Märkische Oderzeitung Fürstenwalde
„Ich will dort Geschäfte machen“
Wie aus einem stellvertretenden DDR-Minister ein Bankdirektor für ein westdeutsches Kreditinstitut wurde
Berlin. In diesem Jahr jährt sich der Fall der Berliner Mauer zum 30. Mal. Vieles ist seitdem über die DDR geschrieben worden. In einer Serie stellen wir Menschen vor, die Teil der DDR-Wirtschaftsgeschichte sind.
Mitten in der Umbruchphase, im Winter 1989/1990, fasste Dieter Knoch, Chefökonom des Ministeriums für Chemische Industrie der DDR, den Entschluss, seine Karriere bei einer West-Berliner Bank fortzusetzen.
Die Entscheidung fiel während eines Sondertreffens im großen Saal des Hauses der Ministerien, Leipziger Straße 5 bis 7, Berlin. Die Führung des Ministeriums für Chemische Industrie der DDR (MfC) hatte Mitte Dezember 1989 eine Gruppe Unternehmensberater aus West-Deutschland eingeladen.
Die Vertreter aus dem anderen Deutschland sollten der Leitungsspitze skizzieren, wohin die Reise gehen wird, die Marschroute hieß Marktwirtschaft. „Einen Monat nach Fall der Mauer war für mich klar: Die Planung hatte keine Zukunft“, sagt Dieter Knoch, promovierter Wirtschaftswissenschaftler und bis Ende 1989 stellvertretender Minister im DDR-Chemieministerium.
In den Wintermonaten 1989/1990 war – so erinnert sich der heute 82-Jährige – die gesamte Struktur der DDR-Regierung in Auflösung. „Es ging rasant schnell“, sagt er. Knoch hatte in der DDR schnell Karriere gemacht, nach dem Abitur 1954 und dem Studium in Berlin kam er über Stationen im Reifenwerk Fürstenwalde schnell ins MfC. Dort war er für Planung und Ökonomie zuständig. Knoch gilt als einer, der die Chemieproduktion in der DDR wieder aufgebaut hat. Vor allem in den Jahren nach dem Krieg und der Demontage seien 200 Chemiebetriebe abgebaut worden. „Die Ausgangslage war schwer“, so sein Fazit.
Dennoch sei es gelungen – wenn auch, wie er sagt „unter großen Opfern in Hinblick auf den Umweltschutz“– den Chemiezweig aufzubauen und damit vor allem die Versorgungsprobleme aufgrund der fehlenden Rohölkapazitäten der DDR abzumildern. Knoch war dabei, als die Chemiewerke in Leuna und in Schwedt ihren Betrieb aufnahmen, als der Erdölhafen in Rostock entstand. Doch diese Aufbauleistung hatte im Winter 1989/90 nur noch wenig Relevanz.
Eine Annonce, die am 27. Februar 1990 in der Berliner Zeitung stand, veränderte das Berufsleben von Dieter Knoch komplett. Das Bankhaus Löbbecke aus Berlin suchte einen „erfahrenen Repräsentanten für die DDR“. Der Kandidat sollte über „Kontakte zu Betrieben, Behörden und Banken in der gesamten DDR verfügen“, ebenfalls gewünscht waren „Verbindungen zu Handel, Handwerk, Industrie und Privatpersonen.“Aus mehr als 70 Bewerbern erhielt Knoch den Posten und wurde einer der VizeDirektoren des Bankhauses. Seinen Auftrag umschrieb sein damaliger Chef mit dem Satz: „Sie kennen die DDR, und ich will dort Geschäfte machen“.
Als erstes organisierte Knoch ein Gebäude für die Bank. In der Rosenthaler Straße, Ecke Hackescher Markt, wurde er fündig. Dort zog er mit seinen Mitarbeitern ein, und das erste Großprojekt war der Währungsumtausch am 1. Juli 1990. „Das war am Beginn des Tages nicht so einfach“, erinnert sich Knoch. In unmittelbarer Nachbarschaft gab es eine Filiale der Sparkasse. „Vor dem Eingang war der Andrang schon am Morgen sehr groß, die Menschen standen dort Schlage.“Doch Knochs Mitarbeitern gelang es, die Wartenden ins Gebäude von Löbbecke zu locken. Allerdings lag der Fokus der Bank eher auf Kreditgeschäften mit Betrieben und der Vermögensverwaltung.
So dauerte es nicht lange, bis Knoch auch Bekanntschaft mit der Treuhand machte. „Es war erbärmlich, was einem dort teilweise geboten wurde“. Während die Bank nach Wegen suchte, Unternehmen mit Westgeld zukunftssicher zu machen, lag „der eindeutige Fokus der Treuhand auf der Schließung der Betriebe“, so die Erfahrungen Knochs.
Nicht nur seine Branche, die Chemie, wurde in einem rasanten Tempo „abgewickelt“, auch kleinere Betriebe, die durchaus eine Chance gehabt hätten. Ein Beispiel ist die Firma Elektrogeräte Egel bei Magdeburg. Mit rund 140 Mitarbeitern wurden dort vor allem Herde hergestellt, doch die Branchengrößen der sogenannten „weißen Ware“, wie Siemens oder AEG, wollten das Geschäft auf dem Boden der DDR selber machen und entledigten sich der Konkurrenz, indem sie die Händlernetze übernahmen und Zahlungsziele von 120 Tagen boten – üblich waren bis dahin 40 Tage. Eger konnte nicht mithalten und verschwand vom Markt.
Knoch war bis 2001 beim Bankhaus Löbbecke, ab 1993 als Geschäftsführer für Industrie und Handelsbeteiligungen, auch die Bank hatte sich aus dem Angebot der Treuhand bedient. Rückblickend schaut der Berliner auf eine gespaltene Biografie zurück. Auf eine, die zur DDR gehörte, und auf eine, die danach kam. Sicher, er habe es im Gegensatz zu anderen „gut getroffen“, gibt er zu.
Doch sei die Zeit in den 1990er Jahren von „enormer Intensität geprägt gewesen, und keiner hatte eine Vorstellung von der Zukunft,“erinnert sich Knoch. Die Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind und gelebt haben, seien Anstrengungen gewöhnt gewesen, und die Jahre nach der Wende waren für alle anstrengend, doch es fehlte eine Richtschnur. „Es fehlte auf Seiten der Ex-DDR der Plan.“
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