Berlin zur Zeit Fontanes
Eine Ausstellung im Märkischen Museum bündelt historische Aufnahmen
Der Dichter dürfte viele der abgebildeten Gebäude selbst gesehen haben.
65 Jahre lebt Theodor Fontane in Berlin. In dieser Zeit erlebt die Stadt einen rasanten Wandel von der königlichen Residenz zur kaiserlichen Metropole. Und es ist die Epoche, in der die Fotografie ihren Siegeszug antritt. Davon erzählt eine Ausstellung im Märkischen Museum. Von Camillo Kupke
Apotheker, Journalist, Theaterkritiker, Schriftsteller – und nun Museumsdirektor? Ja, Theodor Fontane traut sich diesen Posten zu. Vor allem nach diesem Reinfall. Im Mai 1868 sieht er im „Museum für Vaterländische Alterthümer“im Schloss Monbijou eine seiner Ansicht nach skandalöse Ausstellung „historisch merkwürdiger Gegenstände“, „ein bloßer Raritäten Laden, zum Theil ein bloßes Jahrmarkts-chaos“. Flugs entwickelt Fontane den Plan eines national-historischen Museums mit ihm als Leiter und schreibt seiner Freundin und langjährigen Briefpartnerin Mathilde von Rohr: „Es würde mich glücklich machen mit einer solchen Aufgabe betraut zu werden (…) hab ich doch hier das Gefühl: das könnt ich.“Neben der ehrenvollen Tätigkeit erhofft sich der stets klamme Dichter einen „anständigen Titel und ein gutes Gehalt“.
Bekanntlich ist nichts daraus geworden. Fontane arbeitet weiter als Journalist und etabliert sich zunehmend auch als Romancier. Das Märkische Provinzialmuseum wird 1874 gegründet – und der in brandenburgisch-preußischer Geschichte bestens bewanderte Berliner Stadtrat Ernst Friedel zu dessen ersten Direktor ernannt. Den Job eines Museumschefs hätte Fontane gewiss ebenso bravourös gemeistert. Für seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“erschließt er sich historische Quellen. Berlin kennt er so gut wie keine andere Stadt: 65 Jahre lebt er dort – von 1833 bis zu seinem Tod 1898. Und vermutlich hätte er, der als Presse-agent in London die innovativste Medienlandschaft seiner Zeit kennenlernen durfte, moderne Informationsträger für die Wissensvermittlung eingesetzt – etwa die Fotografie.
Handlungsorte der Romane
Fontane lebt zu einer Zeit in Berlin, in der sich die Stadt rasant von einer königlichen Residenz zur kaiserlichen Metropole wandelt. Er sieht den Abriss mittelalterlicher Strukturen und die Errichtung neuer Stadtteile und Villenviertel, die Einführung von Eisenbahn, Kanalisation, Stadtreinigung und Elektrizität, ebenso den Ausbau bedeutender Industrieunternehmen wie Borsig und Siemens. Und es ist die Phase, in der die Fotografie ihren Siegeszug antritt. Die 1839 von dem Franzosen Louis Daguerre (1787–1851) entwickelte Unikattechnologie – die nach ihm benannte Daguerreotypie – wird alsbald vom Negativ-positiv-verfahren abgelöst. 1856 verzeichnet das Berliner Adressbuch 41 Fotografen, 1878, als Fontanes erster Roman „Vor dem Sturm“erscheint, sind es bereits 186 Ateliers, noch einmal zwei Jahrzehnte später 261.
Fontane beschreibt so akribisch und authentisch wie kaum ein anderer Autor das Berlin dieser Epoche. Zugleich ziehen seine fotografiebegeisterten Zeitgenossen durch die Stadt, die tief greifenden Umbrüche an der Spree mithilfe des neuen Mediums festzuhalten. Und schon früh erwirbt das Märkische Provinzialmuseum Fotografien, um das verschwindende alte Berlin zumindest als Abbildung für künftige Generationen festzuhalten. Heute umfasst die fotografische Sammlung der Stiftung Stadtmuseum Berlin mehr als eine Million Aufnahmen!
Wer sich die Mühe macht, Literatur und Aufnahmen zu vergleichen, dem wird rasch bewusst, wie Fontane „sein“Berlin poetisch verdichtet hat. „Es gibt viele Parallelen zwischen den Romanhandlungen und den Fotografien. Es geht um die gemeinsame Sicht auf den Wandel der Stadt“, sagt Ines Hahn. Die Leiterin der fotografischen Sammlung des Stadtmuseums ist Kuratorin der Ausstellung „Fontanes Berlin“im Märkischen Museum. Zu sehen sind dort 130 historisch herausragende Aufnahmen von zwölf fotografischen Pionieren des 19. Jahrhunderts. Entstanden zwischen 1856 und 1898, also zu Lebzeiten Fontanes. Der Dichter dürfte viele der abgebildeten Straßen, Plätze und Gebäude selbst in Augenschein genommen haben, denn so manche abgelichtete Lokalität ist Handlungsort seiner Romane.
