Märkische Oderzeitung Fürstenwalde
„Die Belegschaft steht hinter uns“
Um zukunftsfähig zu sein, sucht die DB tausende neue Mitarbeiter / Vorstand sagt günstige Konditionen zu
Im Gespräch mit Martin Seiler, Personalvorstand bei der Deutschen Bahn AG erfuhren Doro
thee torebko und Dieter keller, wie der Staatskonzern seine Mitarbeiter rekrutieren und motivieren will.
Herr Seiler, die Bahn hat in letzter Zeit ziemlich viele negative Schlagzeilen produziert. Wie schlecht ist die Stimmung in der Belegschaft?
Wir haben gerade wieder unsere weltweit über 300 000 Mitarbeiter befragt. Die Zufriedenheit ist stabil. Bei Verbundenheit, Loyalität und Spaß bei der Arbeit haben sich die Werte sogar verbessert.
Dennoch hat die Bahn mit einem schlechten Bild nach außen zu kämpfen. Unpünktliche Züge, veraltete Infrastruktur. Wie schwer macht dieses Image die Suche nach geeignetem Personal?
Wir rekrutieren erfolgreich. Letztes Jahr haben wir über 24 000 neue Kolleginnen und Kollegen eingestellt. Dieses Jahr planen wir 22 000 Einstellungen. Wir sind zuversichtlich, dass wir das wieder schaffen. Die Situation ist aber unterschiedlich, je nach Region und Beruf.
Welches Personal ist besonders schwierig zu finden?
Neben Ingenieuren und IT-Experten besonders die bahnspezifischen Berufe, also Lokführer, Gleisbauer und Fahrdienstleiter. Wir suchen 2019 allein rund
1500 Fahrdienstleiter, die in den Stellwerken den Zugbetrieb regeln, und über 2000 Lokführer. Aber die Bahn ist ein attraktiver Arbeitgeber. Wir haben allein im vergangenen Jahr 320 000 Bewerbungen bekommen.
In den kommenden Jahren verlassen aber auch viele Mitarbeiter den Konzern. Wie wollen Sie diese Löcher stopfen?
In den nächsten zehn bis zwölf Jahren verlieren wir die Hälfte der Belegschaft in Deutschland, also rund 100 000 Mitarbeiter. Das heißt: Rekrutieren, Qualifizieren und dann auch in den Konzern Integrieren bleiben eine fortwährende Aufgabe. Wir besetzen nicht nur nach, sondern wachsen auch. Im letzten Jahr haben wir rund 7500 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Unsere Devise: Mehr Personal für mehr Qualität.
Sie werben über 50-Jährige und Studienabbrecher an. Sind Zehntklässler nicht qualifiziert genug für eine Ausbildung?
Wir müssen alle Zielgruppen betrachten. Schulabgänger kommen bei uns für eine duale Berufsausbildung infrage. Wir stellen zum September rund 4000 Azubis ein, nochmal 200 mehr als im Jahr davor. Am wichtigsten ist uns, dass die Neuen zu uns passen. Alles andere, wie das Alter, ist zweitrangig.
Die Bahn hat mit einem angestaubten Image zu kämpfen. Ist sie für junge Arbeitssuchende
ein attraktiver Arbeitgeber?
Die Bahn ist doch das Verkehrsmittel der Zukunft, allein aus ökologischer Sicht. Und der Trend zur Schiene ist ungebrochen. Heißt: Es gibt bei uns spannende Aufgaben mit Zukunft. Dafür bieten wir eine gute Ausbildung in 50 Berufen. Wir haben moderne Ausbildungsstätten. Es gibt immer noch junge Leute, die sich ihren Kindheitstraum Lokführer erfüllen wollen und das mit viel Begeisterung angehen. Und nach der Ausbildung geht es dank unserer Übernahmegarantie in der Regel weiter.
Sie bieten neuerdings Azubis eine sozialpädagogische Begleitung an – warum?
Mit so einer Anlaufstelle wollen wir Motivation und Leistung steigern. Und gleichzeitig Ausbildungsabbrüche vermeiden. Junge Menschen, die ins Berufsleben starten, haben mit einer Vielzahl von Themen umzugehen und bringen manchmal Probleme mit, die in der Vergangenheit anders abgefedert wurden. Da kann es um Familie oder das soziale Umfeld gehen, aber auch um Probleme beim Lernen. Mit dem Angebot von regelmäßigen persönlichen Gesprächen machen wir gute Erfahrungen, und wir wollen das Zug um Zug ausbauen.
Tun sich Jugendliche im Arbeitsleben heute schwerer als früher?
Sie bringen heute oft andere Fähigkeiten mit, gehen viel
selbstverständlicher mit mobilen Endgeräten und digitalen Entwicklungen um. Sie lernen auch ganz anders als wir Babyboomer vielleicht. Darauf muss man sich als Arbeitgeber einstellen. Da geht es etwa um die Konzentrationsfähigkeit oder das Lernen über Apps und in kleinen Häppchen. Deswegen ist es wichtig, dass wir sie mit einem Tablet ausrüsten, damit es keinen Bruch zwischen Ausbildung und privatem Umfeld gibt.
Azubis brauchen Perspektiven. Aber bietet die Bahn überhaupt dauerhaft sichere Arbeitsplätze, oder fallen viele durch die Digitalisierung weg?
Ich habe keine Angst vor der Digitalisierung, denn sie bietet große Chancen. Wenn wir unser Schienennetz digitalisiert haben, gehen wir von 20 Prozent mehr Kapazität aus. Damit wird es auch neue, andere Arbeitsplätze geben. Klar fragen sich unsere Mitarbeiter: Was macht die Digitalisierung mit mir? Aber wir geben unseren Leuten einen sicheren Rahmen für den Wandel: Wir bieten einen unbefristeten Kündigungsschutz und einen tarifvertraglichen Anspruch auf Qualifizierung.
Anfang 2018 hat sich mehr als die Hälfte der Mitarbeiter für sechs Tage mehr Urlaub statt mehr Geld entschieden. Nach dem neuen Tarifvertrag bieten Sie 2021 erneut diese Wahl. Ist das nicht tollkühn angesichts der Personalprobleme?
Absolut nicht. Deshalb war uns der lange Vorlauf so wichtig. Wir haben jetzt bis 2021 Zeit, uns in den Betrieben vorzubereiten, stellen rechtzeitig ein und qualifizieren. Wie viele Mitarbeiter sich für den zusätzlichen Urlaub entscheiden, wissen wir noch nicht, aber wir unterstellen in der Planung das Ergebnis vom letzten Mal.
Ist den Mitarbeitern Geld nicht mehr so wichtig?
Arbeitnehmer wollen verstärkt Arbeitsbedingungen, die zu ihrer Lebenssituation passen. Die kann mit 20 anders sein als mit 30 oder 50. Da ist es klug, die Wahl zwischen Geld und Freizeit zu bieten. Das gibt es inzwischen auch in anderen Branchen. Wir merken bei der Nachwuchssuche, dass die Menschen stärker auf flexible Modelle Wert legen. Auch Weiterentwicklung und Voll- und Teilzeit werden immer wichtiger. Am Ende fördert das auch Motivation und Zufriedenheit.
Vor dem Wechsel zur DB waren Sie bei der Deutschen Telekom und der Post. Was haben Sie von dort mitgenommen?
Alle drei Unternehmen stehen vor ähnlichen Herausforderungen bei Digitalisierung und Qualifizierung. Diese Veränderung zu gestalten ist auch bei der Bahn die große Aufgabe, die ich sehr reizvoll finde.
Mehr zum Thema unter: www.moz.de/bahn