Es Vi
Edel-Tapas für Fortgeschrittene
Schade, dass man als externer „Es Vi“-Gast beim Dinner den berühmten Panoramablick über die Bucht von Palma nicht genießen kann. Die regenfest überdachten Top-Plätze am Terrassenrand bleiben den Hausgästen des „Castillo Hotel Son Vida“und Besuchern des Hauptrestaurants „Es Castell“vorbehalten. Leider müssen wir sogar drinnen sitzen, weil die Außenplätze des von uns zu testenden Zweitrestaurants „Es Vi“nur von einem dünnen Stoffdach geschützt sind, durch das der heftige Regen des Spätsommergewitters hindurchplätschert. Schade, aber man sitzt ja ebenso prächtig auch in dem wie eine Edel-Weinbar mit großen Fässertischen und gediegenem dunklen Holz eingerichteten Innenraum, dessen komplette rechte Wandseite aus einem über zehn Meter langen begehbaren Wein-Humidor besteht. In den unzähligen Holzregalfächern warten dort Schätze auf diejenigen Besucher, die gern Wein zum Preis eines gebrauchten Kleinwagens entkorken lassen – darunter Rothschilds bis zurück in die 1950er und 35 Vega Sicilia Unico-Weine, dem Stolz des spanischen Festlands (ab 2367 Euro). Wir wollen und müssen mit unserem Kleinwagen am Ende des Abends aber leider wieder in unser weitaus bescheideneres Hotel zurück fahren und erforschen lieber erst einmal in Ruhe die Speisekarte, die uns die Bedienung gemeinsam mit einem Glas erfrischenden Cava Elyssia Rosado aus Pinot Noir-Trauben (zwölf Euro) bringt. Das Speisenkonzept wurde nach dem Weggang der Fine-Dining-Köchin Caty Pieras 2012 auf „Tapas“umgestellt. Keine Bange, damit sind hier nicht Pimientos, Albondigas oder Speckdattel gemeint, sondern eine Auswahl von Feinkost-Miniaturen, zubereitet mit allerhöchster Kochkunst. Der aktuelle Chefkünstler heißt Rafael Dengra, stammt von der Insel und wird uns in den kommenden Stunden Teller um Teller rote Ohren verpassen, denn hier speist man Tapas auf höchstem Niveau – und abwechslungsreich. Wir sind heute zu viert, und einer bestellt das Degustationsmenü für 53 Euro, von dessen fünf Überraschungs-Gängen die anderen kosten dürfen und ihrerseits – diese Tapas-Regel gilt natürlich auch hier – ihre Teller der Allgemeinheit anbieten. Wir genossen insgesamt zwölf unterschiedliche Gerichte (einige waren doppelt besetzt), und mit wenigen kleinen Schwächen war jede einzelne auch noch so kleine Komponente mindestens schmackhaft, meist aber Spitzenklasse in Sachen Küchen- leistung und Produktqualität. Bei einer derartigen Vielfalt dauert so eine Bestellung natürlich ihre Zeit, von der hervorragend informierten Kellnerin in bestem Englisch moderiert. Und mit dem aus roten Merlot-Reben zum Blanc de noir gekelterten Son Prim finden wir einen mit 36 Euro noch halbwegs bezahlbaren, kräftigen Tropfen. Die Show beginnt mit einem raffiniertem Küchengruß: In einem frittierten Teigbällchen überrascht beim Biss hinein eine leicht gallertige Ceviche-Variation. Das fängt ja spannend an. Und geht nicht minder wohlschmeckend weiter mit vier Tapas: Ziegenkäsekroketten (neun Euro) mit Knusperwalnüssen und einer passenden, leicht süßlichen Tomatencreme; einem zarten, angenehm mageren LachsCarpaccio (17 Euro) mit kräftigem malloquinischen Kaviar als Topping; mit einem nicht auf der Karte stehenden Zweierlei vom Rindertatar aus dem Menü samt deftiger Gazpacho im MartiniGlas, einmal klassisch gewürzt und die zweite Nocke neckisch mit Gin parfümiert; und schließlich die im Filoteig außen knusprig und innen glasig frittierten Seezungenröllchen mit einem schön scharfen Ingwer-Tomaten-Relish. Puh, was für ein Gaumenkino! Und schon beginnt der nächste Film mit einem zweifarbigen (Thunfisch und Seeteufel) Weltklasse-Carpaccio (15 Euro) mit rassiger Kapern-Tapenade, zweitens einem himmlisch rahmigem Topinambursüppchen mit einer Einlage aus strammen Gambas und Jakobsmuscheln (18 Euro), drittens mit zwei Tranchen von interessant stückiger, extra cremiger Foie-Terrine samt auf der Zunge platzender Portwein-Perlen aus der Molekular-Küche (18 Euro), sowie – einziger Hänger des Abends – frittierten Wan Tans, mit trockenen Schweinebackenfasern gefüllt, und einer zu sehr an AsiaImbiss erinnernden Süßsauersauce. Geschenkt, denn die auch mengenmäßig korrekt als „Hauptgänge“beschilderte Speisen reißen es gleich wieder heraus: Etwa ein dickes, perfekt glasiges Kabeljaufilet mit Yuca-Püree und experimentellem Espuma von der gegrillten Paprika (17 Euro), ein zum Glück nur hauchzart geräucherter (nicht minder riesiger) Steinbutt auf feiner Meeresfrüchtesauce (23 Euro) sowie ein sonst für 18 Euro zu habendes Schweinefilet-Minisandwich mit kräftiger SobrasadaSauce und Zwiebelchips für unseren Menü-Freund. Angesichts der Essensmengen teilen wir uns lieber einen Nachtisch (Einheitspreis neun Euro) zu viert. Ein Fehler, wie ich nach dem ersten Löffel feststellen muss: Eine ebenso gewagte wie gelungene leicht süße Eiscreme vom Mahón-Käse an Aprikosen-Chutney und ein verdammt guter Sobrasada-Bisquit machen aus den Begleitern, die auf gerechte Teilung pochen, reinste Futterneider. Am Ende ist jeder von uns überwältigt von diesem Kulinarikfeuerwerk. Schweigend und immer noch genießend gehen wir über die tiefen Teppiche in diesem auch architektonisch sehenswerten Hotel zum Parkplatz, drücken dem Parkwächter ein paar Münzen in die Hand und schwelgen noch lange nach der Heimfahrt von Dengras Kochkunst-Aufführung. pesi