Dabei sind die Fotos gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Einerseits zeigen sie das alte Berlin, wie es spätestens im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges verschwand. Andererseits dokumentieren die Bilder die immer weiter verfeinerte Aufnahmetechnik, sie stellen die spezifischen Handschriften der Fotografen heraus und bedienen zugleich die verschiedenen Genres von der Kunst- bis zur reinen Architekturfotografie.
Dem aus Dessau stammenden Maler und Lithografen Leopold Ahrendts (1826– 1870), der spätestens 1852 nach Berlin kommt und sich an der Spree der Fotografie zuwendet, verdanken wir eine der frühesten Ereignisfotografien aus der Berliner Geschichte. Am 11. Juni 1861 lichtet er die Grundsteinlegung für das Rote Rathaus im Beisein des preußisches Königs Wilhelm I. ab. Trotz der langen Belichtungszeiten und des trüben Regenwetters gelingt ihm eine Aufnahme von beachtlicher Schärfe; nur einige Gesichter und Schirme, die bewegt werden, sind verschwommen. Bereits 1856 bringt Ahrendts sein hoch gelobtes Mappenwerk „Architektonische Ansichten von Berlin“in den Kunsthandel – fünf Jahre bevor Fontane den Debütband seiner „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ veröffentlicht und damit sein erstes literarisches Achtungszeichen setzt.
Das Märkische Provinzialmuseum sieht sich von Anbeginn in der Pflicht, den einschneidenden Um- und Ausbau Berlins fotodokumentarisch zu speichern. 1886 erhält die Einrichtung einen festen Etatposten zum Erwerb von Stadtbildund Architekturfotografien. Vor allem F. Albert Schwartz (1836–1906), Georg Bartels (1843–1912), Hermann Rückwardt (1845–1919) und Hugo Rudolphy (1855–1919) halten im Auftrag des Museums jene bauhistorisch wichtigen Gebäude und Areale fest, die dem stetigen Stadtumbau zum Opfer fallen.
Schwartz, von dem das Haus mehr als 1000 Abzüge erwirbt, fotografiert 1880 die Baustelle des Bahnhofs Alexanderplatz. Auch Fontane liebt die Stadtbahn, und etliche seiner Romanfiguren nutzen sie ebenfalls. So fahren Ministerialassessor Rex und Hauptmann von Czako in „Der Stechlin“(1898) nach einem Besuch bei Graf Barby und seinen Töchtern vom Bahnhof Bellevue mit der Bahn, Rex bis zur Friedrichstraße, Czako bis zum Alex. Bartels wiederum fotografiert 1895 die Burgstraße und rückt das Hotel „Zum König von Portugal“in den Mittelpunkt. Es ist jener Gasthof, in dem Familienvorstand Berndt von Vitzewitz in Fontanes „Vor dem Sturm“(1878) absteigt, von wo er auf das gegenüber liegende Schloss schaut – und vor sich hin spricht: „Das kann nicht über Nacht verschwinden.“
Eine spektakuläre Aufnahme gelingt Rudolphy, der auch für die „Berliner Illustrirte Zeitung“und „Die Gartenlaube“fotografiert, am 22. März 1897: Er lichtet nachts das Berliner Schloss ab, das anlässlich des 100. Geburtstages von Kaiser Wilhelm I. (1797–1888) von 8000 Glühlampen und Scheinwerfern illuminiert wird. 20 Minuten habe die Belichtungszeit betragen, teilt Rudolphy dem Verein zur Förderung der Photographie mit, in dem sein Bild viel Beachtung findet.
Große Verbreitung finden die Kunstblätter des Verlegers und Amateurfotografen Dittmar Schweitzer (1864–1899). Sie zeigen weltstädtische Szenen und können für jeweils 50 Pfennige erworben werden. Die Bilder eigneten sich „als Erinnerungsgeschenke, wie auch zum Einrahmen als Wandschmuck“, heißt es in der Werbung. Schweitzer fotografiert den Potsdamer Platz, über den auch Fontane von seiner Wohnung in der Potsdamer Straße 134c zum Café Josty gern spaziert. Und an dem sich das Hotel „Der Fürstenhof “befindet – einer der Handlungsorte in „Die Poggenpuhls“(1896). Ex-general Eberhard von Poggenpuhl steigt dort während seines Berlin-besuches ab.
