De Tokio a Lima
In 80 Aromen um die Welt
Kein Wunder, dass sich so wenig Touristen in diese Perle von einem im besten Sinne internationalen Restaurant verirren: Unten vor der Eingangstür zum edlen Fünf-Sterne-Boutiquehotel Can Alomar direkt am Born ist zwar die Speisekarte ausgestellt. Aber ein Blick durch die Glastür zeigt nur einen schmalen Eingangsraum, einen Mini-Empfangstresen und sonst keinerlei Beschriftung. Selbst wenn man von der Rezeptionistin dort in den zweiten Stock geschickt wurde, offenbart sich hinter der Fahrstuhltür wieder nur gediegene Hotelatmosphäre, aber keinerlei Hinweis darauf, dass die Tische rechts neben den schweren Sitzgruppen entlang der Bar bis zum Ende des Raumes das auch für externe Gäste buch- und nutzbare Restaurant Da Tokio a Lima darstellen. Mag sein, dass spätestens hier den Zufallsbesucher der Mut verlässt, wenn er nicht wie wir gleich von einer der Servicekräfte angesprochen wird. Eine Kellnerin ist qua Schürze als solche erkennbar, die beiden hochgewachsenen Herren im Anzug scheinen eine Mischung aus Camarero und Barkeeper zu sein. Wir haben reserviert – was sich empfiehlt, denn im Sommer ist die Terrasse oft komplett besetzt. Noch ist es März, und wir können uns einen der zahlreichen noch unbesetzten Tische im Inneren aussuchen. Nur die sechs Plätze direkt an den Fenstern zum Born sind belegt. An einem großen runden Sechsertisch tafelt eine spanische Familie, ansonsten sehen wir heute Abend keine weiteren Gäste kommen.
Wir entscheiden uns für einen Platz ganz hinten, von dem man einen guten Blick hat auf eine der beiden riesigen, in der Vorsaison leider unbespielten Terrassen, die einen herrlichen Blick auf den Born bieten. Der Speiseraum ist in ruhigen Erdtönen geschmackvoll eingerichtet, aber auch sofort klar als Hotel-Speiseraum erkennbar, die typische Schubidu-Dauerbeschallung fehlt nicht. Der auf eine eher technische, kühle Art freundliche Kellner verneint ohne Bedauern in der Stimme unseren Aperitif-Wunsch – der Cava Rosé werde erst morgen wieder geliefert. Auf die Idee, uns eine Alternative anzubieten, kommt er nicht. Na gut, wenigstens wird man hier nicht von umsatzgierigen Kellnern umschwärmt. Wir fühlen uns an die gepflegte hanseatische Distanz erinnert, die wir ja zu Hause sehr schätzen. Und wenden uns lieber dem Speisenangebot zu – ein DIN-A4-Blatt quer auf ein dunkles Holzbrett geklemmt. Das Motto „von Tokio nach Lima“zieht sich durch fast alle Gerichte. Wer gern raffiniert marinierte kalte Meeresbewohner verspeist, ist hier absolut am richtigen Platz. Ein Hotelrestaurant muss natürlich auch Fleisch-Standards wie Bellota-Eichelschinken (24 Euro), Tatar vom Black-Angus-Kalb (26 Euro) und Hauptgerichte (Kartenkapitel „From The Stove“) von AngusBurger (20 Euro) bis Lammkarree (25 Euro) anbieten. Aber geschätzte 75 Prozent der Speisekartenh auptdarsteller stammen aus dem Meer. Zum Beispiel die von uns in die engere Auswahl kommenden
Vorspeisen Oktopus in Paprikacreme (20 Euro) und der Hummer im Tempurateig (25 Euro), dazu Hauptgerichte wie die Fischravioli mit sautiertem Rote-Bete-Salat (20 Euro) und die von vielen Seiten hochgelobte Fisch- und Meeresfrüchte-Ceviche mit Tamarillo für 25 Euro. Wir entscheiden uns für eine Auswahl von warmen und kalten Speisen – und die meisten davon wird in einer kulinarischen Klasse spielen, nach der sich so manche „Gastrobar“Palmas ziemlich lang machen müsste. Schon meine Vorspeise sieht aus wie für die Kunstausstellung: Die „Weißfisch-Tacos“(22 Euro) kommen als vier komplexe Miniaturen von erstklassig marinierten Fischtranchen auf zu „Tacos“halbrund gebogenen Rettich-Schiffchen. Der Plan, die Hälfte davon meiner CoTesterin abzugeben, erweist sich rasch als großer Fehler, zu fein schmeckt die mit Wasabi pikantisierte Aioli von der grünen Erbse, zu knusprig ist die für westliche Gaumen ungewohnt luftige Röhren-Textur der frittierten YucaWurzel, zu knackig der grüne Tobbiko-Kaviar als Topping. Was für eine Komposition! Zu dumm, dass ich am Ende doch ein Viertel davon tauschen muss gegen die „Wildpilz-Cremesuppe mit gegrillter Muschel und Miso“, die als einzige getestete Speise ihr Geld (21 Euro) überhaupt nicht wert ist: matschige Steinpilze in braunem, nach Trockenpilzen schmeckendem Brei, dazu zwei mickrige, wenngleich korrekt gegrillte Scallops – und von Miso keine Spur. Bleiben wir also lieber bei den Fischgerichten. Die nämlich kann der argentinische Chefkoch richtig gut. Auch der kalte Hauptgang, Sashimi vom roten Tuna mit Guave und Rocoto-Sauce (25 Euro), ist ein Gedicht aus Weltklasse-Fischqualität, Fruchtigkeit (unterstützt von in Sesam marinierten Lotuswurzeln und dreierlei Algensalat) und einer Schärfe, die an Raffinesse kaum zu überbieten ist. Sie rührt von der dickfleischigen mittelamerikanischen Rocoto-Chili her, die wegen ihres heftigen Scharfmachers Nordihydrocapsaicin vorsichtig dosiert werden muss und im Essen auch optisch leicht erkannt werden kann: Es ist die einzige Chili-Art der Welt mit schwarzen Samen. Auf sehr hohem Niveau zubereitet ist auch mein Filet vom gegrillten Barsch (24 Euro) : Der Fisch ruht auf einer absolut stimmigen Komposition aus von ultrafein geschnittenen Trockenfrüchten durchzogenem Couscous-Salat, je einer glatten Creme vom Hummercorail und Dattel, kleinen gerösteten Stücken von Mandel und der Fischhaut als krosse Texturen – und unten im Teller eine sommerliche YuzuVinaigrette. So eine spannende Komplexität habe ich zuletzt bei einem Zweisternekoch gegessen. Applaus! Nach diesen so feinen wie leichten Speisen passt noch ein Dessert: Wir teilen uns ein hochklassiges federleichtes Süppchen von weißer Schokolade und Zitronengras mit einer Nocke saurer Yuzu-Mousse auf einem kompakten Rotfrüchtekompott. Diesen Trip buchen wir bald wieder: Von Tokio nach Lima, in 80 Aromen um die Welt. pesi