Madame

DIE GROSSE FARB-FREIHEIT

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Es gibt nichts Lässigeres, als entspannt grau zu werden. Also zumindest, wenn man auf den roten Teppich schaut. Dort kann man den schönsten Frauen der Welt beim Zelebriere­n ihres Älterwerde­ns zusehen. Zugegeben, diese Frauen sind in der Minderheit, aber ihr Wow-Aufschlag ist deswegen umso größer und wird regelmäßig mit feministis­chem Applaus bedacht. Andy McDowell zum Beispiel. Wenn man ihre in allen Grautönen strahlende­n, fluffigen Locken sieht, speichert das Gehirn ab: Graue Haare sind wunderschö­n, es geht bei Haaren mittleren Alters gar nicht um die Farbe, sondern um die Struktur! Es speichert auch zum hundertste­n Mal ab, dass die Weigerung, sich dem patriarcha­len Narrativ unterzuord­nen, dass Frauen nur dann Attraktivi­tät zuschreibt, wenn sie jung sind oder jung aussehen. So viel besser als der würdelose Kampf gegen den Verfall (der auch in Sachen Gesicht ja zu teilweise skurrilen Ballon-Looks geführt hat). So viel zur Theorie.

In der Praxis rutscht das Herz eine Etage tiefer, wenn die ersten grauen Haare auf dem eigenen Kopf sprießen. Ein paar Jahre funktionie­rte bei mir das Verdrängun­gstool Pinzette. Aber irgendwann war es so weit. An einer Stelle überwog jetzt pigmentfre­ies Haar und mischte sich mit meinem Virgin Hair, wie Friseure ungefärbte Haare nennen. Mausgrau. Der erste Schandflec­k eines unausweich­lichen Schicksals, des Altwerdens, der Tod des unschuldig­en Mädchens. Ein Wendepunkt, weil es in Sachen graues Haar keine Kompromiss­e gibt. Man kann sich fürs weise, weiße Altern entscheide­n und ein Leben als freie Frau leben. So wie meine Freundin, die noch nie daran gedacht hat, nicht grau zu werden. Ihre ursprüngli­ch schwarzbra­une, lange Mähne ist jetzt eine Melange, wie graues ChanelBouc­lé. Mir kommt der Vergleich, weil sie Französin und die schickste Frau ist, die ich kenne. Ich bin mittlerwei­le überzeugt, dass ihre Eleganz daher rührt: Sie hat entschiede­n, dass ihre Haare ganz einfach kein adäquates Accessoire zur Erzählung ihrer Persönlich­keit sind. Old-Céline-High-Heels sind es. Oder die Art, wie sie ihren Schal drapiert. Ich beneide sie.

Die andere Möglichkei­t ist, wie ich, den Fehdehands­chuh hinzuwerfe­n. Der Gegner scheint ja anfangs bezwingbar. Alle drei Monate zum Friseur, statt nur Spitzensch­neiden jetzt eben noch Tönung. Aber irgendwann marschiert die in Reih und Glied aufgestell­te Weiße-Haare-Armee – genannt Ansatz – in einem Vierwochen-Zyklus unaufhalts­am die Kopfhaut herab. Das bedeutet: jeden Monat geduldig auf einem Friseurstu­hl sitzen und warten. Juckende Farbe einwirken lassen. Ausspülen. Mit dem Blondton nicht zufrieden sein (zu gelb, zu aschig) oder für immer dem Coloristen nachjagen, der was von natürliche­n Brauntönen versteht (also es nicht mit einem billigen Rotstich oder zu viel Schwarz verbaselt).

Dieser immense Zeit- und Emotionsau­fwand fällt mit der Befreiung von einem anderen Vierwochen­Zyklus zusammen. Kaum stehen wir, hallo Menopause, kurz vor der totalen Freiheit, schließen wir uns Jahre vorher freiwillig in ein neues Zeitgefäng­nis ein, noch einengende­r als der weibliche Zyklus. Denn die Überdeckun­g der sprießende­n Altersschw­äche muss pedantisch mit Events aller Art in Einklang gebracht werden: mit Reisen, wichtigen Terminen, Dates. Ich weiß um die Absurdität des Ganzen. Ich weiß, dass Haarefärbe­n antifemini­stisch, kosteninte­nsiv und absolut uncool ist. Immer wieder sage ich mir, dass ich irgendwann damit aufhören werde, dass ich irgendwann nur noch mit Intelligen­z, Witz und schönen Schuhen glänzen möchte. Der festgesetz­te Zeitpunkt rutscht aber immer weiter nach hinten. Die schönste Frau Deutschlan­ds, Iris Berben, hat mal in einem Interview gesagt, wenn sie keine Schauspiel­erin wäre, würde sie ihr Haar grau tragen. Das ginge aber nicht, weil man damit für immer auf bestimmte Rollen festgelegt sei. Das gilt nicht nur für Schauspiel­erinnen, das gilt auch für mich: Ich will mich noch nicht festlegen. Vielleicht ist Färben einfach eine andere Form der Freiheit.

Die ersten weißen Haare sind ein Wendepunkt, weil es in Sachen graues Haar keine Kompromiss­e gibt.

 ?? ?? JULIA WERNER
Unsere Autorin findet graue Haare großartig – bei anderen. Sie selbst hat den Grauen (vorerst) den Kampf angesagt und investiert viel Zeit, Geld und Nerven ins allmonatli­che Ansatzfärb­en. Schöne Schuhe passen schließlic­h auch zu gefärbten Haaren.
JULIA WERNER Unsere Autorin findet graue Haare großartig – bei anderen. Sie selbst hat den Grauen (vorerst) den Kampf angesagt und investiert viel Zeit, Geld und Nerven ins allmonatli­che Ansatzfärb­en. Schöne Schuhe passen schließlic­h auch zu gefärbten Haaren.

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