Is-miliz bleibt eine Gefahr
Nach dem Tod ihres Anführers Al-bagdadi wird sich die Gruppe verändern, verschwinden wird sie nicht. Die Dschihadisten-miliz ist dezentral organisiert und weiter handlungsfähig.
Die mitternächtliche Usmilitäraktion gegen das einsame Gehöft am Dorfrand von Barisha löste weltweit Erleichterung aus. Der gefährlichste Terrorist der Welt ist tot, Abu Bakr al-bagdadi, der mit seinem „Islamischen Kalifat“Millionen Menschen unterjochte und dem Nahen Osten eine Apokalypse hinterließ – Massengräber, zerstörte Städte, unbewohnbare Dörfer und zutiefst verfeindete Volksgruppen, die zuvor jahrhundertelang miteinander gelebt hatten. Nach einer vierjährigen Schlacht versank sein religiöser Terrorstaat, der zeitweise ein Gebiet so groß wie England beherrschte, in Schutt und Asche. Im März 2019 kapitulierte die letzte Bastion der Dschihadisten in dem ostsyrischen Städtchen Baghus am Euphrat. Am Sonntag sprengte sich der Is-chef in seinem Versteck in der Rebellenprovinz Idlib nahe der türkischen Grenze in die Luft, um der Gefangennahme durch die Amerikaner zu entgehen.
Doch der Tod Bagdadis, die militärische Niederlage und der Untergang des territorialen Kalifates bedeuten keineswegs das Ende der Terrormiliz. Deren ideologisches Fundament existiere weiter, twitterte der Politikwissenschaftler Hischam Hellyer vom britischen „Royal United Services Institute“. „Die Gruppe wird sich verändern – sie wird nicht verschwinden.“Denn rund um den Erdball haben sich drei Dutzend Is-terrorableger gebildet, die dezentral und auf eigene Faust agieren.
Aktionsgebiet neu geordnet
Für dieses künftige „globale Kalifat“wurden die Is-gebiete neu geordnet, wie die Terrorexperten Charlie Winter und Aymenn al-tamimi schrieben. Dazu stufte die Is-führung die Kerngebiete Syrien und Irak herab und wertete die Is-provinzen in Afrika und Asien auf, nach dem Motto – „der Proto-staat in Syrien und Irak war großartig, aber er öffnete die Tür zu etwas noch viel Größerem“. Daher waren nach Einschätzung der Forscher die Osteranschläge von Is-extremisten in Sri Lanka, bei denen im April 259 Menschen starben, der erste „Probelauf “für diese neue Strategie.
Doch auch Syrien und der Irak bleiben wichtige Hochburgen, weil die Terrormiliz nach Schätzungen des Us-verteidigungsministeriums dort immer noch 18 000 Dschihadisten unter Waffen hat, darunter 3000 Ausländer. Teile der syrischen Zivilbevölkerung sympathisieren nach wie vor mit den Extremisten und verstecken ihre Schläferzellen. Auf irakischer Seite haben Is-kommandos bereits seit längerer Zeit wieder Fuß gefasst. Dutzende lokale Politiker und Stammesführer wurden ermordet. Viele zwischenzeitlich verstummte Facebook-accounts von Is-anhängern sind erneut aktiv.
Der IS habe bewiesen, das er Rückschläge verkraften könne, „und wird definitiv den Tod von Bagdadi ausschlachten, um neue Anhänger zu rekrutieren und zu Anschlägen aufzustacheln“, twitterte Rita Katz, Direktorin von „SITE Intelligence Group“, einer Us-organisation, die das Online-geschehen dschihadistischer Gruppen verfolgt.
Auch die meisten Is-gefangenen gebärden sich unbeirrt. Is-mütter fauchten, sie würden weitere Generationen von Dschihadisten zur Welt bringen. 70 000 Frauen und Kinder, von denen 11 000 aus dem Ausland stammen, sind in drei Lagern der nordsyrischen Kurden interniert, die sich zu neuen Brutstätten des Terrors entwickeln. Vor allem die ausländischen Fanatikerinnen haben unter ihren Mitgefangenen eine Herrschaft des Schreckens errichtet. Helfer trauen sich kaum noch auf das Gelände. Mehrere junge Insassinnen, die sich den drakonischen Kleidervorschriften verweigerten, wurden erstochen aufgefunden. Zu den 12 000 gefangenen Is-männern zählen etwa 2500 Ausländer aus 50 Nationen. Etwa 100 von ihnen konnten nach Angaben des Pentagon im jüngsten Kriegschaos entkommen, darunter auch einige Deutsche. Ausdrücklich warnte die Führung der syrischen Kurden nach dem Tod Bagdadis vor Racheakten von Dschihadisten, die sich im Untergrund verstecken. „Alles ist möglich, auch Angriffe auf Gefängnisse“, erklärte der Kommandeur der kurdisch-syrischen Streitkräfte, Mazloum Abdi.
Der getötete Terrorchef Bagdadi selbst hat sein Ende offenbar kommen sehen. Bereits im August bestimmte er Abdullah Qardash zu seinem Nachfolger, der schon seit längerem die tägliche Steuerung des IS in der Hand hat. Der neue Chef war Offizier unter Saddam Hussein, bevor er sich als Prediger Al-kaida anschloss, um später zum IS zu wechseln. Er und Bagdadi kennen sich aus der gemeinsamen Haftzeit 2003 im Us-camp Bukka im Südirak.
Männer untersuchen nach einem Angriff Trümmer eines Hauses. Der Is-anführer Al-bagdadi soll hier gestorben sein, als er während der Us-operation eine Sprengstoffweste zur Detonation gebracht habe.