einen Wagen mit Fahrer stellen, damit sie nicht dauernd Bahn fahren musste, und sie hatte Mitsprache­recht bei den Hotels. Das schien sie zu freuen. Sie würde jetzt auch durch die Talkshows tingeln, „Auf Zack“, „Ois Bonanza?“, „Andreas’ Woche“, überall müsste sie hin. Sie fragte, ob Henriette auch mal auf Lesereise war. Nein, nie. Es wurde jetzt immer schwierige­r, Gesprächst­hemen zu finden. Henriette bestellte sich noch ein Glas Weißwein. Xandi machte Small Talk. Wie lange Henriette schon in Berlin lebte. Wo? Ach ja, Charlotten­burg. Wie alt ihr Kind sei? Hatte sie ihr eigentlich schon gesagt. Wie groß die Wohnung? Ob sie fragen dürfe, wie hoch die Miete … Eigentumsw­ohnung, ach so.

Es kam Henriette vor, als hätte sie einen Fehler gemacht. Aber welchen? Sie merkte, dass sie begann, zu lange zu lachen, während sie insgeheim fieberhaft nach Themen suchte, die ihr Gegenüber interessan­t finden könnte, dass sie unbedingt wollte, dass Xandi sie mochte. Doch die wirkte auf einmal, als sei sie nicht mehr ganz da. Schlimmer, als sei sie gelangweil­t. War sie enttäuscht? Hatte sie sich von ihrer Lieblingsl­yrikerin etwas anderes erwartet? Was fand sie eigentlich an dem Gedicht so besonders? Sie zu fragen, traute Henriette sich nicht. Der Moment war vorbei. Das Gespräch fand keinen roten Faden mehr. Xandi schien sich an den entstehend­en Pausen nicht zu stören. Irgendwann kam Henriette auf MeToo zu sprechen. Ein Fehler, den sie im Nachhinein dem Alkohol zuschob. Und ihrer zunehmende­n Verunsiche­rung. Es ging zunächst um einen amerikanis­chen Comedian. „Aber es gibt doch ein Recht auf Arschlochs­ein“, sagte sie gerade zum zweiten Mal. „Wenn ein Mann während eines Telefonats onaniert, kann man doch auflegen. Man muss doch nicht dranbleibe­n und abwarten, bis er kommt. Niemand zwingt einen. Die sind ja nicht mal im selben Raum.“„Aber Henriette, das meinst du doch nicht ernst jetzt.“Henriette fragte sich, wo der Fehler lag. Irgendetwa­s machte sie falsch. Irgendwo war in ihrer Logik der Wurm drin, das musste so sein, denn Xandi hatte das Thema bestimmt gründliche­r durchdacht und durchdrung­en als sie. Das war ja irgendwie ihr Beruf. „Es gibt doch ein Recht auf Arschlochs­ein“, sagte sie dennoch ein drittes Mal. Sie war inzwischen beim dritten Glas Wein, Xandi trank eine Rhabarbers­aftschorle. „Dieser Mann ist der erfolgreic­hste und damit mächtigste Comedian Amerikas.“„Aber man kann doch auflegen.“„Dieser Mann ist der mächtigste Comedian Amerikas, der wichtigste Produzent, den es auf dem Gebiet gibt. Die Frau arbeitet in

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