Märkische Oderzeitung Frankfurt
Zeit für eine Bewegung
Alle Zeichen stehen auf Neustart: Warum das Land alle Chancen hat, zu einer literarischen Leuchtturmregion zu werden.
Es ist längst nicht mehr nur Juli Zeh, die mit Romanen wie „Unterleuten“und „Über Menschen“dafür sorgt, dass Brandenburg als Literaturschauplatz deutschlandweit bekannt ist. Fontane-preisträgerin Judith Zander, Jugendliteratur-preisträgerin Manja Präkels, .Julia Schoch, Antje Rávic Strubel, die Buchpreisträger Lutz Seiler oder Saša Stanišić, um nur einige von den Jüngeren zu nennen – längst ist Brandenburg gefragtes Refugium und Teilzeit-heimat für eine eindrucksvolle Riege von Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Damit steht Brandenburg, das sich gern mit Paul Gerhardt, Heinrich von Kleist und Theodor Fontane, Gerhart Hauptmann und Bertolt Brecht, Erwin und Eva Strittmatter und Wolfgang de Bruyn schmückt, auch in Sachen Gegenwartsliteratur an vorderster Stelle.
Um so mehr stellt sich die Frage, wie es um Literaturförderung und Literaturwahrnehmung bestellt ist. Stell’ dir vor, du bist Literaturweltmeister – und keiner kriegt’s mit. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Kreativzentrum in Grünheide, finanziert in Kooperation mit Tesla, schlägt der langjährige Leiter des Kleist-museums, Wolfgang de Bruyn, nur halb im Scherz vor. Immerhin verbrachten dort Gerhart Hauptmann, Bertolt Brecht, Wilhelm Bölsche und Ernst Rowohlt die Sommermonate. Der Ddr-regimekritiker Robert Havemann lebte von 1976 bis zu seinem Tod 1982 dort, drei Jahre lang unter einem von der Ddr-führung auferlegten Hausarrest, und empfing zu Hause, was Rang und Namen hatte in der Ddr-literaturszene. Grünheide sei zeitweilig so etwas wie das deutsche Aspen gewesen, so de Bruyn. Hat das Elon Musk noch niemand gesagt?
Oder nehmen wir die aktuellen Pläne, im Landkreis Oderspree einen Literaturschwerpunkt auszubilden: Wolfgang de Bruyn möchte im Domizil seines 2020 gestorbenen Vaters Günter de Bruyn bei Tauche ein Stipendiatenprogramm einrichten und erschließt dessen Nachlass und Bibliothek künftig mit einer Stiftung in Beeskow. Böte es sich da nicht an, die authentischen Dichterorte von Erkner (Gerhart Hauptmann) über Neuenhagen (Hans Fallada) bis nach Waldsieversdorf (John Heartfield) und Buckow (Bertolt Brecht und Helene Weigel) zusammenzufassen unter einem gemeinsamen (Vermarktungs-)dach? Und auch die Neubesetzung der Direktion des Kleist-museums könnte das Haus noch mehr zum Dreh- und Angelpunkt einer Literaturbewegung in Brandenburg machen.
Bislang überwiegt der Eindruck: ein großer Reichtum, viele Orte und Initiativen, doch eine überregionale Strahlkraft entfaltet das noch nicht. An den Akteuren liegt es bestimmt nicht – vielfältig sind die Angebote in Sachen Literatur in Brandenburg: mit innovativen Festivals wie den Fontane-festspielen, dem Reiseliteraturfestival „Neben der Spur“und dem Lyrikfestival „Pop und Petersilie“in Neuruppin, dem Potsdamer Literaturfestival Lit. Potsdam und dem Bilderbuchfestival in Müncheberg. Aber auch, ganz neu, mit „Literatur auf der Parkbank“in Cottbus und den Aktivitäten von Kunstpreisträger Hans Jörg Rafalski, der sich seit zwei Jahren verstärkt für Brandenburger Verlage und Kinderliteratur einsetzt. Hinzu kommen die Stadt- und Burgschreiberstipendien von Rheinsberg und Beeskow, die hochkarätigen Lesungen des Literaturbüros in Potsdam, engagierte Buchhandlungen
In Beeskow entsteht mit dem Nachlass von Günter de Bruyn ein Literaturzentrum.
Festivals, Buchläden, Stipendien … so viel Potenzial gibt es im Land Brandenburg.
wie die Fontane-buchhandlung in Neuruppin, der Literaturladen von Carsten Wist in Potsdam oder die Ulrich von Hutten-buchhandlung in Frankfurt (Oder). So viel Potenzial …
Umso mehr wünschte man allen Beteiligten, dass Brandenburg sich in der Außenwirkung stärker als Literaturland begreift. Dass es Literatur als Alleinstellungsmerkmal versteht, auf das das Land stolz sein kann und mit dem es trefflich werben kann. Eine deutschlandweite Kampagne: „Hier spielt die Literatur“zum Beispiel – wie viel konkreter wäre das als „Land der Möglichkeiten“. Nicht zuletzt könnte damit auch ein wirkungsvolles Zeichen gesetzt werden, dass die Politik Kultur und Literatur als das begreift, was es in der öffentlichen Wahrnehmung zu Corona-zeiten viel zu selten war: sinn- und identitätsstiftendes Pfund, mit dem es zu wuchern gilt.
Denn die Gelegenheit ist günstig: Derzeit stehen die Zeichen an vielen Stellen so sehr auf Neuanfang wie lange nicht mehr. In Wiepersdorf startet Annette Rupp das Stipendiatenprogramm neu, der Brandenburgische Literaturrat hat mit Friederike Frach eine engagierte neue Geschäftsführerin, die aktive ehemalige Kulturland-leiterin Brigitte Faber-schmidt wird im Kulturministerium für die gute Sache werben können, und auch Kulturland Brandenburg wird sich neu aufstellen müssen – man munkelt von einem Themenjahr Literatur 2024. Zeit also für eine Bewegung – die vielleicht mit einer großen Literaturkonferenz im Kleist-museum ihren Anfang nehmen könnte. Literaturfreunde dieses Landes – vereinigt euch!