Fusion 19
Perle an der Touri-Meile
Man braucht schon einen geübten Blick, um zu erkennen, dass die Playa de Muro der etwas feinere Teil der fast komplett zugebauten Bucht von Alcúdia ist. Ein noch schärferes Auge ist nötig, um unter den sich kilometerlang an die Durchgangsstraße reihenden Gastronomiebetrieben diesen Tempel der modernen mallorquinischen Autorenküche zu finden: Joan Josep Genestar, einst Chef im „Genestar“in Alcúdia und dort Mitbegründer der „Degustationsmenü-Welle“auf Mallorca, hat sich hier mit der finanziellen Unterstützung eines ehemaligen Stammgastes seinen Traum von einem modernen, modularen Gastronomiekonzept verwirklicht. Das Ganze als „Restaurant“zu bezeichnen, wäre untertrieben, denn die großflächig verglaste Küche an der Rückenfront des eigentlichen Speiseraumes beschickt auch die vielen Ganztags-Terrassenplätze an der Straße – als „Gran Cafe 1919“gekennzeichnet. Dort gibt es eine typische Snack-Karte mit preiswerten Tapas, Salaten, Sandwiches und den üblichen warmen Gerichten von Spaghetti Bolognese (4,95 Euro), Hamburger, Pizza und – an der schicken Champagnerbar „Fusion Caviar Sushi“– auch Höherpreisiges von edlen Fischeiern bis zu Sashimi, Tataki & Co. Doch wir wollen wissen, wo Genestar heute kulinarisch steht und begehren Fine Dining in dem mit reduziertem Schick in allerlei Erdtönen eingerichteten Restaurant. Besser gesagt: Fine Lunching, denn Genestar bietet durchgehend Küche, auch sein Autorenmenü mit fünf Gängen für erstaunliche 30 Euro Erstaunlich ist es vor allem, weil Genestar weder beim Wareneinsatz noch bei der Zubereitung durch seine junge, fünfköpfige und in stylischem Vollschwarz gekleidete Kochbrigade spart. Das, was auf den Teller kommt, bestimmt aber zu 100 Prozent der Chef selbst, und es kann sich mit wenigen Ausnahmen von vorne bis hinten sehen und schmecken lassen. Die erste Pleite gleich zu Beginn: Wir verbrennen uns an dem in Flugzeugmanier erhitzten, ansonsten aber langweiligen Körner-Retortenbrötchen zu Salzkristallen und Öl die Lippen – wohl auch, weil wir wegen des Mittagstestes auf das Hotelfrühstück verzichtet und das Cubierto zu gierig erwartet hatten. Macht nichts,
denn schon die in schicker mattschwarzer Schale servierte Blumenkohlcremesuppe macht mit seidigem Geschmack und feiner Garnitur aus Pinienkernen und Pesto-Spritzern einen glücklichen Gast aus mir, der sich zu diesem Lunch einen eiskalten FestlandRosé von Marqués de Cáceres gönnt (nette 3,75 Euro das Glas; es gibt eine kleine, aber gute Weinkarte mit vielen preiswerten Inseltropfen). Noch mehr Spaß aber macht die Spanferkelkrokette. Ich habe ja schon viele dieser außen krossen und innen leider oft enttäuschend faden FritteuseTeile gegessen – aber Genestar serviert die besten Schweinekroketten, die ich je auf Mallorca in den Mund bekommen habe. Gebettet auf einer großartigen Jus mit kleinen Trockenaprikosenstückchen, jagt mir das zarte Innere fast Freudentränen in die Augen: Es ist weich und fluffig, mit ganz zarten Pulled-Pork-Fasern und klarem Schweinefleischgeschmack. Ganz, ganz großes Krokettenkino. Toll auch der Menü-Fischgang: zwei gut gegarte Seeteufelscheiben auf einer leicht zitronig abgeschmeckten Basis aus Dashibrühe, rosa Pfeffer und Schmorgemüse mit scharf angebratenen Würfelchen von der Jakobsmuschel. Irre Idee, die Scallops mal als Garnitur herzunehmen. Mag ich! Was wir dagegen nicht so mögen sind unangekündigte Beilagenänderungen: Das „Thunfisch Tataki mit Trampo-Mini-Coca“(18,50 Euro), die Vorspeise meiner À-lacarte-lunchenden Co-Testerin, kommt nicht, wie auf dem Speisekartenfoto zu sehen, als quadratisch zugeschnittene, kurz angebratene und innen rohe Thunfischtranche auf typisch mallorquinischem Salat und Mini-Pizza. Der ansonsten so aufmerksame wie freundliche und mit seinen schwarzen Ärmelhaltern auf weißem Hemd klassischedel gekleidete Kellner stellt stattdessen einen Teller voller Quinoa-Salat mit immerhin stattlichen elf Fischscheiben oben drauf auf unseren Tisch. In Ordnung, dann halt Andenhirse, noch dazu gekonnt mit Miniwürfelchen von Paprika, Trockentomate und Zwiebeln angereichert, leider aber ohne Salz. Von „Tataki“ist der Thun allerdings so weit entfernt wie die Playa de Muro von Tokio – dieser Fisch scheint eher kalt mariniert und dann bei niedriger Temperatur im Sous-vide-Bad gelegen zu haben. Dabei gewinnt er Festigkeit und – für die Gastronomie wichtiger – an Haltbarkeit, verliert aber den rohen Charme und wird ledrig. Wie auch immer, die längere Diskussion über diesen Teller bringt den Service dazu, diese Speise am Ende von der Rechnung zu nehmen und uns zwei Glas Cava aufs Haus hinzustellen. Sehr korrekt! Auf jeden Fall so korrekt wie unsere beiden Hauptgänge: Die in süßer Sojasauce marinierte und schön rosa gebratene Entenbrust auf witzig geraspeltem Kürbisgemüse ebenso wie der Fisch-Hauptgang, der das Quinoa-Thema diesmal als gut gewürzte Salatbeilage zu feinem Mischgemüse und drei großen Seeteufelscheiben wiederholt. Jetzt noch ein Wahnsinns-Dessert – topmodern in seiner Verbindung von herzhaft und süß: Klassisches, sehr feines Vanilleeis ergänzt hervorragend die Creme mit leichtem Ziegenkäse- und Sauerrahm-Aroma, allesamt unterfüttert mit einer süßlich ausgerichteten Basilikumsauce und ein paar Kaktusfrüchten. Ein echtes Erwachsenendessert – und auch das noch Teil dieses sehr günstigen Menüs, für das allein sich die Anreise aus weiter entfernten Inselregionen lohnt. pesi