Märkische Oderzeitung Fürstenwalde
Der Ballettrevolutionär
John Neumeier wird 80 Jahre alt
Er ist ein Virtuose, sein Instrument sind die Tänzerinnen und Tänzer. John Neumeier hat das Ballett revolutioniert, erfindet immer wieder neue Formen für die Bühne. In fünf Jahrzehnten choreografierte er rund 160 Ballette, goss sogar Symphonien von Gustav Mahler, die „Matthäuspassion“von Bach und Mozarts „Requiem“in Tanz. Bei allem bleibt sein Hauptziel: „Das, was ich spüre, so zu vermitteln, dass die Menschen berührt sind.“Am Sonntag wird der gebürtige USAmerikaner 80 Jahre alt.
Mit nur 30 Jahren arbeitet Neumeier 1969 als Ballettdirektor in Frankfurt am Main. Zuvor hat er seine ersten Choreografien beim Stuttgarter Ballett entwickelt. 1973 schließlich geht er nach Hamburg, wird Ballettdirektor und Chefchoreograf beim Hamburg Ballett, das er zu Weltrum führt. 1978 gründet er seine eigene Ballettschule, seit 1996 ist er Ballettintendant an der Hamburger Oper. „Solange ich mich erinnern kann, wollte ich Tänzer werden“, sagt Neumeier. Seinen ersten Tanzunterricht bekommt er als Kind in seiner Heimatstadt Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin.
Die Lehrjahre verbringt der Kapitänssohn dann in Kopenhagen und London. Doch seine Eltern legen ihm nahe, sein Studium an der heimatlichen Universität zunächst abzuschließen. „Nur zu gern wäre ich schon früher nach London gegangen, aber meine Eltern hatten darauf bestanden“, erinnerte er sich später.
Er macht also seinen Bachelor of Arts in Englischer Literatur und Theaterwissenschaften. Für seinen Traum, Tänzer zu werden, hat er sogar geschummelt: Als Neumeier 1962 nach Europa kommt, um seine Ausbildung an der Londoner Royal Ballet School abzuschließen, datiert er kurzerhand sein Geburtsjahr um drei Jahre nach vorn. Er ist zu diesem Zeitpunkt 23 Jahre alt, nach seinen Angaben aber erst 20. „Ich wollte sichergehen, bei der Registrierung nicht abgewiesen zu werden“, begründet er später seine Entscheidung. Spontan habe er sich deshalb zur Änderung entschlossen. Lange Zeit bleibt es ein wohl gehütetes Geheimnis.
Seine künstlerische Vorliebe gilt dem großen russischen Tänzer Vaslav Nijinsky (1889–1950). Als Elfjähriger habe er ein Buch über ihn entdeckt und verstanden, dass die Figuren auf der Bühne echte Menschen seien, sagte Neumeier einmal.
Als Choreograf interessieren ihn Gemütslagen und menschliche Beziehungen, mit dem Tanz spürt er dem nach, was mit Worten nicht gesagt werden kann. Er glaubt: „Man kann nur aus sich selber wirklich ehrlich schöpfen.“
2018 inszeniert er sein Beethoven-Projekt – anders als sonst bei seinen Stücken gibt es keine Handlung. Es ist abstrakt, funktioniert über Sinne und Gefühle. Pianist und Streicher stehen mit den Tänzern auf der Bühne.
Neumeier hat viele klassische Märchen- und Handlungsballette wie „Der Nussknacker“, „Romeo und Julia“, „Schwanensee“oder „Dornröschen“neu interpretiert. Auch mit dem Musical setzt er sich auseinander: Seinem langjährigen Freund Leonard Bernstein setzte er 1998 mit „Bernstein-Dances“ein eindrückliches Denkmal.
Hamburg ist für Neumeier zur Wahlheimat geworden. Auch privat hat er sein Glück an der Elbe gefunden: 2018 heiratet er seinen langjährigen Lebenspartner, den Hamburger Herzchirurgen Hermann Reichenspurner.