Die Stunde, da wir mehr voneinander wussten
Der Galerist Gunar Barthel ist einer der ausgewiesenen Kenner der DDR-Kunst. Dreißig Jahre nach Mauerfall feiert auch seine Galerie in Berlin Jubiläum. Von Christina Tilmann
Es war ein seltsames Zusammentreffen: Am 22. Oktober 1989 eröffnet Gunar Barthel in West-Berlin seine erste Ausstellung, mit der Künstlergruppe Kollektiv Herzogstraße in München. Acht Jahre lang, von 1979 bis 1987, hatte er in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) erfolgreich die „galerie oben“geleitet hatte, einen der wichtigsten Orte für nonkonforme Kunst in der DDR. 1987 hatte er das Land verlassen, war erst nach Bremen und dann 1989 nach West-Berlin gegangen.
Damals dachte er, er fängt noch mal ganz von vorne an: „Als ich in den Westen kam, wollte ich keine Galerie für OstKunst aufmachen, ich dachte, da ändert sich doch sowieso nichts, Honecker bleibt an der Macht, bis er umfällt.“Und kaum ist seine erste Ausstellung eröffnet, fällt die Mauer, und Barthel wird erneut zum wichtigen Vertreter für DDRKunst im Westen.
Das war vor dreißig Jahren. Am 9. November wird er groß feiern, das 30. Jubiläum seiner Galerie und das 30. Jubiläum des Mauerfalls. Auch wenn die Galerie in Wahrheit schon seit einigen Jahren nicht mehr im traditionellen Sinn als Galerie arbeitet, sondern als ein Kunstort, der wichtige Ausstellungen von Künstlern aus der DDR organisiert und als Archiv, Dokumentationszentrum und Anlaufstelle fungiert für alle, die etwas erfahren wollen über die andere Kunst in der DDR.
Da sitzen dann schon mal zwölf Direktoren und Kuratoren des Museums of Modern Art in den schönen, hellen Altbau-Räumen in der Berliner Fasanenstraße, und lassen sich Blätter von Carlfriedrich Claus zeigen. Oder Alfred Weidinger, gerade frisch zum Direktor des Museums der bildenden Künste in Leipzig berufen, schneit herein und ist begeistert. Und macht in Leipzig zwei Einzel-Ausstellungen zu Klaus Hähner-Springmühl und Erich-Wolfgang Hartzsch, beide höchst interessanteste, immer noch unterbewertete Chemnitzer Künstler. Und jetzt die große Überblicksausstellung „Point Of No Return“von Christoph Tannert und Paul Kaiser.
Derzeit wird sie überall gefeiert, die DDR-Kunst, in Leipzig, in Düsseldorf, selbst im Schloss Bellevue. Auch Gunar Barthel beobachtet ein neu angefachtes Interesse, das sich nicht zuletzt auch auf den Kunstmarkt auswirkt. Künstler wie Karl-Heinz Adler, der lange nur durch seine qualitativ hochwertige Bauplastik an vielen prestigeträchtigen DDR-Neubauten bekannt war, werden inzwischen von der international erfolgreichen Galerie Eigen + Art von Judy Lübke vertreten. Arbeiten von Hermann Glöckner, die demnächst in der Pinakothek der Moderne in München ausgestellt werden, und die der Galerist Barthel schon früh gezeigt hat, steigen auf Auktionen inzwischen in sechsstellige Höhen, so dass er selbst sie sich kaum noch leisten kann. Auch wenn er weiß: Jetzt geht es um ein Schlüsselwerk.
Doch der Kunstmarkt erzeugt auch viel Bitterkeit, auch im Verhältnis von Barthel zu seinen Künstlern: ein Grund, warum der umtriebige Netzwerker sich 2006 entschied, die Galeriearbeit umzustellen. „In der DDR waren sie alle auf einer Seite der Barrikade, da war man sich einig, das ging auch kurz nach der Wende noch gut, aber als es dann richtig ums Geld ging, und um immer mehr Geld, da hat sich manches verändert im Verhältnis Galerist/Künstler, es gab immer weniger Übereinstimmungen.“
Schmerzhafte Zerwürfnisse folgten, auch wenn man inzwischen wieder miteinander spricht. Zumal viele der wichtigen DDR-Künstler inzwischen nicht mehr leben. Als Weidinger die Ausstellung im Leipziger Museum der bildenden Künste eröffnet, berichtet Barthel, habe er in seiner Rede gesagt, er habe eine Liste geführt, wer inzwischen alles gestorben ist. Und alle hätten den Subtext verstanden, dass eigentlich gemeint war, wer alles demnächst sterben wird. Eine Generation tritt ab, und die Frage ist, wer übernimmt.
Als Barthel 1979 die „galerie oben“übernimmt, direkt vom Germanistik-Studium in Leipzig kommend, ist er 24 Jahre alt. „oben“hieß die Galerie, weil sie sich im Obergeschoss eines Genossenschaftshauses befand: Unten wurde Kunsthandwerk aus dem Erzgebirge verkauft, Holzarbeiten, Nussknacker, Keramik, und damit das Geld verdient, und oben wurde die Kunst gezeigt (und das Geld wieder ausgegeben).
Die „galerie oben“war ein Kult-Ort, zu dem die Kunstinteressierten aus Leipzig, Dresden und Berlin pilgerten, schwärmt Barthel: „Schwarze Decken, schwarzer Fußboden, schwarze umlaufende Sitzbänke, das sah schon sehr anders aus.“Mittwochs gab es Veranstaltungen, da spielten Konrad „Conny“Bauer, Ernst-Ludwig Petrowsky oder Uschi Brüning, und eigentlich, so klingt es bei Barthel heute, war es ein niemals endendes Künstlerfest, mit Gemeinschaftsaktionen (Pleinairs), Konzerten und allen Freiheiten, die man sich nehmen konnte.
„Ich fand das toll, als Student aus Leipzig, dass man Leute einladen konnte, Dichter, Musiker, Künstler – ich musste nur den Vorstand fragen. Der Ärger kam dann danach, aber die Ausstellungen waren zu sehen. Peter Herrmann, Peter Graf, der Freundeskreis um Strawalde, Lutz Dammbeck und sein „Herakles-Projekt“. Wir konnten die ausstellen, das hat mir niemand verboten. Natürlich konnte man später in den Stasi-Akten nachlesen, wer da alles als Besucher kam, und wer über wen geschrieben hat – die IMs wussten ja oft nicht mal voneinander. Aber die Ausstellung war zu sehen gewesen.“Gezeigt wurde alles, was inzwischen als unabhängige Kunst in der DDR gefeiert wird: der Grafiker Gerhard Altenbourg aus dem benachbarten Altenburg, Carlfriedrich Claus, der Eigenbrötler aus Annaberg-Buchholz, mit seinen genialen Schriftbildern, Michael Morgner, Thomas Ranft, die Dresdner Peter Herrmann oder Strawalde – die Künstlerliste liest sich wie ein „Who is who“der DDR-Kunst.
Vieles ist bei Gunar Barthel noch heute zu sehen oder lagert in den Schubladen seiner Archivschränke. Doch das Schönste sind die Geschichten, die er im Kopf hat, und die er dazu erzählen kann. Man wünscht sich, er fände die Zeit, das alles aufzuschreiben, aus dieser seltsamen, widerständigen, originellen und humorvollen Künstlerkonstellation, die später als nonkonforme Kunst in der DDR gefeiert wurde. Ehe alle abtreten, die es noch miterlebt haben.
„Du konntest fast alles machen.
Der Ärger kam dann danach.“ Gunar Barthel, Galerist