Zille dokumentiert die Kehrseite
Manche Fotos sind, als sie entstehen, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Sie sind sogar streng geheim, etwa die von Hugo von Hagen (1856–1913), der eine der ersten Luftaufnahmen Deutschlands macht. Der Offizier ist Gründungsmitglied des 1884 geschaffenen Königlich-preußischen Ballon-detachements. Diese Einheit testet die Tauglichkeit von Ballons für militärische Zwecke, wobei die Versuchsflüge vom Tempelhofer Feld starten. Vom Hagen montiert an die Ballongondel eine schwenkbare Kamera. So kann er aus einer Höhe von 600 bis 1000 Metern Berlin und die Umgebung fotografieren, darunter um 1886 die Gleisanlagen der Potsdamer Bahn.
Auch „Milljöh“-zeichner Heinrich Zille (1858–1929) fotografiert – ohne die Absicht, dieses Werk kommerziell zu verwerten. Vielmehr dienen ihm die Motive als Anregung für seine Zeichnungen. Und anders als die zuvor genannten Fotografen lichtet Zille nicht Architektur ab, sondern dokumentiert mit seiner Kamera die Kehrseite der schnell wachsenden Stadt: die armseligen Lebensverhältnisse der einfachen Menschen – einen Obdachlosen, einen bettelnden Mann mit Schifferklavier, eine Frau, die einen mit Reisig beladenen Kinderwagen über eine Brachfläche schiebt …
Fotografie ist zu Fontanes Lebzeiten eine Männerdomäne. Deshalb seien sie überrascht gewesen, als sie die Biografien der zwölf Fotografen recherchieren und dabei herausfinden, dass sich hinter „M. Panckow“eine Frau verbirgt, berichtet Kuratorin Ines Hahn. Marie Panckow (1836–1903) bietet in ihrem Photographischen Kunst- und Verlags-institut zwischen 1870 und 1875 eine Kollektion von 200 hochwertigen Architekturaufnahmen an. Es sind meist neu errichtete Gebäude, die sie oft im gerade erst fertiggestellten Zustand fotografiert. Sachlich-nüchtern lichtet sie die Villa von der Heydt am Großen Wannsee ebenso ab wie die Villen Monplaisir und Liebermann im Tiergartenviertel. Unehelich geboren und drei Mal verheiratet, wobei sie alle ihre Ehemänner überlebt, hätte Marie Panckows Leben gewiss auch genügend Stoff für eine der Fontane’schen Romanfiguren geliefert.
Der Traum des Schriftstellers, Direktor eines historischen Museums zu werden, geht zwar nicht in Erfüllung. Dennoch ist Fontane im Märkischen Museum präsentiert. Nach seinem Tod 1898 und dem Ableben seiner Ehefrau Emilie vier Jahre später übergibt Sohn Friedrich dem Märkischen Provinzialmuseum unter anderem den Schreibtisch seines Vaters – inklusive der darin aufbewahrten Manuskripte seiner Romane wie „Vor dem Sturm“und „Effi Briest“. Als 1908 der Neubau des Museums Am Köllnischen Park öffnet – das heutige Märkische Museum –, ist vom ersten Tag an das Fontane-zimmer fester Bestandteil der Präsentation. Während die meisten Möbel 1945 verloren gehen, können ausgewählte Manuskriptblätter in der aktuellen Ausstellung angeschaut werden.
Ausstellung „Fontanes Berlin“, bis 5.1., Di–so 10–18 Uhr, Märkisches Museum, Am Köllnischen Park 5, Berlin-mitte, Tel. 03024002162, www.stadtmuseum.de
Sachlich-nüchterner Blick: Marie Panckow fotografiert Anfang der 1870er-jahre die Villa von der Heydt am Großen Wannsee ab. Das Gebäude im italienischen Renaissancestil wird 1974 abgerissen.
Eine Metropole im Umbruch: Der Fotograf Hermann Rückwardt ist mit seiner Kamera dabei, als 1887 die Kaiser-wilhelm-brücke (heute Liebknechtbrücke) gebaut wird.
Belebtes Viertel: Diese Verkehrsszene in der Spandauer Straße, Ecke Eiergasse fotografiert Hugo Rudolphy im Jahre 1898. Links ist der Chor der Nikolaikirche, rechts das Rote Rathaus zu sehen.