GUCCI, GAGA
Glamour, Exzentrik, Skandal: Das Modehaus Gucci bietet Stoff für einen Thriller, der uns für alle Kino-Entbehrungen entschädigen wird
Glamour, Exzentrik, Skandale: Dafür steht das Modehaus Gucci. Genug Stoff für einen Thriller mit Lady Gaga in der Hauptrolle
Der Name Gucci hat schon immer Begehrlichkeiten geweckt. In den 90er-Jahren schnitt man sich mit einem Gucci-Dress ein Stück Sex-Appeal aus den Rippen des sexiesten Designers aller Zeiten, Tom Ford. Heute bekommt man für sein Geld poetische Exzentrik. Und zu den besten Zeiten des Firmengründers Guccio Gucci gab es ein bisschen Jetset-Glamour ab. Der Mann, der 1921 seine erste Bottega in Florenz eröffnete, nachdem er jahrelang bei einem Gepäckhersteller gearbeitet hatte, stattete später nicht nur Hollywood aus, sondern sogar amerikanische Präsidenten (in seinem Büro hing eingerahmt, so berichtet es seine Enkelin, John F. Kennedys Auftrag über eine Ladung Reisegepäck). Liz Taylor trug die „Bamboo Bag“, eine legendäre Tasche mit Bambusgriff, der 1947 aus der Nachkriegsnot, also Materialmangel, geboren wurde. Mit seinem Tod wendete sich das Blatt. Guccios Sohn Rodolfo erbte die Hälfte des Unternehmens, Guccios Bruder mit seiner Familie die andere. Und die Familie ging als streitsüchtige, geldgierige Bande in die italienische Geschichte ein.
Ja, Gucci ist all das. Kreativität. Glamour. Exzentrik. Status. Skandal.
Im wahren Leben und auf dem Laufsteg. Und eine Frau tötete sogar für diesen Namen. Patrizia Reggiani ließ ihren Ex-Mann Maurizio Gucci 1995 kaltblütig ermorden – den Mann, mit dem sie zwei Töchter hat und mit dem sie die besten Zeiten ihres Lebens verbrachte. Diese Geschichte wird gerade, mitten in Pandemiezeiten, in Mailand und Rom von Ridley Scott verfilmt, und zwar mit Lady Gaga und Adam Driver in den Hauptrollen. Ein schauderhaftes Familiendrama aus Gier, Sex und Glamour. Ganz Italien ist in Aufruhr. Denn: Der Stiefel ist nicht nur das Land der Mode-, sondern auch das der Real-Crime-Leidenschaft. Die Mörderin gibt jetzt wieder Interviews, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Sie bereue nichts, sagt sie. Oder, kürzlich: „Ich habe Maurizio nicht gehasst, er hat mich irritiert.“Der Tathergang wird im Fernsehen minutiös rekapituliert, und der Kriminalkommissar von damals steht in der Fußgängerzone von Mailand, unweit des Drehorts, und wird zu einer Einschätzung der Lady-Gaga-Besetzung bemüht. Die, so lauteten die Schlagzeilen, beim Dreh angeblich ihr Essen vorkosten lässt, aus Angst vor Vergiftung, was in den Augen der italienischen Yellow Press natürlich für die Ähnlichkeit spricht, die der Superstar mit der exaltierten Gucci-Witwe hat, die 2014 auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wurde. Und die wiederum sich darüber beschwert, dass Lady Gaga sie noch nicht mal kennenlernen wollte. Und dass ihre Töchter, mit denen sie mittlerweile keinen Kontakt mehr hat, weil sie die Erben von Maurizio Guccis Vermögen sind, ihr aber den Geldhahn zugedreht haben, das alles noch mal durchleben müssen. Das alles ist also eine Wahnsinnsgeschichte, und deshalb ist die Verfilmung für Fashion-Aficionados natürlich sensationell. Erstens ästhetisch. Und zweitens, weil es um die interessante Frage geht, wie viel Gucci-Wahnsinn eigentlich in Gucci-Mode steckt. Und ob die extremen Erfolge, die das Modehaus feierte, diesen grellen Status-Glamour und den dazugehörigen Skandal inzwischen ausgelöscht haben. Oder ob all das nicht noch immer auch eine Inspirationsquelle ist. Es geht um nichts weniger als die DNA der Marke. Ab und zu erreichen uns, Film-PRmäßig wohldosiert, Fotos von Adam Driver und Lady Gaga in extrem glamourösen 70er-Jahre-Looks, und Social Media spielt verrückt. In der Tat ist die modische Inspiration grenzenlos. Denn Maurizio und Patrizia Gucci waren zehn Jahre lang das glamouröseste Paar Italiens.
