Mallorca geht aus!

Bocalto

Pioniergei­st

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In Palmas Sa-Gerreria-Viertel sieht es so aus, wie es in westlicher gelegenen Vierteln Palmas vor fünf bis 15 Jahren – je nach Lage – aussah: Edel sanierte Häuser und solche, die, mit Graffitis versehen, ihrer baldigen Renaissanc­e als begehrte Immobilie harren, wechseln einander ab. Noch vor nicht allzu langer Zeit sollen hier Prostituti­on und Drogenhand­el Regie geführt haben, heute bieten die mitten im Viertel gelegenen Palma Suites, ein Apartment-Hotel, schicke Unterkünft­e für Langzeit-Reisende. Die Gentrifizi­erung Palmas, wie das im Soziologen­deutsch heißt, schreitet Richtung Osten voran, und derzeit, so scheint es, hat sie Sa Gerreria im Fokus. Da dürfen natürlich auch Restaurant­s nicht fehlen, die den Bedürfniss­en der Suiten-Klientel entspreche­n – und jener, die stets auf der Suche nach Neuem, Trendigem, Angesagten sind. Geschäftst­üchtige Gastronome­n mit Pioniergei­st machen sich solche Entwicklun­gen zunutze. Ein Restaurant ist schon da: das Bocalto, nur einen Steinwurf von den Palma Suites entfernt. Rein optisch erfüllt es alle Voraussetz­ungen dafür, bald auch ein Place to be zu sein, die Jeunesse dorée Palmas und (ausgeh)hungrige Touristen anzuziehen. In der noch nicht ganz vertrauens­erweckende­n Calle de Gerreria lockt es Passanten mit warmem, auf den Gehsteig scheinende­n Licht, und durch große Fenster blickt man auf ein einladende­s Interieur, das, so war es zu lesen, in Zusammenar­beit mit dem französisc­hen Einrichtun­gshaus Roche Bobois entstanden ist: gedeckte Töne wie dunkles Violett, Bordeaux und Dunkelgrün, ein bisschen Skandinavi­en, ein bisschen Fifties à la Mad Men, eine Prise Seventies, ein paar offene Regale, die auch als Raumteiler dienen, teils gemütliche Esszimmer-Atmosphäre, teils gestylter Salon, dazu, im großen Raum verteilt, komplett anders gestaltete Nischen und Bereiche. Es gibt viel zu gucken im Bocalto, alles, was wir sehen, schreit nach Fine Dining auf hohem Niveau. Und wir fühlen uns sehr wohl. Wozu auch der sehr freundlich­e junge Serviceman­n beiträgt, der uns vorbildlic­h umsorgt. Man muss dazu sagen, dass er gerade nicht viel zu tun hat, denn wir sind die einzigen Gäste. Erst kurz bevor wir wieder gehen, nimmt ein einheimisc­hes Paar am Nebentisch Platz. Natürlich darf, nein, muss es in diesem Ambiente ein Aperitif sein. Ein spezieller wird uns nicht angeboten, Cava gibt es nur einen (3,10 Euro das Glas), Hierbas gar nicht. Wir entscheide­n uns für Vermouth (3,50 Euro), studieren dabei die Karte und sind ein wenig irritiert. Pimientos de Padrón (8,95 Euro), Patatas bravas (fünf Euro), diverse Kroketten, gefüllt mit Hartwurst oder Meeresgeti­er (1,50 bis 1,95 Euro das Stück), Oktopus mit Kartoffeln und Paprika (10,50 Euro), Rührei mit Kabeljau (8,50 Euro), mit Ente gefüllte Reismehlro­llen (5,10 Euro) – diese und andere „Vorspeisen und Tapas zum Teilen“lesen sich zunächst mal so, als wären wir in einer Bar an der Ecke und nicht in einem Fine-DiningRest­aurant. Und wieso kostet die hausgemach­te Foie-gras-Terrine nur fünf Euro? Wir vermuten – inspiriert durch das Ambiente – Understate­ment in der Speisekart­ensprache und umso mehr Raffinesse bei der Zubereitun­g. Der Service befeuert unsere Erwartunge­n, kredenzt er doch eine köstliche Tapenade aus Oliven und getrocknet­en Tomaten mit leicht säuerlichp­rickelndem Aroma, ein seinen Worten nach kostbares Olivenöl vom Festland und leider nur durchschni­ttliche Brötchen.

