Märkische Oderzeitung Fürstenwalde
Der Schatz im Dachgeschoss
Im „Photoatelier Setzer-Tschiedel“ließen sich ab 1911 Tausende Personen der Wiener Gesellschaft porträtieren. Ein Forschungsprojekt will ihre Biografien recherchieren
Das Haus Museumsstraße 5 ist einer dieser prachtvollen Wiener Gründerzeitbauten, mit Mezzaningeschoss und schmiedeeisernen Balkongittern an der Fassade. Aber nicht nur wegen seiner Architektur ist das zwischen Volkstheater und Museumsquartier gelegene Gebäude einen Besuch wert. Beherbergt es doch einen unvergleichlichen Schatz: das Archiv des „Photoateliers Setzer-Tschiedel“, in dem sich ab 1911 bedeutende Persönlichkeiten der Wiener Gesellschaft porträtieren ließen.
Das unter dem Dach gelegene und erst 1979 geschlossene Atelier ist das einzige noch in seinem Originalzustand erhaltene Tageslicht-Atelier aus den 1920er-Jahren. Hier kann man auch noch die mehr als 100 Jahre alte Glasplattenkamera anschauen. Das wertvollste Relikt aber lagert in einer mit schmucklosen Holztüren verschlossenen Nische des Ateliers – 18 mal 24 Zentimeter große Glasplatten, auf denen die Negative der mehr als 20 000 Einzelaufnahmen von Vertretern des Wiener Großbürgertums und der Künstlerszene gespeichert sind. Darunter befinden sich Porträts von Dichtern wie Stefan Zweig und Arthur Schnitzler, von Komponisten wie Arnold Schönberg und Richard Strauss sowie von Theaterstars wie Conrad Veidt, Paula Wessely und Max Reinhardt. Neben diesen bis heute bekannten Künstlern haben sich in den 1920er- und 1930er-Jahren aber auch viele wohlhabende Bürger in Szene setzen lassen – Kaufleute, Bankiers, Industrielle, Ärzte und Wissenschaftler. Menschen also, die maßgeblich zur Identität Wiens beigetragen und das gesellschaftliche wie wirtschaftliche Leben der Stadt mitgeprägt haben.
„Doch wir müssen davon ausgehen, dass eine nicht unerhebliche
Menge dieser Menschen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wegen ihrer jüdischen Abstammung oder aus anderen Gründen entweder emigrieren mussten oder dem NS-Regime zum Opfer fielen“, sagt Wolfgang Tschiedel, der heutige Eigentümer des Fotoarchivs. „Diesen Verfolgten, die häufig in Vergessenheit geraten sind, wollen wir wieder ein Gesicht geben, um so ihre Geschichte und ihr Andenken zu bewahren.“
Tschiedel ist der Großneffe der letzten Besitzerin des Ateliers, Marie Karoline Tschiedel. An diesem Tag sitzt er im Jüdischen Museum in Wien und stellt zusammen mit seinem sechsköpfigen Team aus
Historikern und Genealogen das Forschungsprojekt „Wer Wien prägte“vor. Die Experten wollen recherchieren, wer bis 1938 zu den Kunden des „Photoateliers SetzerTschiedel“gehörte und was aus diesen Menschen wurde. Die Ergebnisse der Recherchen sollen in eine frei zugängliche Bilddatenbank einfließen, in der man die dann digitalisierten Porträts aufrufen und Informationen über das Schicksal der abgebildeten Personen und ihrer Familien erhalten kann – sowohl der Prominenten als auch der „Vergessenen“.
Der 1886 geborene Fotograf Franz Xaver Setzer hatte das Atelier 1911 gegründet. Schon früh gelang es ihm, berühmte Opernsänger und Schauspieler aus den Wiener Theatern dazu zu bringen, sich von ihm fotografieren zu lassen. Die Prominenz der Kundschaft sprach sich herum in der Stadt, und so gehörte es schon bald zum guten Ton, sich in dem Atelier ablichten zu lassen. Allein bis zum Jahre 1938 fertigten Setzer und seine Mitarbeiterin Marie Karoline Tschiedel Aufnahmen von rund 4500 Wiener Persönlichkeiten und Familien an.
Wie kompliziert das nun begonnene Forschungsprojekt sein wird, lässt sich schon an den wenigen Beispielen ablesen, die Tschiedel und seine Mitstreiter im Jüdischen Museum präsentieren. Auf einer Leinwand zeigen sie Fotos der sogenannten Plattenbücher des Ateliers. Darin sind handschriftlich die Bildnummern der im Atelier aufgenommenen Fotos zusammen mit den jeweiligen Kundennamen vermerkt. Kurze Notizen sind das nur, in denen lediglich der Nachname der porträtierten Person und das jeweilige Bildmotiv festgehalten sind. „Frau Silber/Brustbild Profil“steht da zum Beispiel, und in der Zeile darunter
Neben Künstlern haben sich auch wohlhabende Bürger in Szene setzen lassen