Maurizio & Patrizia: das erste moderne Celebrity Couple Europas
Die Umstände der Liebesgeschichte vom schüchternen Maurizio und der schillernden Patrizia hören sich nach Märchen an. „Er verliebte sich in mich, weil ich aufregend und anders war“, sagte sie einmal. Rodolfo, Sohn des Firmengründers Guccio und Maurizios Vater, war hingegen wegen Standesdünkel gegen die Verbindung. Trotzdem schafften die beiden es, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen. Und zu heiraten. Obwohl es den 70er-Jahren an Exzentrikern wirklich nicht mangelte, schafften es die Speditionserbin und der Modeprinz nach ihrer Hochzeit mit ihrem sagenhaften Lifestyle immer wieder in die Schlagzeilen. Sie besaßen ein Chalet in St. Moritz, ein 800-Quadratmeter-Penthouse in Manhattan, eine Villa in Acapulco, eine Farm in Connecticut, und, Randnotiz, eine 64-Meter-Jacht namens „La Creole“. Patrizia gab im Monat, so die Legende, 10 000 Euro allein für Orchideen aus, die Nummernschilder ihrer Autos trugen den Namen „Mauizia“. Ein modernes Celebrity-Couple also, gegen das Brangelina aus heutiger Sicht wie brave Kleinbürger wirken. Zu ihren legendären Colour-Partys, wo nicht nur die Kleider, sondern auch das Interior und das Essen die gleiche Farbe hatten, erschienen sogar die Kennedys, beim Orange-Abend wäre man wirklich gern dabei gewesen. Aber es ging nicht nur um Glamour. Die Verbindung funktionierte auch strategisch. Maurizio, der mit dem Familienzweig seines Onkels erbittert um die Ausrichtung – und Führung – von Gucci stritt, soll keine geschäftliche Entscheidung ohne seine Frau getroffen haben. Aber dann, 1985, verließ er sie. Für eine jüngere Frau. 1991 wurden die beiden offiziell geschieden.
Drama, Baby: das Scheitern einer Ehe – und Guccis Neuanfang Eine jüngere Frau – für das Scheitern einer Ehe für den sagenumwobenen Namen Gucci wäre das als al
leiniger Grund wohl ein bisschen zu langweilig. Eine große Rolle im Ehedrama spielt auch eine ominöse Wahrsagerin (zu ihr später mehr). Und die Tatsache, dass extrem glamouröse Ehen ja oft mit den dazugehörigen Familienunternehmen untergehen. Der Name Gucci hatte Ende der 80er-Jahre vollends seinen Glanz verloren. Das Doppel-G-Logo verzierte unzählige Lizenzprodukte, vom Whisky bis zum Regenschirm. Und Maurizio, der sich jahrelang mit den anderen Familienmitgliedern (mit einem gewissen Domenico De Sole als Anwalt) einen bitteren Kampf um die Macht bei Gucci geliefert hatte, vermochte es nicht, den Ruin aufzuhalten. Durch einen Trick und den Verkauf von Anteilen an die Investment-Firma Investcorp aus Bahrain hatte er zwar die anderen Familienmitglieder erfolgreich aus der Firma verstoßen. Aber sein Versuch, 1989 eine Ready-to-wear-Linie auf den Markt zu bringen, scheiterte, obwohl dafür ein großer Name aus New York engagiert worden war: Dawn Mello, ehemaliger Präsident von Bergdorf Goodman. Er brachte zwar Neil Barrett als Menswear-Designer mit – und einen gewissen Tom Ford für Ready-to-Wear –, konnte aber Guccis Abstieg nicht aufhalten. 18 Monate vor seinem Tod, also 1993, sah sich Maurizio deshalb gezwungen, auch seine restlichen Gucci-Anteile für 190 Millionen Dollar an den Investor zu verkaufen. Mello kehrte nach New York zurück, Maurizio war raus. Und Tom Ford und ebenjener Anwalt Domenico De Sole blieben. Das neue Traumduo der Mode machte sich ab 1994 daran, ein neues Kapitel der Gucci-Saga zu schreiben.