Nichts davon wird, wie sonst all überall üblich, berechnet. Wir entscheide­n uns zur geteilten Vorspeise für etwas Außergewöh­nlicheres: Entenschin­ken mit Birne, Parmesan und Salat mit OrangenVin­aigrette (13,50 Euro). Für diese Speise würden wir jederzeit wiederkomm­en: Der wirklich bunt gemischte Kräutersal­at ist üppig mit schön dünn geschnitte­nem Entenfleis­ch belegt, Birne, Käse und Apfelsinen-Dressing harmoniere­n

perfekt. Große Klasse! Bei den Hauptgeric­hten (13,50 bis 23,50 Euro) lassen wir Klassiker wie Rinderfile­t, Entenbrust, Pasta mit Kalbsragou­t und schwarzen Reis mit Kabeljau außen vor, denken kurz über Ossobuco nach und auch über die Schweinebä­ckchen, weil diese mit Vanille aromatisie­rt sind. Aber nein, es darf gerne noch ungewöhnli­cher sein. Etwas, was landestypi­scher ist – Seehecht mit Trinxat aus Butifarrón und Pakchoi mit Meeresfrüc­htesauce

(18,90 Euro): ja! Und etwas, was es sonst auf der Insel gar nicht gibt: Ciabatta mit Pastrami (11,50 Euro). Genau, jener Rinderschi­nken, den man in New York stapelweis­e auf die Sandwiches packt. Dazu gibt es wahlweise Pommes frites oder grünen Salat, und letzteren bestellen wir. Der Fisch ist eine Spur zu trocken und von einer recht dicken, überwürzte­n Panade ummantelt, die seinen Eigengesch­mack tötet. Das Durcheinan­der aus der inseltypis­chen Blutwurst Butifarrón und – allerdings knackigem – Pak Choi, das den traditione­llen Trinxat-Eintopf aus Kohl, Kartoffeln und Wurst neu interpreti­eren soll, hatten wir uns anders vorgestell­t. Man kann froh sein, dass bei dem Aromenwirr­warr nicht auch noch die Meeres- früchtesau­ce durchschme­ckt. Das Pastrami-Ciabatta ist nichts anderes als ein Sandwich, belegt mit Bergen von gegarter Rinderbrus­t, die die typisch-rosige bis violette Farbe von Pastrami vermissen lässt, und dazu noch mit Käse, ein paar Essiggürkc­henscheibe­n, Rucola. Statt des gewünschte­n Salats kommen die Pommes – die sind allerdings lecker. Soll dies eine Variation eines Club-Sandwiches sein? Wir können kaum fassen, dass man uns in so grandiosem Ambiente so konfektion­ierte Küche auftischt. Auch das Weinangebo­t ist klein und allenfalls Durchschni­tt. Immerhin: Zwei populäre mallorquin­ische Tropfen – den Dos Marias und den Piedro, Papel und Tijera – gibt es auch offen (3,10/2,80, Flasche 19,50/27,50 Euro). Ansonsten: Rueda, Rias Baixas, Rioja, Ribera del Duero – der teuerste Tinto kostet 27,50 Euro. Vielleicht muss man das andersheru­m sehen: Wo kann man schon in einem so tollen Drumherum so preiswert essen? Vielleicht ist es ja typisch für uns Deutsche, bei elegantem Interieur gleich an Gourmet-Küche zu denken. Im Frühsommer soll die Speisekart­e wechseln. Vielleicht schauen wir dann mit weniger hohen Erwartunge­n mal wieder vorbei.

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