Provokation posthum
Die Volksbühne bringt Heiner Müllers „Germania“-duo zur Aufführung
Berlin.
Germania, das Stück, aus dem Autor Heiner Müller (1929– 1995) die Geburt einer Nation aus dem Geiste des Krieges formatierte, gelangt in zweifacher Ausfertigung erneut auf die große Bühne der Berliner Volksbühne. „Germania Tod in Berlin“und „Germania 3“spiegeln Müllers Beschäftigung mit der deutschen Geschichte wider, sie zog sich durch sein ganzes Leben.
Abrechnung mit Stalin
Das erste Stück beginnt er im Jahr des XX. Parteitages der KPDSU 1956. Der Volksaufstand vom 17. Juni in der DDR ist drei Jahre zuvor noch von Stalins Panzern niedergeschlagen worden. Jetzt lässt die Abrechnung Chruschtschows mit den Verbrechen Stalins hoffen. „Germania Tod in Berlin“kann erst 1989 in der DDR aufgeführt werden. „Germania 3“schreibt Heiner Müller von 1990 bis 1995, also nach dem Ende der DDR, nach Wende und Mauerfall. Der Bogen, den Müller schlägt, ist gewaltig: die Varus-schlacht im Jahre 9, die Nibelungen vor Stalingrad, Napoleon, Cäsar, Friedrich II., der Tod Luxemburgs und Liebknechts 1919, Hitler, Stalin, die Gründung der DDR, der 17. Juni 1953, Mauerbau, Alteigentümer nach dem Mauerfall.
Die Berliner Mauer als Denkmal
Die Lesarten deutscher Geschichte, die Müller anbietet, sind provokant und bestechend zugleich: Stalingrad als der Anfang von Bonn, die Mauer als Denkmal Rosa Luxemburgs, Hitler gebiert den Contergan-wolf – die BRD. Ist „Germania“eine Groteske, eine Tragödie?, fragt Regisseurin Claudia Bauer. „Wenn alles Dokumentarische offenliegt, fällt eine ganze Menge Behinderung weg, und man kann wieder anfangen, Stalin oder den Hitler zu erfinden. Da gibt’s dann Elemente von Science-fiction und Karneval...“, sagte Heiner Müller 1990. Die Bühne gestaltete Andreas Auerbach, die Videos erstellte Rebecca Riedel. red
Premiere:
Donnerstag (17.10.), 19 Uhr, Restkarten, nächste Vorstellungen: 19.10. und 31.10., Volksbühne Berlin, Tel. 030 24065777