Der Mord oder: warum Gucci ohne Skandal nicht Gucci wäre
Und Maurizio machte sich daran, mit seinem Millionenvermögen ein neues Leben mit seiner Verlobten Paola Franchi zu beginnen. Die ihn immer wieder bekniete, einen Bodyguard zu engagieren. Denn seine Ex-Frau Patrizia wusste über jeden Schritt Bescheid. Bedrohte ihn. Wenn er nicht ans Telefon ging, schickte sie ihm Kassetten mit Sätzen wie: „Die Hölle wird für dich noch kommen.“Wir wissen: Nur selten geht es ja wirklich ums Geld, wenn es ums Geld geht. Die Wahrheit liegt immer tiefer. Es geht um verletzten Stolz, um Eitelkeiten und um Minderwertigkeitskomplexe. „Wie konnte er mir das antun?“, sagte die Reggiani, als er die Firmenanteile verkaufte. Nicht, dass sie finanzielle Sorgen gehabt hätte. Sie war nach der Scheidung mit Millionen abgefunden worden (die sie „einen Teller Linsen“nannte), und erhielt angeblich eine halbe Million Euro pro Jahr. Es muss für die Spediteurstochter, die zwar mit Pelzmänteln und teuren Autos aufgewachsen, aber bis zu ihrer Ehe nie akzeptiertes Mitglied der snobistischen High Society Italiens gewesen war, um ihre ganze Identität gegangen sein. Als also an einem Morgen im Jahr 1995 Maurizio Gucci mit ein paar Modezeitschriften unter dem Arm die Treppen zu seiner Wohnung in einem fabelhaften Palazzo am Corso Venezia hinaufstieg, trafen
ihn vier Pistolenkugeln, drei seinen Körper, die vierte seinen Kopf. Der Portier, Zeuge des Geschehens, überlebte mit zwei Kugeln im Arm. Mailand war: schockiert. Eine Exekution, das war etwas, das in der Mafia-Hauptstadt Neapel passierte, aber nicht hier! War der Gucci-Erbe in Geldwäsche-Machenschaften verstrickt? Oder war es doch die verrückte Ex, die – aus eigenen Erzählungen – ja sogar beim Metzger gefragt hatte, ob er jemanden kenne, der den Job übernehmen würde? Gut drei Stunden nach dem Mord bekam Guccis Lebensgefährtin Franchi von Patrizia Reggianis Anwalt die Order, die Wohnung am Corso Venezia zu verlassen. Ein paar Tage später zog sie dort mit ihren Töchtern, den Erbinnen des Vermögens, ein. Und lebte ein luxuriöses Leben, zwei Jahre lang. Bis: einer der Mittäter plauderte. Und von seinem Zuhörer verpfiffen wurde. Ein findiger Kommissar, spezialisiert auf organisiertes Verbrechen, verwanzte die Autos des mörderischen Quartetts, das Patrizia Reggiani für eine Viertelmillion für den Mord beauftragt hatte. Sie sprachen am Telefon darüber, die Reggiani um noch mehr Geld erpressen zu wollen. Ein hochverschuldeter Stundenhotelier hatte den Mord ausgeführt. Ein anderer das Fluchtauto gefahren.
Die Macht der Hexe
Und Pina Auriemma, Freundin von Reggiani, war die Drahtzieherin. Diese ominöse Persönlichkeit wird im Film von Salma Hayek dargestellt, und sie ist die wahrscheinlich interessanteste Figur in diesem Fin-de-Siècle-Drama: Die Auriemma war eine „maga“, also eine Hexe, die in Mailands feiner Gesellschaft Einfluss hatte. Die Reggiani erzählte in einem Fernsehinterview ein paar Jahre nach ihrer Scheidung, die spirituelle Beraterin habe es schon geschafft, die finanziellen Geschicke ganzer Familien zu steuern, und sie sei es gewesen, die Maurizio manipuliert habe: „Sie rief mich an, nachdem er gegangen war, und sagte, sie habe ihn davon überzeugt, mich zu verlassen. Bald wirst du mich um das anflehen, was ich dir genommen habe.“Nun, später waren die beiden sogenannte Freundinnen, und die Auriemma war Kopf des Mordkomplotts. Als der Prozess gegen Patrizia Reggiani begann, flog das Modehaus Gucci bereits auf neuer Flughöhe. Eine Verbindung mit dem neuen, coolsten Modenamen
