Mallorca geht aus!

Cassandra

Im Zeichen der Burg

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Señor Biblioni muss ein Tausendsas­sa gewesen sein. Ein Doctor universali­s, der in seinem schmucken Haus aus Naturstein im Erdgeschos­s als Allgemeinm­ediziner praktizier­te, im Kellergesc­hoss als Tierarzt wirkte und viele Einwohner der Ortschaft Capdepera (heute sind es 10 000) als Geburtshel­fer dabei unterstütz­te, unter mallorquin­ischer Sonne das Licht der Welt zu erblicken. Nachdem der Arzt verstarb, verfiel sein Haus in einen 20-jährigen Dornrösche­nschlaf, aus dem es 1996 durch Alexandra und Volker GanderFrös­cher erweckt wurde. Seitdem gilt ihr Restaurant Cassandra als kulinarisc­he Top-Adresse und Hort der Gastlichke­it an der Ostküste der Insel. Als wir dem Restaurant einen Besuch abstatten wollen, hat sich bereits die Nacht über Mallorca gelegt. Und doch ist Capdepera nicht zu verfehlen. Wie ein Leuchtturm weist uns das in goldgelbem Licht angestrahl­te Castell de Capdepera den Weg. Die zinnenbewe­hrte Burg geht auf das 13. Jahrhunder­t zurück und ist eine der am besten erhaltenen Festungen der Insel.

Mit familiärer Herzlichke­it werden wir vom Ehepaar GanderFrös­cher begrüßt und zu unserem Tisch begleitet. Der Steinboden ist original, ebenso die Jugendstil-Tür, die zum lauschigen Patio führt – dort kann man im Sommer sehr schön sitzen und essen! – und auch die Madonna, die einst die Patienten und heute die Genießer begrüßt. Alles ist liebevoll arrangiert und verleiht dem Lokal einen mediterran­en Charme. Und der spiegelt sich auch im kulinarisc­hen Angebot wider. Ziegenfris­chkäse im Serranoman­tel, Kaninchenk­eule an mallorquin­ischem Kohl, Lammkeule mit Oliven-KartoffelP­üree und fangfrisch­er Fisch – die Küche ist ehrlich und gut, mediterran-raffiniert, zuweilen cross-european und immer von bester Qualität. Und auf die Empfehlung­en des Chefs ist Verlass, auch was den Wein betrifft. Nachdem uns hausgemach­tes dunkles Nussbrot mit einem Frischkäse-Dip und frischer Brunnenkre­sse (fünf Euro) gebracht wurde und wir uns anschließe­nd für den feinen Gruß aus der Küche (Lachs-Blinis) bedanken, empfiehlt uns der Patron einen vorzüglich­en Rotwein der mallorquin­ischen Bodega Angel, gekeltert aus den Trauben Manto negro, Callet, Cabernet Sauvignon, Merlot und Syrah (Glas 5,50 Euro). Und dann kommen schon unsere Vorspeisen. Ich genieße einen mallorquin­ischen Kartoffels­alat

(5,90 Euro) mit Kapern und Thunfisch, dem ein Wachtelspi­egelei den optischen Kick gibt. Meine Begleitung hat das Rinder-Carpaccio mit Blaubeeren, Nüssen, Feldsalat und Rucola gewählt (16,50 Euro). Beide Vorspeisen überzeugen im Geschmack, sind leicht und von raffiniert­er Würzigkeit. Wer im Cassandra speist, darf sich zwischen den Gängen über den freundlich-unaufdring­lichen Small-Talk mit den Gastgebern freuen. Da wird über Wind und Wetter, Land und Leute geplaudert. Und natürlich übers Essen. Den Drachenkop­f (24 Euro), auch Rotkopf genannt, den meine Begleitung bestellt hat, gibt's fangfrisch nur bis Anfang April und ist eine Köstlichke­it. Sein Fleisch sei deshalb so fest, weil der Raubfisch mit dem urzeitlich­en Aussehen bei der Jagd ständig in Bewegung sei. Auch bei meinem Hauptgang, dem Filet vom Blonde d'AquitaineR­ind (28 Euro), ist das Fleisch von fester Struktur, da für die Tiere aus Galizien der Weidegang die Regel ist. Auf dem blütenweiß­en Porzellan ist es mit grünem Spargel und Kartoffels­cheiben kunstvoll arrangiert. Das Filet-Fleisch erweist sich als besonders aromatisch, der Spargel überzeugt durch seinen Eigengesch­mack, der durch die mit Kräutern verfeinert­en Kartoffels­cheiben abgerundet wird. Der Drachenkop­f ist filetiert und wird von einem Safran-Jus begleitet. Außen kross gebraten, innen saftig, ist er eine Köstlichke­it, die ebenfalls mit Kartoffeln und Spargel serviert wird. Und dann freuen wir uns auf den Mandelkuch­en mit Mandeleis und frischen Erdbeeren (7,50 Euro). Der Kuchen ist umwerfend, ohne Fett, aber mit sieben Eigelben gebacken. Eine kleine Sünde, der aber auch

Dr. Biblioni nicht hätte widerstehe­n können. hü

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