Oliu
Jung und wild – und großartig!
Reserviert ist reserviert, da lassen wir nicht mit uns reden. Und wir lassen uns schon gar nicht in den zugegebenermaßen grandios gestalteten Gastraum im Inneren dieser mit viel Geschmack modern restaurierten Ölmühle setzen – wenn wir doch bis tief in die Nacht im kleinen Schwarzen draußen auf der schicken Terrasse bei idealen Temperaturen dinieren können: 23 Grad! Anfang bis Mitte 20 sind auch die meisten Gäste, darunter sehr viele Einheimische. Ein völlig anderes Publikum als in den übrigen, meist von Deutschen geführten und besuchten Andratx-Restaurants. Unser Insistieren auf einen Platz im Freien unter der stylischen Edelstahl-Konstruktion mit grauen Sonnen- und RegenSegeln wird vom jungen superfreundlichen argentinischen Kellner gleich doppelt belohnt: Wir dürfen bei zwei Gläsern Cava Rosado, die aufs Haus gehen, dem Service dabei zuschauen, wie er aus dem Inneren einen Zweiertisch samt zwei Polsterstühlen für uns nach draußen schleppt. Von der nur wenige Meter entfernt verlaufenden Hauptstraße nach Port d’Andratx ist erstaunlich wenig zu hören. Unser Platz liegt zwar an der Kellner-Hauptlaufroute, dafür haben wir die offene Küche drinnen ebenso im Blick wie die 40-köpfige Schweizer Gruppe am anderen Ende der Terrasse nicht allzu laut im Ohr. Ein perfekter Abend, so scheint es schon jetzt. Genauso perfekt passt der Küchengruß zu dieser schwülheißen Nacht mit heftigem Wetterleuchten hinter den Bergen: Die im kleinen Porzellantöpfchen servierte Gazpacho ist eiskalt und wird von einer erfrischenden Gurkennote dominiert. Wir studieren die auf ein Brett geklemmte übersichtliche Speisekarte. Ein Menü wird heute nicht angeboten, und wir haben ein bisschen zu viel Hunger für einen der an vielen Tischen servierten Salate – toll sehen der Rote-Bete-Mango-Salat mit Thunfischtatar und Erdbeeren (19 Euro), der große CevicheTeller mit echten peruanischen gelben Amarillo-Chili und der gemischte Salat mit Jakobsmuscheln und Guacamole (beide 17 Euro) aus. Auch die meisten anderen Posten auf der Karte verraten: Der hochgewachsene, mit seinen rotblonden Haaren recht britisch aussehende mallorquinische Küchenchef Joan Porcel Balequer ist ein junger (genauer: 28-jähriger) Wilder, der sich seine Avantgardeküchentricks bei seiner Mitarbeit in den Brigaden der ganz Großen dieses Faches – Martín Berasategui und Juan Arzak – abgeschaut und in seine mallorquinisch-kulinarischen Wurzeln integriert hat. Das zieht sich auch durch alle Komponenten der drei bestellten Gänge. Meine Vorspeise „Flores de Calabacin“(15 Euro) kommt eher aus der italienischen Küche: An den mit angenehm mildem Ziegenfrischkäse und ein paar Schinkenstückchen gefüllten und in Tempurateig ausgebackenen Zucchiniblüten hängen ein paar köstliche Babyfrüchte, die dazu gereichte Tomaten-Salsa ist fruchtbetont und nur leicht geschärft. Meine Begleitung startet mit zwei Miniaturen, die sich gut kombinieren lassen: Die handliche „Gallea de avellana“(vier Euro) ist ein knuspriger, aus gemahlenen Haselnüssen gebackener Chip mit winzigen Würfeln von Speck, Gemüse und sauer mariniertem Fisch. Zwei Bissen und weg, sehr fein! An dem auf einem Drahtgestell servierten „Döner“(4,90 Euro) kauen wir ein bisschen länger, was weniger an den deftigen Spanferkelwürfelchen und der herzhaften Streichwurst Sobrasada liegt, sondern an dem fülligen Brötchen außenherum. Das nämlich wurde stilecht aus dem Mehl der Früchte des an vielen Stellen der Insel wachsenden Johannisbrotbaumes gebacken, dessen Schoten auch zur Textil- und Gummiherstellung benutzt werden. Mit entsprechend warmgelaufener Backenmuskulatur machen wir uns über die Hauptgerichte her. Wobei wir für beide Gerichte kein Training gebraucht hätten, denn der Thunfisch „Tamal de Atun“(26,50 Euro) ist wie gewünscht kurz und butterzart gebraten, gut fünf Zentimeter dick, innen lauwarm, aber knallrot, und nirgends von unschönen Fettadern durchzogen. Balequer zitiert mit der Beilage augenzwinkernd das mexikanische Rezeptoriginal mit Mais als tragender Beilage in der Form von Babymaiskolben und einer raffinierten leuchtend-gelben Sauce. Meiner Pasta-Hauptspeise „Saquitos Trufa“(„Trüffelsäckchen“, 21 Euro) könnte man höchstens vorwerfen, dass die Teigstärke der mit feiner Ricotta-Trüffelmischung gefüllten Taschen etwas zu dick geraten war – Italiener hätten sie sofort zurückgehen lassen. Was ein großer Fehler wäre, denn die Säckchen schme-
cken hervorragend, was auch an der sämigen Käsesauce und den drei feinen Pilzsorten (Buchenpilze, Champignons, Shiitake) liegt. Langsam geht unser 2015 Sa Rota Crianza (28 Euro, die Weinkarte bietet Insel-Entdeckungen) zur Neige. Der hat uns auch deshalb so schön durch den Abend geleitet, weil ihn der Service auf frische zwölf Grad temperiert (warm wird er ja ganz von selbst) und mit einem VerwirblerAusguss versehen hatte, der dem jungen Tropfen ausreichend Luft zuführt. Erstaunlicherweise haben wir noch Platz für zwei Desserts: zwei Kugeln Eis für nur 4,50 Euro aus einer großen Auswahl (wir nehmen Mandel und Brombeere), aber mit zu vielen Kristallen auf der Zunge. Kristalle prägen auch den SignatureNachtisch „Oliu“(neun Euro): Das namensgebende Olivenöl findet sich in einer trockenen Mischung mit Maltodextrin als „Sand“; der wiederum dient als Basis für allerlei Früchte und einem in Vanillesauce badenden Sorbet aus weißer Schokolade mit erneut deutlich schmeckbarem Olivenöl. Hut ab, das ist modernste Dessertkunst in Perfektion! Während die Schweizer im Gänsemarsch ihren Reisebus ansteuern, verabschieden wir sie mit einem Schluck Grappa. Auch der geht aufs Haus – der Abend endet so gastfreundlich, wie er begonnen hat. pesi