mit dem alten, verdorbenen Familiennamen konnte und wollte es sich nicht leisten. Oder? Bis heute lautet die nicht mehr nachweisbare Legende, am Tag ihrer Verurteilung hätten in allen Gucci-Schaufenstern weltweit silberne Handschellen gehangen. Während also die Mörderin ihre Strafe in einem Gefängnis verbüßte, mit einem – vom Anwalt ausgehandelten – Frettchen als Haustier, sollte das Florentiner Lederhaus eine eigene, skandalöse Sprache finden. Und mit seinen verruchten Sleek-Looks zum begehrtesten Fashionlabel des neuen Jahrzehnts werden. Hollywood trug Samtanzüge und minimalistische Cutout-Roben von Gucci, ärmere Fans kauften Sonnenbrillen, Zigarettenschachtelhalter und Whisky-Kristall. Carine Roitfeld stylte die Werbekampagnen, und Mario Testino fotografierte sie. Ins kollektive Fashion-Gedächtnis hat sich vor allem eine eingebrannt, die wie keine andere für die geniale Sex-sells-Strategie des texanischen Designers Ford steht: Carmen Kass lehnt an einer Wand und zeigt einem vor ihr knieenden Jüngling ihr Schamhaar – in G-Form. Wirklich: Man hätte für sehr viele dieser Looks wirklich töten können. Dressed to kill: die ewige Faszination von Gucci Glücklicherweise wird im internationalen Modebusiness ja nicht gemordet. Aber die Begehrlichkeit ist nicht nur Geschäftsmodell, sondern das Begehren so etwas wie eine charakterliche Notwendigkeit für die mächtigen Strippenzieher. Es sollte also Anfang des 21. Jahrhunderts nicht etwa ruhiger werden um den Namen Gucci. Domenico De Sole und Tom Ford galten mittlerweile als das Nonplusultra in Sachen Brand-Wiederbelebung, bei Käufen von Traditionsmarken sagen Brancheninsider bis heute: „to pull a Gucci“. Irgendwann begann Bernard Arnault, der König des Luxuskonzerns LVMH, Gucci-Aktien zu kaufen. De Sole witterte einen feindlichen Übernahmeversuch, es kam zu einer monatelangen Schlacht zwischen den beiden Fashion-Alphatieren um die Hoheit über Gucci. Zwar war Gucci das erfolgreichste börsennotierte Modeunternehmen, aber an eines hatten De Sole und Ford nicht gedacht: an Verteidigungsmaßnahmen. Sie besaßen keine großen Aktienpakete, die es anderen unmöglich machten, die Macht zu übernehmen. Die einzige Waffe, die sie hatten, war eine Vertragsklausel, die besagte, dass die beiden sofort ihre Sachen (und ihre Stock-Optionen) packen dürften, sollte jemand, der ihnen nicht passte, die Mehrheit übernehmen. De Sole und Ford gewannen nur, weil es ihnen gelang, einen weißen Ritter aufzutreiben, nämlich François Pinault, den anderen französischen Milliardär, den bis dahin keiner kannte – und von dem die beiden annahmen, dass der Modeoutsider ihnen nicht reinreden würde. Es war der richtige Ritter, zunächst: Aus Gucci wurde nach Pinaults Akquise von Yves Saint Laurent und Sanofi die Gucci-Gruppe. Tom Ford übernahm zusätzlich zu Gucci die kreative Leitung von YSL. Ein paar Jahre später wurde er dann, zusammen mit seinem Mitstreiter De Sole, vom Sohn des weißen Ritters hinausbefördert. Der Rest ist legendäre Modegeschichte: Aus der Gucci-Gruppe wurde der Luxuskonzern PPR, später Kering, der größte Konkurrent von LVMH. Es folgten: zwei vergessene Saisons der viel zu intellektuellen Designerin Alessandra Facchinetti. Und zehn Jahre der Frida Giannini. Die damit genauso lange an der Spitze weilte wie Ford, sich aber mehr auf die Codes des Hauses besann: Einer ihrer Coups war es, einen legendären Print auf Taschen zu verpflanzen – das Flora-Muster, das Rodolfo Gucci 1966 beim Illustrator Vittorio Accornero in Auftrag gegeben hatte, um Grace Kelly mit einem Seidentuch zu beschenken, als Dank dafür, dass sie eine giftgrüne Tasche gekauft hatte. Die Giannini-Jahre waren übrigens nur modisch gesehen ruhig. Sie begann nämlich eine Beziehung mit dem Geschäftsführer Patrizio Di Marco. Die beiden bekamen ein Kind und, passend zu Gucci, Allüren. Wie ein Königspaar herrschten sie über ihr Reich. Und eröffneten das Gucci-Museum in der Florentiner Innenstadt ohne größere Hinweise auf Tom Ford. Oder Guccio Gucci selbst. Als Patrizia Reggiani 2014 auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wurde, mit der Auflage, eine Arbeit zu finden (als Beraterin des Modeschmucklabels Bozart), hoffte sie übrigens allen Ernstes darauf, wieder einen Platz in der Firma zu finden. In einem Interview mit La Repubblica sagte sie: „Sie brauchen mich. Ich fühle mich immer noch wie eine Gucci, ich bin von allen Guccis am meisten Gucci.“Kurz darauf sah man sie regelmäßig auf der Via Montenapoleone, in Pelz, Schmuck und mit einem echten Papagei auf der Schulter. So weit weg vom aktuellen Gucci-Stil, der Kering Milliarden bringt, ist das nicht. Und so steckt in Gucci wahrscheinlich doch viel mehr Gucci, als so manchen recht ist.